𝙳𝚞𝚜𝚔𝚠𝚘𝚘𝚍 ~ 𝚃𝚑𝚎 𝙶𝚊𝚖𝚎 𝙲𝚘𝚗𝚝𝚒𝚗𝚞𝚎𝚜

~56~

"Julia. Julia, wach schnell auf, wir sind da", werde ich von einer mir zunächst unbekannten Stimme geweckt, doch je wacher ich wurde, desto mehr Erinnerungen kamen wieder zurück. Der Kuss mit Phil, der Anruf vom Mann ohne Gesicht, die Rätsel,... Shit, Jessy! Voller Energie setzte ich mich richtig auf und stieß mit meinem Kopf voll gegen den von Phil, welcher sich über mich gelehnt hatte. 

"Aua! Du solltest nur aufwachen und nicht versuchen, mich auszuknocken", scherzte er und rieb sich mit schmerzverzerrtem Gesicht seine Stirn. "Sorry", murmelte ich verlegen und massierte meine Schläfe. Warum musste Phils Kopf auch nur so hart sein?! 

"Passt schon, aber wir haben gerade eigentlich keine Zeit zum Spaßen. Auch wenn ich das liebend gerne mit dir tue", erinnerte mich Phil schmunzelnd. "Oh. Ja. Sorry. Bin noch etwas neben der Spur", entschuldigte ich mich und rappelte mich auf, nachdem Phil mir Platz zum Aufstehen gemacht hatte. 

Gemeinsam liefen wir zügig auf die alte Lagerhalle zu und suchten nach dem Eingang, welcher sich genau auf der entgegengesetzten Seite befand wie die, von der wir gekommen waren. "Oh Gott, wie sollen wir denn Jessy hier jemals finden?", äußerte ich meine Bedenken, als ich die unzähligen Kisten sah, die sich hier nur so stapelten und den Raum komplett unübersichtlich wirken ließen. Und noch dazu war die Lagerhalle einfach riesig! 

"Jessy?", rief Phil in den Raum hinein, seine Stimme hallte unnatürlich von den Wänden wieder. Einfach nur gruselig. Der kühle Luftzug, das Tappen der Pfoten von Ratten und der Regen, der durch einige freie Stellen im Dach tropfte, verstärkten nochmal den Effekt. 

So ruhig wie möglich versuchte ich zu atmen, musste aber die ganze Zeit daran denken, dass hier wohl zehntausende Spinnen waren. Für einen Menschen mit Spinnenphobie eindeutig keine angenehme Vorstellung. Doch wir musste Jessy finden, egal wie sehr ich mich momentan fürchtete. 

"Jessy?!", rief Phil nochmal, diesmal verzweifelter. "Wir teilen uns auf: Du suchst die linke Seite, ich die rechte ab. Wenn wir Jessy finden, rufen wir sofort nach dem anderen, okay?", schlug ich vor, obwohl sich alles in mir dagegen sträubte, alleine hier herumzulaufen. "Okay", stimmte Phil zu und verschwand in der Dunkelheit. 

Jetzt war ich fürs Erste auf mich alleine gestellt. Bevor ich überhaupt das Suchen anfing, machte ich die Handytaschenlampe an. Falls Jessy wirklich hier sein sollte, war sie offensichtlich schon zu schwach, um uns laut genug zu antworten, denn ich war mir sicher, dass Phils Rufe die ganze Halle erfüllt hatten. Und wenn wir Pech hatten, hielt sich hier sogar noch Jessys Entführer auf! 

"Jessy?", flüsterte ich leise, weil ich mich einfach nicht traute, meine Stimme zu heben. "Verdammt, wo bist du nur?", murmelte ich verzweifelt und eilte weiter. Jede Sekunde könnte zählen! "Jessy?", sagte ich nun lauter, aus dem Augenwinkel vernahm ich eine Bewegung, bevor ich ein leises "Hier!", hörte. Sofort lief ich auf Jessy zu und kniete mich neben ihr nieder. 

"Hey, es wird alles gut. Phil ist hier. Wir werden gleich einen Krankenwagen holen", sprach ich beruhigend auf sie ein, ihr Anblick war einfach nur schrecklich. Ihre roten Haare waren komplett verklebt und ihre ganzen Klamotten blutgetränkt. 

Überall an ihrem Körper konnte man die tiefen Schnitt- und oberflächlichen Schürfwunden erkennen, außerdem fehlte hie und da ein Fingernagel oder sogar ihr ganzer Ringfinger der rechten Hand. Jessys Augen waren glasig und leer, ihr Blick war auf irgendeinen Punkt in der Ferne gerichtet. 

Sie lag völlig verkrampft da, ihre Körperhaltung war vermutlich auf mehrere gebrochene Knochen und die fürchterlichen Schmerzen zurückzuführen. Und überall war so viel Blut... Jessy versuchte, sich auf ihrem einen Arm abzustützen, um sich aufzusetzen, doch ich drückte sie sanft wieder zurück; sie sollte sich einfach nicht überanstrengen.