Güven | Kapitel 72

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Lied: Mudi - Geldim

Sich von Can:

Reue: Abscheulichkeit. 
Ein anderes Wort könnte dieses Gefühl nicht besser beschreiben. Wieso gab es dieses Gefühl überhaupt? Warum bereute man etwas, was man selber gesagt oder getan hatte? Wobei, das schlimmste wäre doch das Leben, welches sich zu einer Reue entwickelt. Das eigene Leben, was man bereut.

Müde stand ich von meinem Bett auf, indem ich die ganze Nacht lag, ohne ein Auge zugedrückt zuhaben. Langsam lief ich ins Badezimmer. Jeder schlief noch, was um 6 Uhr morgens auch normal war.

Der Blick in den Spiegel lies mich selber erschrecken. Ich hatte tiefe, dunkle Augenringe. Rote Augen und eine blasse Haut.

So kaputt war ich zuletzt beim Tod meiner Schwester. Sie hatte mich zuletzt so allein fühlen lassen, nach Büsra. Beim Gedanken an meine Schwester verdoppelte sich der Schmerz in mir. Er wurde unerträglicher, als er schon war.

Das kalte Wasser prasselte von meiner Haut ab. Jeder Tropfen verursachte eine Gänsehaut auf meinem Körper und mein Atem wurde unregelmäßiger. Das eiskalte Wasser lies mich jeden Muskel anspannen. Aber trotzdem tat es mir gut.

Fertig umgezogen nahm ich mir noch schnell meine Autoschlüssel und lief aus meinem Zimmer raus. Gerade als ich dabei war das Haus zu verlassen nahm ich die Stimme meiner Mutter wahr und blieb abrupt stehen.
„Oglum" sprach sie in einer heiseren, verwirrten Stimme zu mir. (Mein Sohn)
Ich drehte mich zu ihr um und blickte in ihr müdes Gesicht. Sie sah etwas kaputt aus, was wahrscheinlich an mir lag. Dieser Gedanke machte mich ein weiteres Stück kaputt.

Die letzten Tage war ich wieder sehr distanziert ihnen gegenüber und meine Mutter nahm das ganze am meisten mit.
„Nereye bu saatte?" fragte sie mich vorsichtig. (Wohin um diese Uhrzeit?)
Ich schloss langsam die Tür die ich ein Spalt geöffnet hatte und drehte mich komplett zu ihr.
„Bilmiyorum Anne." gab ich ihr ehrlich zu und sank den Kopf. (Ich weiß es nicht Mama)

Mit gesenktem Kopf stand ich angewurzelt auf der Stelle stehen, bis ich eine Hand an meiner Schulter wahrnahm. Die Hand lies eine Wärme durch meinen Körper fließen. Eine Sicherheit löste sie in mir aus. Ich fühlte mich wohl. Es war die Hand meiner Mutter. Die Hand die ich am Todestag meiner Schwester losgelassen hatte.

Wie sehr ich doch Sehnsucht nach ihrer Nähe hatte. Erst da merkte ich was für eine Auswirkung meine Mutter auf mich hatte. Wie viel Kraft sie mir doch gab und wie gut sie mir tat.

„Komm" sagte sie leise und vorsichtig mit einem ganz schwachen Lächeln auf dem Gesicht.
Auf ihre Aussage zog ich mir die Schuhe aus und folgte ihr ins Wohnzimmer.

Ich setzte mich neben ihr auf die Couch und sah einfach vor mich hin. Ich wusste nicht was jetzt kommen würde. Sollte ich mich einfach mit ihr über meine Probleme reden, was ich zuvor kaum getan hatte? Das letzte wobei ich mich bei meiner Mutter beschwert hatte war, als meine Schwester und ich uns gestritten hatten und sie mir mein Ball weggenommen hatte. Bei diesem Gedanken bildete sich ein schmerzhaftes Lächeln auf meinen Lippen. Einerseits war es die schöne Erinnerung, über die ich jetzt lachen konnte und die Kleinigkeit meines Problems, aber andererseits rief es die Sehnsucht nach meiner Schwester in mir hervor. Wie es jetzt wohl mit ihr wäre? Sie hätte mir sicherlich viel geholfen. Bestimmt hätte ich mit ihr über meine Probleme reden können und mir sogar Tipps bei ihr holen können.

„Woran denkst du?" fragte mich meine Mutter und unterbrach meine Gedanken. Ich drehte mich zu ihr und sah ihr ins Gesicht. Ich konnte ihre Verzweiflung erkennen. Sie wollte mir helfen aber wie sollte ich mit ihr nach all den Jahren wieder über meine Probleme reden. Wäre das nicht egoistisch? Mich nach Jahren wieder in Ruhe mit meiner Mutter zu unterhalten und das wegen meines Problems?
„Ich bin deine Mutter Can. Rede doch mit mir." bittete sie mich wortwörtlich darum.
„Anne ich hab keine Kraft mehr." egal wie schwach sich dieser Satz anhört, es war das was ich in dem Moment fühlte.

Güven ~ VertrauenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt