Die nächsten beiden Tage verliefen ereignislos. Den Großteil der Zeit saß ich zusammengerollt auf der Couch und blies Trübsal. Jessy versuchte zwar immer wieder, mich dazu zu bewegen, irgendetwas mit ihr zu unternehmen, doch mir war einfach nicht danach. Irgendwann gab Jessy endlich auf und ließ mich mit meinen dunklen Gedanken in ihrem Wohnzimmer alleine.
Ich fühlte mich für den Tod meiner Familienmitglieder und Lilly verantwortlich. Denn wenn ich gar nicht erst geboren worden wäre, wäre es niemals dazu gekommen. Dann wäre Lilly niemals gefoltert worden, meine Schwester und mein Stiefvater nicht bei einem 'Autounfall' umgekommen, meine Mutter niemals auf den Gedanken gekommen, sich umzubringen, und Jake niemals so sehr von mir verletzt worden.
Das Schlimme war ja, dass ich mich bewusst dazu entschieden hatte, Jake so sehr zu verletzen. Dass ich ihn eiskalt ins Gesicht gelogen und behauptet hatte, ich würde ihn nicht lieben. Mittlerweile war ich nicht einmal mehr in der Lage, richtig um den Tod meiner Familie zu trauern. Oder über die Tatsache, dass ich Jake verloren hatte. Dass ich ihn ganz bewusst von mir gestoßen hatte.
An der Stelle, an der ich mein Herz gleichmäßig und stark schlagend spüren sollte, hatte sich eine unendliche Leere ausgebreitet, welche mich komplett lähmte. Sie verhinderte, dass ich etwas fühlte. Die Kälte, welche die Leere mitgebracht hatte, breitete sich in meinem ganzen Körper aus, ließen meine Gesichtszüge versteinern. Und ich hasste es jetzt schon.
Ich sollte nicht kalt und herzlos sein, aber das war nun die Schutzmauer, die ich brauchte, um den ganzen Schmerz, meine Schuldgefühle und generell jegliche Emotionen zu unterdrücken. Und es funktionierte auch, worüber ich auch ziemlich froh war. Sonst hätte ich nicht gewusst, wie ich dem Drang, mich umzubringen, hätte widerstehen sollen.
Jessy ahnte von dem Ganzen nichts, sie dachte nur, dass ich immer noch über den Tod meiner Familie trauern würde. Doch gleichzeitig hatte ich Angst. Angst, weil ich eben nichts mehr fühlte, weil mir alles gleichgültig war. Es war unfair, dass ich nichts mehr außer dieser Angst fühlte, dass ich nicht mehr litt, wie ich es eigentlich tun sollte.
Es war unfair denen gegenüber, die trotzdem litten oder gelitten hatten. Unfair gegenüber Lilly, welche auf brutalste Weise ermordet wurde. Gegenüber meiner Mutter, die sich aus Kummer und Sehnsucht nach ihrem Mann ebenfalls umgebracht hatte. Gegenüber Meghan und Blake, welche beide den Tod ihrer jüngeren Tochter verkraften musste. Und Hannah und Jake, die beide ihre Schwester unglaublich vermissten.
Um mich von meinen eigenen Gedanken abzulenken, schleppte ich mich in die Küche, in der ich einen Apfel in kleine Schnitze schnitt. Jake hatte recht, ich konnte mich nicht zu Tode hungern. Also aß ich nur das Notwendigste, damit mein Hunger wenigstens halbwegs gestillt war, obwohl mir bei jedem Bissen schlechter wurde. Seit Tagen konnte ich nicht mehr richtig essen.
Wenn ich etwas aß, waren es Miniportionen, welche sogar ein Kleinkind zehnmal verdrücken könnte. Nach drei Apfelschnitzen war ich fertig und packte den Rest in einer Plastikbox in den Kühlschrank. Entweder würde Jessy den restlichen Apfel essen oder aber ich hätte noch ein Essen für den nächsten Tag. Doch das mit der Ablenkung ging gewaltig nach hinten los. Gerade eben spülte ich das Messer ab, als mich schmerzhafte Erinnerungen aus dem Nichts nur so überfielen.
Wie ich Lilly tot vorgefunden hatte, wie ich mich mit Jake am Todestag meiner Schwester gestritten hatte, wie mir meine Mutter die Nachricht von dem 'Autounfall' überbracht hatte. Wie ich verzweifelt versucht hatte, meine Mutter wiederzubeleben, wie ich im Club angegriffen wurde, versuchte, mich umzubringen. Wie Jake mich gerettet und ich am darauffolgenden Tag ihn so sehr verletzt hatte... Diesen Fehler würde ich mir niemals verzeihen können.
Weinend ließ ich mich an der Wand auf den Boden sinken und verbarg mein Gesicht hinter meinen einen Arm. Ich war so ein schrecklicher Mensch. Wie hatte ich Jake nur sowas Schreckliches antun können? Ich hasste mich gerade so sehr dafür. Er hatte so jemanden wie mich nicht verdient. Er hatte es nicht verdient, ständig angelogen und verletzt worden zu sein.
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𝙳𝚞𝚜𝚔𝚠𝚘𝚘𝚍 ~ 𝚃𝚑𝚎 𝙶𝚊𝚖𝚎 𝙲𝚘𝚗𝚝𝚒𝚗𝚞𝚎𝚜
Fanfiction𝐅𝐨𝐫𝐭𝐬𝐞𝐭𝐳𝐮𝐧𝐠 von 𝙳𝚞𝚜𝚔𝚠𝚘𝚘𝚍 ~ 𝚈𝚘𝚞 𝙰𝚛𝚎 𝚃𝚑𝚎 𝙺𝚎𝚢 Endlich war der ganze Horror vorbei: Michael Hanson war tot, Jake wurde nicht mehr von der Polizei verfolgt und Julia war auf dem besten Weg, ihren Schulabschluss zu bestehen...