Fünf: Isabella

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Montag 09.02.2019     15:53 Uhr

Isabella Goldbaum


Die Busfahrt von der Schule nach Hause hatte nicht lange gedauert. Nun standen Mila und Isabella wieder in ihrem Flur und zogen die Schuhe und Jacken aus.

Isabellas Mutter war wie immer nicht zuhause, doch für die beiden stand eine Pfanne mit Gemüse und Reis parat. Isabella hatte ihrer Mutter in der Schule geschrieben, dass sie Mila mit zu sich nach Hause brachte, weshalb diese in ihrer Mittagspause für die beiden gekocht hatte. In der Schule aß Isabella nie in der Mensa, doch der Grund dafür war eine Geschichte für eine andere Zeit ...

„Hast du Hunger?", fragte sie Mila.

Diese schüttelte den Kopf. „Eigentlich nicht. Aber nachher vielleicht." 
Neben der Pfanne, welche sich auf dem Herd befand, lag auf einer Ablagefläche ein Paket. Isabella ging zu ihm und nahm es in die Hand. „Ich denke, das ist das Glätteisen. Meine Mutter hat extra meinen Namen als Empfänger angegeben."

„Dann nehmen wir es doch mit hoch, packen es aus und schließen es an. Ich will endlich wissen, wie ich mit glatten Haaren aussehe!" Mila war sehr aufgeregt.

Isa lachte. „Also schön. Aber nur wenn du mir danach mit dem Dutt hilfst."

Die beiden Freundinnen gingen die Treppe hinauf und betraten Isabellas Zimmer.

Dort schien die Sonne durch das Fenster hinein. 
„Oh Mann ist das warm hier", beschwerte sich Bella. In ihren dicken Pullis spürte man sofort den Temperaturanstieg.

Es war wirklich recht warm für einen frühen Februartag. 
Isabella ging zum Fenster und öffnete es, um in ihrem Zimmer wenigstens einmal kurz durchzulüften.

„Schon gut, so warm ist es nun auch nicht. Gib mir mal die Schere." Mila hatte sich, wie schon am Sonntag auf das Bett gesetzt und streckte nun ihre Hand nach der Schere aus, die auf Isabellas Schreibtisch lag.

„Hier bitte." Die Schere wurde durch das Zimmer gereicht und mit ihr die Verantwortung für das Päckchen und das in ihm befindende Glätteisen.

Während sich Mila an die Arbeit machte, das Eisen erst aus dem Paket und dann aus seiner Verpackung zu befreien, schaltete Isabella ihren Laptop an. 
Ihre Geschichtslehrerin hatte ihnen vorhin gesagt, dass sie ihnen die Hausaufgaben per E-Mail zukommen lassen wollte. Isabella hoffte, dass diese bereits angekommen waren und sie sie nun ausdrucken konnte.

Als Mila den Laptop sah, musste sie lächeln. „Du hast ja immer noch dieses alte Teil."

„Nur weil du dir jedes halbe Jahr einen neuen gönnst, muss ich das nicht auch tun. Er funktioniert noch und das ist das Wichtigste", verteidigte sich Isabella.

Mila war echt schlimm, wenn es um Computer ging. Auch wenn sie Isabella nie verriet, was sie damit machte, wünschte sie sich zu ihren Geburtstagen und zu Weihnachten stets einen neuen.

„Dieses Mammutgerät wird es sicher schaffen, dich zu überleben. Aber leider wird er dabei immer langsamer. Irgendwann wirst du Buchstaben eingeben und sie werden erst drei Stunden später auf dem Bildschirm angezeigt werden." Mila verdrehte die Augen. Es war sinnlos mit Isabella über Computer zu diskutieren, sie hatte davon ja sowieso keine Ahnung.

„Wie gesagt, er tut was er soll. Solange werde ich ihn nicht ersetzten."

Endlich war der Laptop hochgefahren und Isabella gab nun das Passwort ein. Währenddessen hatte Mila es geschafft, das Glätteisen vollständig auszupacken.

Sie robbte über das Bett, um an eine Steckdose zu kommen, die sich neben dem Nachttisch befand. 


„Fertig", verkündigte sie zufrieden, als sie merkte, dass es langsam heiß wurde. „Jetzt bist du dran." Sie hielt Bella das Eisen hin.

Diese kam zu ihr, nahm es und fing an, es über Milas Haare zu ziehen.

„Mach ich das richtig?" 


„Denke schon. Die Strähne sieht auf jeden Fall glatter aus als vorher."

Bella lachte. „Woher willst du das denn wissen? Deine Haare sind so kurz, dass du sie so doch gar nicht sehen kannst."

„Ich weiß es einfach." Mila grinste erst, doch dann deutete sie mit ihrer Hand auf die Zimmerwand. „Das war gelogen. Natürlich sehe ich in deinem Spiegel, was du mit meinen Haaren anstellst, du Dummi." Jetzt fingen beide an, laut loszulachen.

Nachdem Isabella mit der einen Strähne fertig war, setzte sie das Eisen an die nächste an. Leider berührte sie dabei mit dem Gerät ihre linke Hand, die Milas Haare hielt. „Aua!" Das Eisen hatte einen Brandfleck auf ihrer Haut verursacht. Es war nur gut, dass er nicht blutete.

„Oh nein, Bella. Das tut mir so leid!"

„Schon gut. Ich geh nur kurz ins Bad, um es mit Wasser abzukühlen. Warte bis ich wieder da bin."

Während Isabella sich aufmachte, schnellstmöglich ihren Finger zu kühlen, schaltete Mila das Glätteisen aus und setzte sich dann auf Isabellas Schreibtisch-Stuhl. Sie hätte ihrer Freundin gerne geholfen, doch diese hatte ihr ausdrücklich befohlen, hier sitzen zu bleiben. Nachdem sie sich ein paar Runden im Kreis gedreht hatte, blieb ihr Blick auf dem Bildschirm hängen. Isabella hatte ihren Dateien-Ordner geöffnet. Neben vielen Schulprojekten befand sich dort auch ein Word-Dokument mit dem Namen „Mitten unter euch". Mila wusste, dass sie dieses nicht anklicken sollte. Dies war Isabellas Eigentum. Privatsache. Wenn sie wollte, dass Mila es las, hätte sie es ihr gezeigt. Doch Milas Neugierde überwog. Mit einem schlechten Gewissen öffnete sie die Datei.

Wenig später hatte Isabella es geschafft sich wieder einigermaßen zu beruhigen. Die Wunde tat immer noch weh, aber sie sah nicht mehr so rot aus und der Gefühlsstrudel in ihrem Innern war zu großen Teilen beseitigt. Isabella hatte dagegen ankämpfen müssen, Jacky die Kontrolle über den Körper zu überlassen. Jacky wollte zurück zum Glätteisen rennen und es dafür bezahlen lassen, dem Körper Leid zugefügt zu haben. Doch was hätte Mila dazu gesagt, wenn sie Isabella dabei zusehen musste, wie sie das Glätteisen zertrümmerte.

Mila sollte nie von Jacky erfahren und deshalb musste der Körper vor ihr fliehen. Nun hatte Isabella die Kontrolle zurück, weshalb sie sich ein Pflaster auf die Wunde klebte, und dann zurück ins Zimmer ging.

Doch was sie dort sah, ließ sie fast erneut die Kontrolle verlieren. Mila saß vor ihrem Laptop und las in einem Dokument. Isabella erkannte sofort, um welches Dokument es sich handelte.

Ihr Gossip-Tagebuch!

„Was machst du da?", schrie sie Mila an und entzog ihr den Laptop. 
Diese sah sie mit großen Augen an. Ob sie sich nun schockiert, ertappt oder schuldig fühlte, war Isabella egal. Nun kannte sie eins ihrer zwei größten Geheimnisse. Sie wusste nicht, wie sie Mila das alles erklären sollte.

Doch eins wusste sie später genau. Es war nur im ersten Moment schlimm, dass Mila dieses Buch gefunden hatte. Denn eigentlich hatte sie ihr schon lange davon erzählen wollen. Es war schlimm, dass sie so viel vor ihrer besten Freundin verheimlichen musste und dass diese nun ein Geheimnis kannte, fühlte sich erstaunlich erleichternd an.

Vielleicht gewinnt unsere Freundschaft dadurch an Vertrauen.

Dying BeautyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt