"Hallo Thomas, vielen Dank, dass du einem Treffen so kurzfristig zugestimmt hast", begrüßte ich ihn und reichte ihm die Hand. Mittlerweile war es schon halb 8 am Abend und ich hatte eigentlich genügend Zeit gehabt, um mir genaustens zu überlegen, wie ich Thomas sagen sollte, dass Hannah ihn betrogen hatte. Die Betonung lag auf eigentlich, da mir einfach keine passenden Worte eingefallen waren.
Es gab keine Möglichkeit, ihm diese Nachricht schonend zu überbringen. Thomas würde so oder so furchtbar verletzt werden. Beinahe hätte ich mich umentschieden und den Kuss doch für mich behalten, aber dann musste ich daran denken, wie es sein würde, wenn er es später herausfinden würde. Wenn er erfahren würde, dass sowohl Hannah als auch ich es die ganze Zeit vor ihm verheimlicht hätten. Thomas hatte die Wahrheit verdient.
Wenn Julia ihren Halbbruder geküsst hätte, während wir noch zusammen waren, und sie in ihn verknallt wäre, hätte ich es auch erfahren wollen. Egal, wie sehr es mich verletzt hätte, denn am Ende verletzten uns die Lügen am meisten, und nicht die schmerzhafte Wahrheit an sich. Gut, bei Julia wäre es mehr als nur unwahrscheinlich gewesen, dass sie sich in ihren Halbbruder verliebt und ihn geküsst hätte, nach dem, was er ihr angetan hatte, aber das Prinzip war dasselbe.
Ich hätte es erfahren wollen und werde es auch genau aus diesem Grund Thomas erzählen. Bei sowas konnte ich nicht einmal Rücksicht auf Hannah nehmen. Wenn sie nicht für ihren Fehler geradestehen wollte, musste ich es eben tun. Denn bisher sah es nicht so aus, als ob Hannah es tun würde. Nicht nur die Taten waren das, was Beziehungen zerstörte, sondern vor allem auch die Lügen. Die Tatsache, dass die andere Person einem nicht genug vertraute, um ehrlich zu sein.
"Hallo", sagte auch Thomas und schaute gespannt an mir vorbei. Ja, ich hatte ihn in meine Wohnung eingeladen, da es schon ziemlich spät war und ich außerdem sicherstellen wollte, dass wir nicht belauscht werden. Es wäre viel zu riskant, sowas in der Öffentlichkeit zu besprechen, Gerüchte breiteten sich in Duskwood aus wie ein Lauffeuer.
Ich wollte zwar, dass Thomas von dem Fehltritt meiner Schwester erfuhr, aber das ging nur ihn - und wirklich nur ihn - etwas an. Wenn das irgendein anderer erfahren würde, wäre Hannahs kompletter Ruf hin. Unwiderruflich zerstört.
Aber würde Thomas mir überhaupt glauben? Schließlich mochte er mich nicht sonderlich und liebte Hannah abgöttisch. Vielleicht wollte er mir ja auch gar nicht glauben? Wollte lieber weiterhin so tun, als ob Hannah mich nie geküsst hätte? Andererseits hatte er schon die ganze Zeit befürchtet, dass Hannah ihm fremdgehen könnte.
Ich musste es ihm einfach erzählen. Ob er mir dann glaubte oder nicht, war nicht meine Sache. Es zählte nur, dass ich ihm die Wahrheit erzählte und ihm nicht genauso wie Hannah etwas vorspielte. Dass ich ehrlich war. Gemeinsam gingen wir in die Küche, in der ich mir erstmal einen Kaffee machte.
"Möchtest du auch etwas trinken? Eine Tasse Kaffee, ein Glas Wasser, eine Flasche Bier?", fragte ich Thomas, er murmelte aber nur ein leises "Nein, danke", weshalb ich gleichgültig mit den Schultern zuckte und darauf wartete, dass mein Kaffee endlich fertig war. Erst dann setzten wir uns an den Küchentisch und schwiegen uns gegenseitig an.
Noch immer wusste ich nicht, wie ich das Thema am besten ansprechen sollte. Ich war noch nie ein Mann von großen Worten gewesen und hatte ehrlich gesagt Angst, dass ich während dem Gespräch nicht die notwendige Prise Empathie haben würde, welche aber für dieses Gespräch definitiv notwendig wäre.
"Weshalb wolltest du dich mit mir treffen?", fragte Thomas schließlich misstrauisch und unterbrach somit meine Gedankengänge. "Hat dir Hannah etwas über heute Nachmittag erzählt?", hakte ich vorsichtig nach, vielleicht war so ja doch zur Besinnung gekommen und hatte eingesehen, dass sie das unmöglich vor Thomas geheim halten konnte.
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𝙳𝚞𝚜𝚔𝚠𝚘𝚘𝚍 ~ 𝚃𝚑𝚎 𝙶𝚊𝚖𝚎 𝙲𝚘𝚗𝚝𝚒𝚗𝚞𝚎𝚜
Fanfiction𝐅𝐨𝐫𝐭𝐬𝐞𝐭𝐳𝐮𝐧𝐠 von 𝙳𝚞𝚜𝚔𝚠𝚘𝚘𝚍 ~ 𝚈𝚘𝚞 𝙰𝚛𝚎 𝚃𝚑𝚎 𝙺𝚎𝚢 Endlich war der ganze Horror vorbei: Michael Hanson war tot, Jake wurde nicht mehr von der Polizei verfolgt und Julia war auf dem besten Weg, ihren Schulabschluss zu bestehen...