Zehn: Sophia

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Mittwoch 11.02.2019     19:54 Uhr

Sophia Blackwolf


Die Busfahrt nach Hause hatte nicht allzu lange gedauert. Noch vor dem Abendessen hatte Sophia es geschafft, all ihre Hausaufgaben für den nächsten Tag zu erledigen und ausgiebig baden zu gehen.

In der Wanne hatte sie ein volles Beautyprogramm durchgezogen, während sie die neusten Videos ihrer liebsten YouTuber anschaute.

Sie hatte nicht an Shampoo, Lotion und Gesichtsmasken gespart. Hatte sich danach ihre Nägel lackiert und sich um ihr Haar gekümmert.

Als sie nun mit ihrer Mutter am Küchentisch saß, könnte man meinen, sie hätte sich schon für den Ball fertig gemacht.

Über das seidene Nachthemd hatte sie sich einen passenden Morgenmantel gebunden und ihre Füße steckten in bequemen Hausschuhen. Ihre schwarzen Haare fielen ihr offen über den Rücken.

„Du siehst gut aus Schatz", lobte ihre Mutter.

„Danke." Gelangweilt betrachte Sophia ihr Essen. Ihre Mutter hatte wie immer nicht selbst gekocht, sondern hatte bei einem Lieferdienst ihr Abendessen bestellt.

Heute kam es von einem indischen Restaurant zwei Straßen weiter. Sophia mochte das vegetarische Curry zwar echt gerne, doch wenn man es mindestens einmal die Woche bekam, konnte man auch das irgendwann nicht mehr sehen.

„Wie war es heute in der Schule?", versuchte ihre Mutter wieder ein Gespräch zu beginnen.

„Ganz gut." Wenigstens hatte es heute keine schlechten Überraschungen für Sophia gegeben. Noch immer wurde in der Schule über Moritz und sie getuschelt, doch sonst war alles wie immer gewesen.

Naja, bis auf die Sache mit Zoe. Sie sprach noch immer nicht mit Sophia.

Moritz hingegen war erstaunlich nett zu ihr gewesen. Er hatte sie am Anfang und Ende des Schultages umarmt und war den ganzen Tag nicht von ihrer Seite gewichen.

Vielleicht könnten sie es bald doch nochmal miteinander versuchen. Sophia lächelte.

Das hatte wohl auch ihre Mutter gesehen „Du lachst ja mal wieder!", rief sie verblüfft. Auch sie begann zu lächeln.

Sophia blickte sie skeptisch an. „Tu ich das sonst nie?"
Ihre Mutter schüttelte den Kopf. „Leider nicht so oft. Ich wollte dich schon länger fragen, was mit dir los ist. Du bist so verschlossen geworden."

Sophia wusste nicht ganz, was sie darauf antworten sollte. Ihre Mutter hatte ja recht. In letzter Zeit redete sie nicht mehr so offen mit ihr. Aber war das nicht normal? Versuchte man als Teenager nicht immer, seine Geheimnisse vor seinen Eltern zu verbergen?

Sophia würde gerne sagen, was mit ihr los war. Doch dann würde sie sich jemandem von ihrer zerbrechlichen Seite zeigen. Sie hatte gestern schon geweint. Wenn sie heute vor ihrer Mutter zusammenbrechen würde, könnte sie gleich ihre Karriere als Schulkönigin an den Nagel hängen.
Denn wer brauchte eine Königin, die zerbrechlich und nicht stark war?

„Mir geht es gut", sagte sie stattdessen und schenkte ihrer Mutter noch ein größeres Lächeln.

Diese lachte nun hysterisch auf. „Du kannst vergessen, dass ich dir das abkaufe. Ich war auch mal jung, und 'Mir geht es gut' ist die größte Lüge der Welt!"

Sophia seufzte. „Na schön. Mein Leben läuft gerade nicht so, wie ich es gerne hätte."
„Inwiefern?", hakte ihre Mutter weiter nach. „Ist bei dir und Moritz alles in Ordnung?"

„Ja, es geht nicht um ihn", log sie.

„Worum dann?"
„Die Schule." Das war wenigstens teilweise wahr. Sophias Noten spiegelten gerade nämlich ihr Privatleben wider. Auch in den Fächern, die sie sonst mit Bravur leistete, hagelte es schlechte Noten.

Es war wie bei Zoe und Moritz. Eigentlich hatte sie gedacht, dass die beiden, wie Biologie und Spanisch ihre Freunde wären, doch nun hatten sie sie hintergangen.

Was bin ich nur für ein Mensch, dass ich meine Freunde mit Schulfächern vergleiche?

Ihre Mutter riss sie aus ihren Gedanken. „Machst du dir Sorgen, was dein Vater wegen des Zeugnisses sagen wird?"

„Ja", gab Sophia zu. Währenddessen nahm sie endlich einen Bissen ihres Currys zu sich. Es schmeckte gut, wie immer.

„Da brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Dein Vater ist dir deshalb nicht böse. Ja, deine Noten sind gerade nicht sehr gut, aber deinem Vater ist es vor allem wichtig, dass du glücklich bist. Und wenn du gerade mit anderen Dingen beschäftigt bist, die dir mehr Spaß machen als die Schule, dann ist das völlig in Ordnung."
„Wirklich?" Sophia ließ die Gabel sinken. Damit hätte sie nicht gerechnet.

„Ja, das hat er mir erst gestern wieder bestätigt. Für dein Abi hast du bereits ein Halbjahr mit guten Noten vorzuweisen. Wenn du dich nach den Sommerferien wieder anstrengst, kannst du trotzdem noch mit einem Einserschnitt bestehen."

„Ah. Verstehe." Sophia nahm die Gabel wieder hoch und aß weiter. Also war es ihrem Vater doch nicht ganz egal, wie sie in der Schule abschnitt. Sie konnte zwar kurz mal eine schlechte Phase haben, doch ein Einser-Abi sollte trotzdem drin sein. Natürlich. Immerhin musste sie später ja auch die Firma übernehmen. Als einziges Kind der Blackwolfs war es ihre Pflicht, das Erbe würdig anzutreten.

Ihre Mutter versuchte die Situation noch zu retten. „Wir sind immer stolz auf dich Sophia. Das darfst du nie vergessen."

Das Lachen, was Sophia in ihren Gedanken ausstieß, war bittersüß.

Von wegen. Sollte ich morgen beschließen Müllfrau zu werden, dann wärt ihr sicher nicht stolz auf mich.

Der Rest des Essens verlief schweigend. 

Dying BeautyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt