Vier: Moritz

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Montag 09.02.2019      07:43 Uhr

Moritz Holin


Moritz stand mitten auf dem Schulhof, sein Handy in der Hand. Er spielte ein belangloses Minispiel in einer noch belangloseren App. Zum hundertsten Mal versagte er bei Level einunddreißig, schloss die App, sah auf seinem Homebildschirm nach, ob er neue Nachrichten hatte, seufzte, da dem nicht so war, und öffnete das Spiel wieder.

Das alles war ein Trick, um nicht in Panik auszubrechen. Eigentlich tobte ein Gefühlschaos in Moritz, welches er jedoch nicht an die Außenwelt gelangen lassen wollte.

Die anderen Schüler hatten schon gesehen, wie er sich mit seiner Freundin stritt. Vor weniger als zehn Minuten, mitten auf dem Schulhof waren sie in eine laute Diskussion ausgebrochen.

Er wollte jetzt nicht noch ein zweites Mal negativ auffallen, indem er einen Wutanfall bekam.

Das Minispiel zu spielen war leider auch nicht viel besser, denn auch dieses machte ihn wütend. Warum konnte er dieses verdammte Level nicht endlich mal schaffen? Statt freudig mit einem Doppelklick seinen Charakter ins Ziel hüpfen zu lassen, bewegte sich sein Finger auf dem Bildschirm nach unten. Der Charakter machte eine Rolle und landete im Nirgendwo.

Wieder schloss er die App und hoffte auf neue WhatsApp-Nachrichten, Instagram-Benachrichtungen oder dem Upload eines neuen YouTube-Videos. Irgendetwas, was in ablenken konnte, damit er hier nicht gleich explodierte.

Dieses Mal hatte er Glück. Alex hatte ihm geschrieben.


Alexander Wolf:

Hast du Zoe heute schon gesehen? Ich will mit ihr reden.


Moritz Holin:

Worüber?


Alexander Wolf:

Anscheinend soll sie sich gestern schon wieder mit einem Jungen getroffen haben. Ich weiß, es sollte mich nichts angehen, aber sie soll wissen, was für eine verlogene Schlampe sie ist!


Moritz hätte gerne etwas zu ihrer Verteidigung erwidert. Er kannte Zoe zwar nicht gut, sie war ja erst drei Monate in der Stadt, trotzdem hatte er die kleine kurz- und schwarzhaarige, etwas verpeilte, jedoch trotzdem liebenswerte Frau bereits ins Herz geschlossen.

Sie hatte Sophias Clique nicht nur im Hinblick auf die sexuelle Orientierung bereichert. Sie war außerdem ein wahres Stylingwunder und konnte den Mädchen auch beim gemeinsamen Lernen für Tests helfen.

Außerdem war Alexanders Behauptung falsch. Wie wir alle wussten, hatte Zoe am Abend mit der unbekannten Instagram-Nutzerin über ihr bevorstehendes Date geschrieben.


Alexander Wolf:

Ich glaube, ich habe sie gefunden. Wünsch mir Glück!


Wofür? Wollte Moritz fragen. Sobald Alex Zoe fand, stand ihm nichts mehr im Wege, sie fertig zu machen. Vielleicht konnte Alex einen Schlag ins Gesicht vertragen, das ja. Aber Glück?


Moritz Holin:

Viel Glück!


Es klingelte. Hoffentlich schaffte es Zoe, sich in ihre Klasse zu flüchten, bevor Alex sie fand. Sie war diejenige, die hier Glück brauchte.

Die Schüler um Moritz herum begannen, in Richtung des Schulgebäudes zu gehen. Langsam, um bloß nicht pünktlich zu kommen. Je später die Scharen an ihren Plätzen ankamen, desto später startete der Unterricht. Soweit zur Theorie. Diese Überlegung war nur leider so einleuchtend, dass auch die Lehrer sie schon durchschaut hatten. Kamen die Schüler mehr als fünf Minuten zu spät, drohte ihnen, diese fünf Minuten von der Pausenzeit abgezogen zu bekommen.

Noch immer liefen vereinzelt Schüler mit ihren schweren Rucksäcken in Richtung des Schulgebäudes. 
Moritz nicht. Er stand, mit seinem Handy in der Hand, auf dem Schulhof und sah unsicher hin und her.

In wenigen Sekunden musste er eine Entscheidung treffen. Entweder musste er gleich im Matheunterricht unweit von Sophia entfernt sitzen, oder er konnte die Schule schwänzen. Aus kurzer Sicht klang die Schule zu schwänzen natürlich nach mehr Spaß, aber sobald seine Eltern Wind davon bekamen, wären ihm Sophias eiskalte Blicke wohl doch lieber gewesen.

Es klingelte ein zweites Mal und Moritz verdrehte die Augen. Das war sein Stichwort gewesen. Lieber gar nicht kommen, als zwei Minuten zu spät.

Also drehte er sich herum, sodass er statt dem Schulgebäude die Straße in Augenschein nahm. Nun standen ihm alle Wege offen. Es war ihm überlassen, wohin er ging.

Diese Überlegung gefiel ihm. 

Dying BeautyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt