Elf: Tim

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Donnerstag 12.02.2019 07:30 Uhr

Tim Gewan


Der kalte Wind drückte kräftig gegen Tims Winterjacke, während er sich fröstelnd in Richtung Schule bewegte.

Seine eine Hand war schon halb abgefroren, was daran hing, dass er sie an sein Ohr halten musste.

Durch sein Handy sprach Annika zu ihm. Sie hatte ihn eben angerufen, um ihn über all ihre Theorien zu informieren, die sie im Laufe des letzten Tages aufgestellt hatte.

Als Tim zwischen zwei ihrer Vorschläge auch noch erwähnte, dass sich der Instagram-Hater auf Sophias Account herumtrieb, konnte sie sich nicht mehr halten und stürzte von einer Theorie in die nächste.

„Wie hört sich das an", fragte sie nun und begann damit, eine neue Geschichte zu erfinden. „Julianna ist in Moritz verliebt und schickt seiner Freundin Sophia deshalb Morddrohungen. Zusammen mit Lana und Marie leitet sie auch den Blog, weshalb sie sich nun von Sophia entfernen und nur noch Sachen zu dritt machen. Natürlich könnte auch eine der anderen in Moritz verliebt sein. Ich weiß bis jetzt leider noch nicht so viel über die drei. "

Tim nickte und antwortete: „Klingt plausibel. Hast du auch noch einen Verdächtigen für den Hacker auf Lager?"

„Sophia", kam wie aus der Pistole geschossen.

„Warum das denn?", fragte Tim ehrlich erstaunt. „Sophia hat genug Geld, warum sollte sie die Bank hacken?"

„Langeweile? Wut? Trauer? Seit dem Fußballspiel geht es für sie den Bach runter. Da hat sie viel freie Zeit und viel Wut auf jeden ihrer eigentlichen Freunde."

„Tut mir leid, aber das hört sich jetzt nicht so plausibel an", gab Tim zu.

Annika lachte. „Ich arbeite noch daran. Vielleicht war es auch ein Lehrer des Fuchsbachgymnasiums. Die haben sicher weniger Geld als Sophia und wollen sich was dazuverdienen."

„Vielleicht war es auch niemand aus der Schule? Sorry, aber du und meine Mitschüler nehmen das alles viel zu ernst. Es ist doch nur ein Gerücht. Vielleicht wohnt der Hacker auch am anderen Ende der Welt und hat nur zufällig hier das Geld gestohlen, weil viel auf den Konten drauf war. Man muss nicht mehr vor Ort sein, um in die Bank einzubrechen. Das Internet öffnet da leider ganz neue Möglichkeiten."
Annika seufzte. „Ich weiß, aber das wäre doch viel zu langweilig! Wenn es jemand aus deiner Schule war, hättest du nachher eine riesen Story für deine Kinder!"

„Du meinst für unsere Kinder." Tim wirkte ein bisschen betroffen darüber, dass Annika es so ausgerückt hatte.

Diese verdrehte wahrscheinlich gerade die Augen darüber. „Du weißt doch, was ich meine. Natürlich für unsere Kinder."

„Also schön. Unsere Kinder werden alleine durch den Blog schon unzählige Jahre mit Gute-Nacht-Geschichten versorgt sein. Bei all dem Klatsch und Tratsch braucht es keinen Hacker mehr, um Spannung zu erzeugen. Vorausgesetzt wir erzählen ihnen von all dem. Ehrlich gesagt habe ich nicht vor, ihnen davon zu berichten, wie Beziehungen an meiner alten Schule auseinanderbrachen."
Annika schnaubte. „Pah! Von mir werden sie es erzählt bekommen und dann werden sie kleine Könige und kleine Königinnen des Gossip!"

„Das meinst du doch hoffentlich nicht ernst", sagte er ruhig.

Annika lachte laut auf. „Natürlich nicht du Dummerchen. So schlimm bin sogar ich nicht."

Tim atmete erleichtert aus. „Ein Glück. Ich habe schon gedacht, ich müsste kleine Monster erziehen."

„Das werden sie auch ohne Gossip. Du willst gar nicht wissen, was für ein schlimmes Kind ich gewesen bin. Meine Kinder werden sicher nicht anders."

„Davon kannst du mir ja ein andermal berichten. Ich bin jetzt gleich bei meiner Schule angekommen", sagte Tim ein wenig traurig. Mit Annika zu reden war für ihn die schönste Zeit des Tages. Er wollte sie gar nicht loslassen.

„Ich bin auch gleich da", antwortete Annika seufzend. Doch statt aufzulegen, holte sie noch einmal tief Luft. „Was hältst du von dieser Theorie? Alex ist der Hacker und mit dem Geld will er sich Zoes Liebe zurückkaufen."

„Also erstens, und ich wiederhole mich zum allerletzten Mal: Der Hacker muss nicht aus meiner Schule kommen! Und zweitens, Liebe ist nicht käuflich Annika. Ich kenne Zoe nicht gut, aber soweit würde sogar sie nicht gehen."
„Man kann sich nie sicher sein. Aber wahrscheinlich hast du recht. Außerdem wirkt Zoe eher wie jemand, der immer aus seinen Emotionen heraus handelt. Wenn sie Alex nicht mehr mag, wird auch das Geld sie nicht mehr dazu bringen, zu ihm zurückzukehren."

Tim nickte zustimmend. „Genau. Jetzt muss ich aber wirklich Schluss machen. Es klingelt gleich."

Doch Annika hatte offensichtlich noch etwas zu sagen: „Eine Sekunde noch."

„Ja?"

„Wie findest du das? Deine neue Fußballtrainerin ..."

„Jacky? Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass sie in die Sache verwickelt ist. Sie geht nicht einmal auf meine Schule."
Tim vermutete, dass Annika hier eine extra lange Kunstpause ließ, um ihn denken zu lassen. Danach fragte sie vorwurfsvoll: „Ach, und auf welche Schule geht sie dann?"

Tim schwieg. Das wusste er nicht. Doch das hieß ja nicht, dass es in dieser Stadt keine andere Schule mehr gab.

Annika deutete sein Schweigen richtig. Er hatte keine Ahnung, also klärte sie ihn auf. „Es gibt im Umkreis von zwanzig Kilometern kein anderes Gymnasium. Nur eine Realschule. Da sie aber so alt ist wie wir, müsste sie mit dieser schon fertig sein. Und dann wäre sie jetzt in einer Ausbildung. Ich glaube nicht, dass sie dann drei bis viermal die Woche Zeit hätte, eine Fußballmannschaft zu trainieren und sich mit ihrer Aufstellung zu beschäftigen."

„Du meinst, Jacky geht doch auf meine Schule? Aber das wüssten die anderen doch. Vielleicht habe ich sie in der Zeit übersehen, in der ich schon hier bin. Aber meinen Teamkollegen müsste sie doch schon aufgefallen sein."

„Ich weiß. Deshalb arbeite ich noch an meiner Theorie. Aber Jacky ist mir auf jeden Fall ein Rätsel."

„Ich muss sie jetzt aber nicht für dich beobachten, oder? Das wäre einfach nur seltsam."

Annika seufzte. „Nein. Aber du kannst sie ja mal fragen, was sie gerade beruflich macht. Vielleicht hat sie ja eine sehr entspannte Ausbildung, bei der sie viel Zeit hat, oder ein freiwilliges soziales Jahr, das nicht allzu hart ist."

Tim war mittlerweile auf dem Schulhof angekommen und hörte nun, wie die Klingel ein erstes Mal läutete.

„Annika, ich muss jetzt wirklich los. Und du solltest dich auch lieber auf die Schule konzentrieren, als über Jacky nachzudenken."
Annika seufzte wieder: „Vermutlich hast du recht. Aber es macht so viel mehr Spaß, sich Gedanken über deine Mitschüler zu machen. Wenn es bei mir weiterhin so langweilig ist, starte ich auch einen Gossip-Blog."
„Tu das bitte nicht! Es ist fies und gefährlich!"

„War nur ein Spaß. Oder doch nicht?"
„Annika!" Empört wurde Tims Stimme ein paar Nuancen lauter.
Sie lachte. „Keine Sorge. Wir hören uns morgen?"
„Ja, Tschüss."

Tim konnte förmlich durch den Hörer hören, dass sie lächelte.

„Bis morgen." 

Dying BeautyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt