Die andere Seite - 62

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Das Gras streifte zart mein Gesicht und ein kühler Windhauch ließ mich meine Augen öffnen. Wie lange lag ich hier? Lange genug um Grasspuren an Gesicht und Kleidung zu haben. Krampfhaft versuchte ich mich an etwas zu erinnern, doch da war nichts mehr.

"Komm." Eine warme Hand hob mich hoch und zog mich auf die Beine. Ich blickte in so unglaublich blaue Augen, so blau, dass das Meer schon grau erschien.

"Wieso -"

"Pscht." Er zog mich weiter auf die Wiese, bis es unseren Horizont füllte.

"Spürst du das? Hörst du das? Das ist Frieden! Auf der anderen Seite der Mauern mag es vielleicht Krieg geben, doch dies hier ist unberührt." Wieso war er nur hier und ... wo war Sema?

"Alleine nach Gondor. Ich sehe den suchenden Blick in deinen Augen und will nicht bestreiten das er mir gar bekannt vorkommt, doch ich erinnere mich nicht." Betrübt senkte ich den Kopf, doch er ließ es nicht zu.

"Jene Tage sind grau, doch nicht jeder Krieg muss gefochten werden. Mialoa, Sanwe, all die würden für uns sterben, doch sie werden dies überdauern."

"Und wenn nicht? Geht mit den Orks das Böse? Welche Macht mag die freien Völker stürzen? Ich sehe es! Ihr fürchtet euch!" Beinah hätte ich geweint, doch ich hielt stand.

"Es ist ein Drache. Ein Feuerdrache aus dem Norden belagert den Erebor."

"Das ist grausam! Was können wir tun?! Heilige Scheiße so einer der Feuer spuckt auch noch? Meine Fresse, dass kann ja heiter werden!" Zwar war ich mir nicht sicher woher ich seine Gunst so plötzlich verdiente, doch als er lächelte war mir das egal. Wenigstens für den Moment.

"Doch! Ein Bild! Eine Erinnerung kehrt zurück!"

"Welches?", wollte ich freudig wissen.

"Von dir. Von dir auf einem Balkon. Du warst erschrocken. Jedoch von was?" Ich wusste es noch ganz genau. Er meinte unsere erste Begegnung.

"Du hattest mich erschreckt! Aber das ist eine andere Geschichte. Was ist mit dem Drachen?" Er verzog kurz das Gesicht und winkte dann ab.

"Lass uns weggehen. Nur für einen Tag. Die andere Seite des Waldes sehen. Ich wollte dort schon immer mal hin und mein Herz riet mir dich mitzunehmen, obwohl ich noch bis vor kurzem einen Groll auf dich hegte." Brav Legolas Herz! Hast du fein gemacht!

"Das freut mich zu hören, jedoch was gibt es auf dieser Seite besonders zu sehen?"

"Frieden." Das war das Einzigste was er sagte, bevor er sich leichten Schrittes auf den Pfad begab. Wieso er nicht kämpfen wollte war mir kein Rätsel, denn das was ihm widerfahren war rechtfertigte das, und seine wandelnde Stimmung. Zwar vertraute ich jener noch nicht ganz, aber immerhin sah es nicht danach aus als wolle er mich jeden Moment abstechen. Das verriet mir sein leerer Köcher, und sein sonst so praller Waffengürtel, indem nun nur zwei Messer steckten. Er schien damit zufrieden zu sein und wenn er, dann ich auch.

Als wir den Wald beraten, legte sich der Wind und die Blätter rauschten ohne Geräusch dahin. Egal in welchen Teil des Waldes wir geraten waren, er war magisch.

"Ess lieber nichts. Dieser Ort ist zum sehen da, wie ein lebendes Bild, denn nimmer würdest du auch Papier essen, oder? Tun Leute eures Geschlechtes so etwas?" Natürlich nicht. Dumme Frage. Doch das wollte ich ihm nicht an den Kopf werfen aus Angst, ihn zu verärgern. Diesen Ort konnten nicht viele kennen, denn sonst wäre er umstellt von Wachen. Doch eine Frage blieb mir:

"Wie kann dieser Ort nur unentdeckt bleiben? So leicht zu finden er doch ist!"

"Nur die die es verdient haben ihn zu sehen, finden ihn auch. Bis jetzt konnte ich diesen Anblick nur mit wenigen teilen."

Schweigend liefen wir nebeneinander, solange bis Legolas auf einen Findling sprang und mir seine Hand reichte.

"Sieh da!" Als ich seiner Aufforderung folgte und seine Hand ergriff, konnte ich durch ein paar dicke Bäume eine Lichtung sehen. Nicht groß, aber wunderschön.

"Wie ich hörte wolltest du kämpfen lernen und wärst dabei fast aufgespießt worden. Hast dir aber auch einen lausigen Lehrer ausgesucht. Sema ist keiner der Gefühle anderer nachvollziehen kann. Das macht ihn zwar zu einem guten Kämpfer, doch auch zu einem grausigen Gefährten."

"Da hast du recht.", brummte ich leise.

"Wenn du magst, kann ich es dir versuchen zu zeigen." Ich war mir nicht sicher ob er es ernst meinte, denn sowohl das Kämpfen mit Sanwe, als auch mit Sema ging schief. Das es an der Familie lag zweifelte ich doch stark an.

"Nagut.", sagte ich trotzdem, denn eine Ablehnung käme mir fehl vor.

"Und was ist mit Waffen?"

"Nicht für jeden Kampf braucht man Waffen. Lass es uns ohne Schwert üben, damit dir die Übungen dann leichte von Hand gehen." Ich nickte nur.

"Also gut. Zuerst musst du eine Ausgangsposition einnehmen. Ellenbogen hoch und Kopf gerade." Alleine diese Übung verlange vollste Konzentrationen und davon hatte ich, Wie bekannt, ja eher wenig. Doch der Prinz war geduldig, zeigte es mir solange bis ich ein imaginäres Schwert schwingen konnte und es nach seinem Urteil schon ziemlich elegant aussah. Ich vermutete das jedoch eher weniger.

"Scheiß Stock! Der ist immer im Weg!" Als es auch hier zu dämmern begann, drückte er mir einen Stock in die Hand und meinte, ich solle das gelernte nun anwenden. Immer wieder zeigte er es mir mit einem eigenen Holz, doch nie bekam ich es so wie er hin.

"Aua!" Gerade hatte ich mir mal wieder selbst eine mit dem Ding verpasst und Legolas glockenhelles Lachen schallte durch den Wald.

"Nein, nein, nein, so geht das nicht." Endlich erhob er sich von dem Findling auf dem er es sich gemütlich gemacht hatte und kam zu mir geschlendert.

"So." Elegant griff er mir in die Hand und führte die Bewegung aus. So gelang es, doch es führte dazu, dass wir nur wenige Zentimeter von einander getrennt waren.

"Das ist dafür das du dich so schlägst wie einer der meine.", sagte er, beugte sich vor und küsste mich.

Le Melin - LegolasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt