Dying Beauty

Zehn: Isabella

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Mittwoch 11.02.2019       19:49 Uhr

Isabella Goldbaum

Als Isabella später von ihrer Mutter gerufen wurde, hatte sie sich endlich beruhigt. Ihre Worte hallten zwar immer noch in ihren Gedanken nach, doch sie hatten an Bedeutung verloren. Je länger sie über sie nachdachte, desto klarer wurde ihr, dass ihre Mutter nur Spaß gemacht hatte. Sie würde Sophia Blackwolf nicht erpressen.

Isabella trat in die Küche und ein wohliger Geruch machte sich in ihrer Nase breit. Ihre Mutter hatte für sie Ofenkartoffeln mit Frischkäse gemacht.

„Alles wieder gut?", fragte diese sie reumütig.

„Klar." Isabella setzte sich und nahm ihre Gabel in die Hand.

Die Kartoffel war bereits geschnitten, so wie alles, was Isabella zu sich nahm.

Ihre Mutter musste ihr stets alles schneiden, damit Isa Messer weder sehen noch anfassen musste. Dies war auch der Grund, warum sie täglich Essen von zuhause mitbekam, und nie in die Schulkantine ging.

Isabella hatte nun schon keine Messer mehr gesehen, seit sie fünf Jahre alt ... und Jacky aufgetaucht war.

Zu dieser Zeit hatte ihr Vater noch gelebt.

Das war nun schon ewig her, und trotzdem traute sie sich noch immer nicht, an diese Zeit zurückzudenken.

Besonders an diesen einen Moment. Diesen Moment, der sie zu dem Menschen gemacht hatte, der sie heute war.

Es war nun schon fast elf Jahre her.

Isabella war an diesem Tag krank gewesen. Ihre Mutter war kurz einkaufen gefahren, um ihr ein paar Sachen zu besorgen und Isabella dachte, sie wäre alleine zuhause.
Doch als sie in die Küche kam, stellte sich heraus, dass sie sich getäuscht hatte. Sie hatte sich nur ein Glas Wasser holen wollen, um ihren trockenen Hals zu beruhigen.

Ihr Vater saß in der Küche, auf seinem Platz am Tisch, neben dem Fenster.
Mehr tat er nicht.
Er saß, ... doch er atmete nicht.

Isabella nahm das Blut an seinem Hals wahr. Sie sah die vielen Flaschen hochprozentiger Getränke, die vor ihm standen und sie saß das große Messer.

An diesem metallischen Monster klebte das gleiche Blut, wie am Hals ihres Vaters. An den scharfen Zacken des Bestecks klebte das Leben ihres Vaters.

Auch mit ihren jungen Jahren war Isabella klar, dass er tot war. Sie begann zu schreien.

Sie schrie und weinte, bis ihre Mutter auftauchte und sie von der Szene wegzerrte.

An diesem Abend wurde Jacky geboren, um Isabella zu beschützen. An diesem Abend begann ihre Phobie für Messer und für Alkohol und an diesem Abend verwandelte sich Isabella in das stille, lesende Mädchen, das sie noch immer war.

Sie wusste bis heute nicht, ob sie traurig darüber war, ohne Vater aufgewachsen zu sein, denn natürlich war sie wütend auf ihn. Er hatte seine Tochter an diesem Tag an seinem Suizid teilhaben lassen. Er hatte gewusst, dass sie krank war und deshalb vom Kindergarten zuhause blieb, und trotzdem hatte er sich umgebracht. Und auch in der Zeit davor hatte er sich definitiv nicht mit Ruhm bekleckert.

Nachdem Isabellas Mutter von einer Affäre erfahren hatte, die er ein paar Monate vor ihr verheimlicht hatte, begann er zu trinken. Isabella fand es fast ironisch, dass die fremde Frau ihn nur benutzt hatte, um ihren Mann eifersüchtig zu machen. Ihr Vater hatte nämlich geplant, ihre Mutter für diese Affäre zu verlassen. Er hatte diese Frau geliebt und hätte für sie seine Familie verraten.

Die Frau war auch leider keine Unbekannte gewesen, wie Isabella später herausfand. Wie könnte es anders sein, natürlich handelte es sich um Sophias Mutter. Immerhin wollte diese sich daran rächen, dass ihr Mann ihr fremdging.

Dieses ganze Zusammenspiel an Sonderlichkeiten war auch der Grund gewesen, warum Isabella vorhin fast die Fassung verloren hatte. Ihre Mutter war noch immer sauer auf die Blackwolfs. Darüber, dass sie Isabella ihren Vater genommen hatten, nur um ihr dämliches Machtspiel austragen zu können.

Natürlich war sie ebenfalls nicht begeistert davon. Doch ihre Mutter sollte deshalb nicht Sophia schlecht machen. Sie war diejenige, die für das alles noch am wenigsten konnte.

In der Zeit, nach dem Tod ihres Vaters hatten sich die beiden zwar nicht unterstützt, doch Sophia hatte trotzdem von Isabellas zweiter Persönlichkeit erfahren. Sie wusste nicht, dass Jacky auch die Fußballtrainerin von Moritz' Mannschaft war. Sie wusste nur, dass ihre Mitschülerin Isabella ein Geheimnis hatte.

Isa versuchte zu vergessen, was sie mit Sophia verband. Sie wollte nichts mehr mit ihr zu tun haben. Die Vergangenheit, die ihre Eltern sich teilten, war vorbei.

Von den ganzen Dramen hatte sie zu dieser Zeit nichts mitbekommen und hätte es am liebsten auch nie. Erst im Nachhinein hatte ihre Mutter ihr erzählt, was zwischen ihrem Vater und Sophias Mutter passiert war.

Sie hatte ihm das Herz gebrochen als er herausfand, dass er nur ein Spielzeug in ihrem Rosenkrieg war. Ihr Vater hatte seinen Stolz und seine Ehre verloren und damit auch seine Frau und seine Tochter verraten. Er wusste nur noch den Alkohol als Ausweg zu benutzten.

Isabellas Mutter hatte sich zwar Sorgen gemacht, doch dass es so enden würde, hatte sie nicht gedacht. Sie wollte ihrem Mann eine kleine Auszeit gönnen, damit er wieder zu klarem Verstand kam. Sie hatten ihn für zwei Monate beurlaubt und gehofft, dass er in dieser Zeit wieder zu neuem Leben erwachte. Dass er wieder merkte, wie schön es war, eine Familie zu haben.

Keiner hätte erwartet, dass er sich gleich das Leben nahm ... und vor allem nicht die kleine Isabella.

Nun war das alles schon fast elf Jahre her und Isa bekam immer noch Albträume von diesem Tag.

Die Ärzte, die ihr dabei halfen, trotz ihrer zweiten Persönlichkeit ein normales Leben zu führen, waren sich einig. Ihre Mutter sollte noch warten, bevor sie versuchte, die Messer wieder für sie einzuführen. Isabella brauchte noch immer Zeit, den Schock zu verarbeiten. Und wahrscheinlich würde sie ihn auch nie ganz vergessen haben. Denn das Bild, was sich ihr mit fünf Jahren in den Kopf gebrannt hatte, würde nie verschwinden. Sie hatte die Leiche ihres Vaters gesehen.