Zwei: Moritz

60 13 10
                                    

Sonntag 08.02.2019 09.15 Uhr

Moritz Holin

Als er im Umkleideraum ankam, trat ihm der bekannte Geruch von Schweiß und Kunstrasen in die Nase.

Andere Menschen hätte dieser Gestank gestört, doch für Moritz roch es fast wie nach Hause kommen. Sein ganzes Leben schon hatte er auf dem Platz verbracht und fühlte sich hier fast wohler, als bei seinen Eltern zuhause.

Ein paar seiner Mannschaftskollegen begrüßten ihn. Es waren noch nicht allzu viele da. Moritz kam meist als einer der ersten, um genug Zeit zu haben, seine Dehnübungen zu machen und sich aufzuwärmen. Gerade jetzt, Anfang Februar, wo es noch kalt war, befand er es für wichtig, sich frühzeitig warm zu machen.

Seine Devise war, doppelt hält besser. Auch wenn er sich nachher noch mit seiner Mannschaft aufwärmen würde, konnte eine zusätzliche Runde alleine nicht schaden.

Moritz hörte den anderen bei ihren Gesprächen zu, während er sein Sportzeug aus der Tasche nahm. Die meisten seiner Mannschaftskameraden waren auch auf seiner Schule, weshalb sich auch hier leider alles um den Valentinsball drehte.

Einer der Jungs drehte sich zu ihm. „Hast du Sophia schon gefragt, ob sie mit dir hingeht?" 
Moritz nickte nur. Er hatte keine Lust, die Geschichte zu erzählen, wie es dazu kam. Für ihn fühlte sich das alles immer noch nicht richtig an.

Er zog sich deshalb schnell um und ging dann aus der Kabine, um seine Übungen zu machen.

Er nahm sich Zeit für die Dehnungen und joggte dann eine Runde um den Platz. Als er schließlich in die Umkleide zurückkehrte, war seine Mannschaft versammelt. Gemeinsam würden sie gleich noch einmal ein paar Aufwärm-Übungen machen, aber vorher würde die Spielbesprechung stattfinden.

Moritz setzte sich auf die Bank neben seine Sporttasche. Er nahm sich seine Trinkflasche und kippte eifrig einen Teil der kühlen Flüssigkeit in sich hinein.

Während seiner Jogging-Runde waren seine Muskeln langsam warm geworden und so tat das kalte Wasser gut und half ihm, wieder klar im Kopf zu werden.

Nach ein paar Minuten, in denen Moritz einfach nur still auf der Bank gesessen und den Gesprächen seiner Teamkameraden gelauscht hatte, trat der Trainer ein. Sofort versteifte er sich. Auch wenn sich seit Monaten nichts an seiner Position geändert hatte, wurde Moritz trotzdem immer nervös, wenn es um die Aufstellung ging.

Der Trainer räusperte sich: „Hallo zusammen. Ich werde mich heute kurzfassen. Die traurige Nachricht zuerst - Jacky wird erst in der zweiten Halbzeit zu uns stoßen."

Jacky war seine Co-Trainerin. Sie hatte früher in der Mannschaft gespielt, aber ab der C-Jugend durften Mädchen nicht mehr in Jungsteams spielen. Statt zu einer Mädchenmannschaft zu wechseln, entschied sich Jacky dafür, bei ihnen zu bleiben und Co-Trainerin zu werden.

Sie war ein wichtiges Mitglied des Teams, wenn nicht sogar das wichtigste. Denn Jacky gab nie auf. Auch nach einem verlorenen Spiel, wenn alle Jungs die Köpfe hängen ließen, sprach sie der Mannschaft Mut und Hoffnung zu.

Sie war die Autoritätsperson des Teams. Sie sah gut aus - keine Fragen - aber niemand traute sich, sie nach einem Date zu fragen. Mit Sicherheit hätten einige der Jungs Lust darauf, doch Jacky entgegenzutreten war eine wahre Mutprobe. Sie wirkte nie sonderlich sentimental. Nie ließ sie eine wirklich emotionale Seite von sich blicken. Jacky war weitaus taffer als der männliche Teil des Teams.

Der Trainer sprach weiter: „Bis Jacky auftaucht habe ich das alleinige Kommando. Für die Aufstellung bedeutet das, David im Tor ..." Der Trainer nannte die Spieler der Abwehr und des Mittelfeldes. Moritz interessierte sich jedoch nur für den Sturm. Für die Position des Kapitäns.

„Im Sturm versuchen wir heute mal etwas Neues", sagte der Trainer nun. „Tim, du wirst als Kapitän spielen", beendete er die Aufstellung. „Der Rest nimmt wie immer Platz auf der Bank."

Moritz Hand, die bis jetzt auf der Bank gelegen hatte, bohrte sich plötzlich tief in das morsche Holz und rutschte schließlich davon ab. Er spürte den Holzsplitter, der sich tief in seine Hand bohrte. Er schrie nicht. Der Schmerz erfasste ihn von innen. Er hatte es gewusst. Dieser neue Spieler würde ihm seine Position wegnehmen.

Und das tat viel mehr weh, als der Holzsplitter in seiner Hand. 

Dying BeautyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt