Zwei: Tim

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Sonntag 08.02.2019 09.25 Uhr

Tim Gewan

Tim zog seine Schuhe an und schnürte die Schnürsenkel zu. Die Luft in der Kabine war stickig. Alle waren angespannt. Aber nicht so angespannt wir er. Für ihn stand nicht nur der Sieg und damit der erste Platz in der Liga auf dem Spiel, sondern auch sein Platz im Team, sein Platz in der Stammelf. Sonst würde er gleich wieder nach Hause fahren können. Dann müsste er Annika erklären, dass er gescheitert war.

Dem Team war es anzumerken, dass sie über die neue Aufstellung nicht glücklich waren. Moritz war seit Monaten ihr Kapitän gewesen und nun hatte der Neue diese Position nach zwei Stunden Training abgeworben.

Natürlich verstand er das. Er wäre auch wütend gewesen, wenn ihm jemand so leicht seinen Platz weggenommen hätte.

Tim wollte mit Moritz reden. Er wollte ihm sagen, dass es ihm leid tat. Doch als er zu Moritz sah, überlegte er es sich anders. Moritz sah mehr als nur wütend aus. Sein Gesicht zog eine Grimasse, dass man dachte, gleich würde es auseinanderfallen und seine Hände umklammerten die hölzerne Bank unter ihm. Sicher war er gerade nicht zu einer Aussprache bereit.

Was Tim nicht sah, war das Blut, welches von Moritz' Hand auf den Boden tropfte.

Tim seufzte. Jetzt hatte er sich schon in der ersten Woche einen großen Feind gemacht, na ganz toll. Natürlich war Tim mit dem Ziel in die Mannschaft gekommen, seine Karriere auszubauen und nicht um Freunde zu finden. Trotzdem nagte das schlechte Gewissen an ihm.

Auf dem Weg raus aus der Kabine, rauf auf den Platz, drückte ihm der Trainer die Kapitänsbinde in die Hand und wünschte ihm viel Glück.

Das half seiner Nervosität nicht wirklich. Für Tim stand jetzt alles auf dem Spiel. Würde er diese Chance vertun, dürfte er sicher nie wieder in der Stammelf spielen.

Am Spielfeldrand nahm Tim die Fans der Mannschaft war. Ein paar Mädchen und Jungs erkannte er, sie gingen in seine Schule. Auch ein paar Eltern waren gekommen.

Dann sah er Annika. Hatte sie nicht gesagt, sie würde heute shoppen gehen? Offenbar hatte sie ihn angelogen, um heimlich zum Spiel zu kommen.

Das zauberte ein Lächeln auf Tims Lippen. Auf seine Freundin war Verlass. Er wäre gerne zu ihr hingerannt, um sie zu umarmen, doch das wäre unprofessionell. Er musste sich auf das Aufwärmen konzentrieren.

Trotzdem winkte er ihr leicht. Sie sah es und zwinkerte ihm zurück.

Da war es mit ihm geschehen. Scheiß auf die Professionalität. Er sah sich schnell zu seinem Trainer um, um sich zu vergewissern, dass dieser nicht zu ihm hinüberblickte, dann machte er sich auf den Weg zu Annika.

„Was machst du denn hier?", begrüßte er sie.

Annika zog ihn in ihre Arme und flüsterte: „Überraschung."

Er musste lachen. „Das sehe ich. Aber wie komme ich zu der Ehre?"


„Naja, wir haben uns eine Woche nicht gesehen. Ich habe entschieden, dass das eine viel zu lange Zeit ist und bin hergefahren."

„Das war eine schöne Idee." Tim vergrub seine Nase in Annikas roten Haaren. Sie dufteten wie immer nach Apfel und Ananas. Wie oft hatte sich Tim schon darüber lustig gemacht, dass sowohl ihr als auch die Namen ihrer Lieblingsfrüchte mit A begannen. Eigentlich hatte er es nie lustig gefunden. Dafür genoss er den Duft viel zu sehr. Doch das konnte er ja nicht zugeben. Es war viel amüsanter zu sehen, wie er Annika damit anstacheln konnte.

„Du riechst schon wieder sehr nach A", kommentierte er deshalb.

Doch dieses Mal lachte Annika nur, denn sie konnte sich mit einer Erwiderung rächen. „Sehr lustig. Dafür riechst du sehr stinkig. Und das, bevor das Spiel überhaupt angefangen hat. Wann hast du das letzte Mal geduscht?" 


„Gestern Abend", antwortete Tim jetzt kleinlaut. „Du auch, nehme ich an."

„Natürlich. Um so einen schönen A-Geruch zu erschaffen muss ich möglichst viel Shampoo benutzen und meine Haare danach lufttrocknen."

„Nichts anderes habe ich gemacht."

„Oh doch ... offensichtlich hast du nämlich keinen Eins-A-Duft, sondern einen sehr stinkigen Duft verwendet."


„Oh wow! Einen Eins-A-Duft. Nicht schlecht. Der Punkt geht an dich", gestand Tim.

Seine Freundin lächelte ihn an. „Pass auf, bald habe ich bessere Sprüche drauf als du. Aber jetzt solltest du dich erst einmal auf das Spiel konzentrieren. Duschen kannst du nachher noch."

Annika hatte recht. Mit einem leichten Kopfnicken deutete sie auf den Trainer, welcher Tim mit einem fragenden Blick ansah. Anscheinend dachte er, etwas wäre mit seinem neuen Spieler nicht in Ordnung.

Um ihn vom Gegenteil zu überzeugen gab Tim seiner Freundin noch schnell einen Abschiedskuss und joggte dann zurück aufs Feld.

Tim kam aus dem Strahlen nicht mehr heraus. Plötzlich war seine Angst wie weggeblasen. Wenn seine Freundin bei ihm war, konnte ja gar nichts mehr schiefgehen. Oder?

Dying BeautyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt