Donnerstag 12.02.2019 13:01 Uhr
Tim Gewan
Gierig schlang Tim seine Spaghetti herunter. Er hatte in den wenigen Tagen, in denen er nun schon an dieser Schule war, bereits begriffen, dass man nur etwas Leckeres zu Essen bekam, wenn man schnell genug war. Also rannte er seitdem jedes Mal zum Essen, um einer der ersten zu sein, der sich etwas aussuchen konnte. Dass ihn viele der anderen deshalb dumm anguckten, war ihm egal. Seine Mitschüler konnten denken, was sie wollten. Immerhin war Tim derjenige, der wegen seinem Lauf jeden Tag ein leckeres Essen vor sich hatte.
Das Einzige was Tim zusetzte war, dass er immer alleine essen musste. Er hatte sich noch immer nicht mit seinen Mitschülern angefreundet und auch seine Teamkollegen behandelten ihn, als wäre er Luft. Tim würde gerne in der Zeit mit Annika telefonieren, aber in der Mensa waren Handys verboten.
Er hatte keine Lust, sich mit jemandem anzufreunden, wenn er wusste, dass er nicht erwünscht war. Immerhin dachte gerade die ganze Schule, er wäre ein berüchtigter Hacker.
„Ist hier noch ein Platz frei?". Tim sah von seinem Essen auf. Er hatte gar nicht gemerkt, dass ein Mädchen an seinen Tisch getreten war und ihn nun anlächelte.
Sie hatte braune Haare, braune Augen und ein unauffälliges Outfit aus blauer Jeans und schwarzem Pulli an. In ihrer Hand hielt sie ein Tablett, auf dem sich eine Portion Spagetti befanden. Tim kannte das Mädchen nicht, doch sie könnte trotzdem in seinem Jahrgang sein, da sie nicht wesentlich jünger aussah als er.
„Klar, setz dich", ermutigte er sie. Sie stellte ihr Tablett vor ihm ab und stellte ihren Schulranzen auf den Platz neben sich. Dann begann sie zu essen.
„Du bist Tim Gewan, oder?" Sie drehte ihre Spaghetti auf der Gabel und sah ihn fragend an. Ihre Frage ließ darauf schließen, dass sie wirklich in seinem Jahrgang war.
„Ja", antwortete Tim. „Aber ich habe leider keine Ahnung, wer du bist", gab er dann zu.
Das Mädchen starrte einige Sekunden auf den Teller vor sich, dann sah sie wieder ihn an. Es war fast gruselig, und hätte sie nicht im nächsten Moment geantwortet, hätte Tim sie gefragt, ob alles okay war.
„Ich bin Isabella Goldbaum. Wir haben zusammen Englisch."
Das war echt peinlich! Sie hatte eben im gleichen Raum wie Tim gesessen und er es nicht einmal bemerkt.
„Oh, tut mir leid. Ich muss dich wohl übersehen haben. Aber ich bin auch echt schlecht darin, mir Menschen zu merken. Ich glaube, ich kann dir auch keine andere Person nennen, die mit uns Englisch hat." An Tim nagten Gewissensbisse, denn das entsprach nicht ganz der Wahrheit.
Alexander Wolf, Zoe Valard, Marie Lauter. Von diesen Personen kannte er die Namen.
„Kein Problem, mich übersieht man leicht." Isabella lächelte ihn weiterhin an.Doch beide wussten daraufhin nicht mehr, was sie sagen sollten. Sie kannten sich nicht, oder zumindest dachte Tim das. Sie hatten kein Gesprächsthema.
Zum Glück wurde die peinliche Stille aber bald durchbrochen. Zoe Valard erhob sich von einem der anderen Tische in der Mensa und rannte nach draußen. Alexander Wolf folgte ihr und rief: „Zoe warte doch!"
Tim sah Isabella an und diese schenkte ihm wieder in Lächeln. „Die beiden scheinen nicht sonderlich glücklich miteinander zu sein", kommentierte er.
Vielleicht bildete Tim es sich ein, aber Isabellas Stimme klang ein klein wenig anders, als sie ihm antwortete: „Ja, aber sie sind ja jetzt auch schon fast eine Woche nicht mehr zusammen. Ich hätte dir gleich sagen können, dass diese Beziehung keine gute Idee war. Die beiden passen gar nicht zueinander."
„Warum?"
„Zoe ist viel zu aufbrausend für ihn. Alex ist ein Chaot und er braucht eine Freundin, die ihn bremst, statt ihn weiter ins Chaos zu stürzen."„Das ist eine interessante Denkweise", kommentierte Tim. „Die meisten unserer Mitschüler hätten sicher gesagt, dass Zoe nicht die treueste Freundin ist."
Isabella schüttelte den Kopf. „Ich glaube aber nicht, dass das stimmt. Beim ersten Mal, wo sie fremd gegangen ist, war sie betrunken und auch wenn ich mich damit nicht auskenne, kann ich mir vorstellen, dass sie nicht mehr klar denken konnte."
„Und Moritz?", fragte Tim interessiert.
„Das ist auch nicht passiert, weil die beiden so Lust darauf hatte, sondern aus Trotz. Beide waren sauer auf Sophia und wollten ihr ihre Gemeinheiten heimzahlen", erklärte Isabella.Tim nickte. „Das klingt wirklich schlau. Schade, dass nicht jeder so denken kann. Ich glaube, bei den meisten hier ist Zoe unten durch."
„Stimmt."
„Was hältst du von diesem Gossip-Blog?". Jetzt war Tims Neugier geweckt. Wenn er endlich eine Gesprächspartnerin hatte, wollte er das auch ausnutzen.
Isabella brauchte lange, bis sie endlich antwortete: „Naja ... ich denke, die Menschen sind selbst schuld, wenn sie so große Geheimnisse haben."
„Und das berechtigt eine fremde Person dazu, diese Geheimnisse im Internet zu posten?"„Nicht unbedingt. Aber in seiner Jugend macht man viele Fehler und wenn man darüber lesen kann, merkt man vielleicht auch, dass man nicht der Einzige mit diesen Problemen ist. Ich habe schon viele Kommentare unter dem Blog gelesen, bei denen Leute darüber schreiben, dass es ihnen ähnlich geht. Vielleicht ist nicht alles an diesem Blog gut, aber er verbindet die Menschen."
Tim blieb eine Weile lang ruhig, während er sich wieder seinem Essen widmete. Isabella hatte in gewisser Hinsicht recht. Doch vollends zustimmen konnte er ihr auch nicht.
„Was denkst du denn, wer den Blog leitet?", fragte sie plötzlich.
„Ich habe keine Ahnung", gab er ehrlich zu.
„Viele denken ja, dass es Sophia ist ...".
„Das glaube ich aber nicht. Ich kenne sie ja noch nicht lange, aber auch ich weiß, dass sie gerade eine Veränderung durchmacht. Sie versucht, ein besserer Mensch zu werden. Und deshalb würde sie gerade niemals einen Gossip-Blog gründen."
„Da hast du recht", gab Isabella zu.
„Wen verdächtigst du denn?"
Sie lachte wissend. „Ich kann dir sagen, wen ich nicht verdächtige: Marie. Die wurde eben nämlich ganz schön von „mitten-unter-euch" fertiggemacht."
„Inwiefern?", fragte Tim gespannt.
„Anscheinend soll sie Sophias Haterin sein. Sie wollte ihre ehemalige Freundin mobben, um sich so die Krone der Schulkönigin zu stehlen."Tim schnappte nach Luft. „Nicht dein Ernst?" Das hatte er nicht erwartet.
„Doch." Isabella war kurz davor, ihr Handy aus der Tasche zu ziehen, doch hielt dann inne. „Oh man, ich vergesse immer, dass Handys hier nicht erlaubt sind."
Tim lachte. „Geht mir genauso. An meiner alten Schule saßen alle Schüler mit ihren Handys beim Essen. Wobei das sicher immer ein trauriges Bild abgegeben hat. Ich kann also verstehen, warum es hier verboten ist."
„Du hast wohl recht. Naja, ... dann musst du dir den Post nachher wohl selbst durchlesen." Sie blickte auf ihre Armbanduhr. „Oh, die Pause ist ja schon fast um. Ich muss los!" Sie hob noch einmal die Hand zum Abschied, dann war sie weg.
Tim brauchte ein paar Minuten, bis er verstanden hatte, was gerade passiert war.
Er hatte seinen ersten Kontakt geknüpft. Isabella Goldbaum war der erste Mensch an dieser Schule gewesen, der mit ihm geredet hatte.
Sie hatte sich wirklich mit ihm unterhalten!
Diese tolle Nachricht musste er gleich Annika überbringen. Die hing ihm nämlich schon seit seinem ersten Tag hier in den Ohren, dass er sich mit den Menschen unterhalten sollte.
Jetzt würde er ihr endlich sagen können, dass er eine erste Person kennengelernt hatte.
Tim konnte nicht ahnen, dass sich jemand auf der Mädchentoilette gerade genauso sehr freute wie er. Isabella hatte nicht nur mit jemandem gesprochen, sie war auch das erste Mal in der Mensa gewesen auf die Gefahr hin, einem Messer zu begegnen. Natürlich hatte Jacky im Vorhinein nachgesehen, was es an dem Tag zu essen gab, und bei Spagetti, Salat oder Pommes würde wohl kaum einer ein Messer benutzten, trotzdem war es ein Risiko gewesen.
Doch alle drei, Tim, Isabella und auch Jacky, konnten im Laufe des Tages ihre Freude nicht mehr verstecken.
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Dying Beauty
Mystery / Thriller𝔖𝔭𝔦𝔢𝔤𝔩𝔢𝔦𝔫, 𝔖𝔭𝔦𝔢𝔤𝔩𝔢𝔦𝔫 𝔞𝔫 𝔡𝔢𝔯 𝔚𝔞𝔫𝔡, 𝔴𝔢𝔯 𝔥ä𝔩𝔱 𝔡𝔦𝔢 𝔚𝔞𝔣𝔣𝔢 𝔦𝔫 𝔡𝔢𝔯 ℌ𝔞𝔫𝔡? Ein Mädchen wird sterben ... Doch was passiert, ist noch unklar, denn es dauert noch eine Woche bis zum Valentinsball. Isabella, Morit...