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Der erste Schultag war anstrengend. Genauso wie die ganze erste Schulwoche. Aber das hatte keineswegs etwas mit der Schule zu tun, sondern mit der Tatsache, dass ich mich jede freie Sekunde um meine Mutter kümmerte. Für uns beide kochte, die Wohnung auf Vordermann hielt, darauf achtete, dass Mom nicht nur den ganzen Tag herumsaß und Trübsal blies und genug Schlaf bekam. 

Seit dem Gespräch über Jake mit meiner Mom am Montag hatten wir kaum ein Wort miteinander gewechselt, weil ich mich einerseits für meinen Ausraster schämte, gleichzeitig aber noch immer verdammt wütend auf mich selber war. Ich hatte so viel in den letzten Tagen zerstört: meine Beziehung mit Jake, mein Verhältnis zu meiner Mom. Ganz davon abgesehen, dass drei Menschen wegen mir gestorben waren. 

Weder über den Autounfall noch über Lillys Tod gab es neue Informationen. Die Polizei hatte mir gestern erklärt, dass sie keinerlei Beweise am Auto finden konnten, weshalb sie die Ermittlungen einfach einstellten. Was für Idioten. Wenn deren Familienmitglieder gestorben wären, hätten sie die Ermittlungen doch auch nicht nach nicht einmal vier Tagen abgeschlossen! Und sonst war ich bei Lilly kein Stückchen weitergekommen. 

Endlich klingelte es das letzte Mal an diesen Freitag und ich trottete lustlos aus dem Klassenzimmer. Mittlerweile hatte ich einfach gar keine Motivation mehr zu irgendwas. Jake hatte sich die letzten Tage kein einziges Mal gemeldet, was zwar nicht überraschend war, mich aber dennoch verletzte. Weil ich Jake zuvor so sehr verletzt hatte. Tja, diese Qualen hatte ich eindeutig verdient. 

Seufzend lief ich zur Bushaltestelle und vertrieb mir die Wartezeit, indem ich Musik hörte. Ich hatte zwar keine Lust, nach Hause zu gehen, aber meine Mutter brauchte mich und ich hätte außerdem auch nichts anderes tun können. Außer alleine in der Stadt herumzugammeln, da ich ja keine Freunde mehr in meinem Landkreis hatte. 

Was ich ganz sicher nicht tun wollte. Immerhin lief immer noch hier irgendwo ein Psycho rum, der nur darauf wartete, mich um die Ecke zu bringen. Aber immerhin war jetzt Jake aus dem Schneider. Ich konnte es nicht ertragen, wenn ich ihn auch noch verlieren würde. 

Obwohl ich ihn ja schon in einer gewissen Weise verloren hatte. Zwischen uns würde es nie wieder so sein, wie es vorher war. Selbst wenn mir Jake verzeihen könnte. Weil ich mir nicht verzeihen kann. Niemals würde ich vergessen, wie enttäuscht Jake von mir gewesen war. Wie sehr ich ihn verletzt hatte. 

Mit müden Schritten schleppte ich mich in den Bus und schloss erschöpft meine Augen. Wann hatte ich das letzte Mal richtig durchgeschlafen? Es musste definitiv vor meinem Geburtstag gewesen sein. Wie viel seitdem nur geschehen war. An meinem Geburtstag waren wir noch alle unbeschwert und glücklich, ahnten noch nicht, wie viel Schmerz in den nächsten Tagen auf uns zukommen würde. Und nun waren wir alle nur noch ein Schatten unserer selber. 

Niemand von uns konnte ahnen, wie sehr diese ganze Sache ausarten würde. Bisher wussten auch nur Jake und ich, dass es was mit Hannahs Entführung und den anderen Ereignissen des letzten Jahres zu tun hatte. Klar waren die anderen nicht auf den Kopf gefallen, aber wenn sie es wussten, hatten sie ihre Vermutung zumindest noch nicht geäußert oder sie gar verdrängt. 

Lustlos stieg ich aus den Bus aus und lief betrübt nach Hause. Meine Schwester fehlte mir. Und mein Stiefvater. Meine Mom, wie sie einst war. Und Jake. Auch Lilly fehlte mir, aber dadurch, dass ich sie jetzt sowieso nicht bei mir hätte, vermisste ich sie nicht so sehr wie all die anderen. 

"Hallo Mom, ich bin wieder zuhause!", rief ich zur Begrüßung und versuchte, so sorglos wie möglich zu klingen, um meine Mutter nicht noch zusätzlich zu belasten. Ich wollte nicht, dass sie noch mehr Kummer erlitt, nur weil es mir nicht gut ging. Sie musste so schon genug ertragen, da war eine deprimierte Tochter das Letzte, was sie momentan gebrauchen konnte. 

𝙳𝚞𝚜𝚔𝚠𝚘𝚘𝚍 ~ 𝚃𝚑𝚎 𝙶𝚊𝚖𝚎 𝙲𝚘𝚗𝚝𝚒𝚗𝚞𝚎𝚜Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt