Tag 2; Mittagsschlaf

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Wieder bin ich um 5 Uhr wach und packe mein Zeug zusammen. Dieses mal gehe ich in die andere Richtung spazieren. Die Straße führt über die Schienen und zu einem großen Wohnviertel mit Neubauten in denen viele Leute eine Wohnung haben. Das Wohnviertel liegt dicht am Wald und während ich so spazieren gehe, sehe ich ein paar Wildschweine im Müll wühlen. Ich bleibe stehen und beobachte sie dabei. Dann hebt eines seinen Kopf und schaut in meine Richtung. Es dauert einige Augenblicke, bis es den Kopf wieder senkt und weiter im Müll wühlt. Ich atme etwas auf und gehe ganz vorsichtig rückwärts um dann hinter der nächsten Mauer zu verschwinden. Mit Wildschweinen werde ich mich garantiert nicht anlegen! Hier gibt es einen kleinen Spielplatz mit mehreren Bänken, aber sonst nichts weiter. Na, dann kann ich auch wieder zurück gehen.

Um 6:30 Uhr bin ich dann im Bäcker und esse mein Frühstück. Wie ich vermutet habe, kann ich hier den Akku meines Handys aufladen und als ich fertig bin, gehe ich wieder zur Straßenbahn um nach Strausberg Stadt zu fahren. Ich laufe die große Straße entlang und bleibe kurz vor dem Brautkleid Geschäft stehen. Im Schaufenster sind Schöne weiße Kleider zu sehen, hin und wieder auch mal ein leicht rotes und ein grünes, dass eher wie ein Unfall aussieht, als ein Brautkleid. Wer so einen Geschmack hat, der hat gar keinen Geschmack! Die Farbe ist irgendwie total stumpf und der Schnitt lässt vermuten, dass dieses Brautkleid für extrem schlanke Frauen gedacht ist. Auf der anderen Seite gibt es einen Buchladen. Von Christian weiß ich, dass es dort auch Manga gibt, aber ich mache absichtlich einen großen Bogen darum, sonst komme ich nur auf dumme Ideen. Wenn man an der Straße weiter läuft, kommt man zum Oberstufenzentrum. Das ist eine Schule für Gymnasium und Abitur und auch für Berufsschule. Daneben ist das Schwimmbad, einige Imbiss Buden, die Polizei und das Amtsgericht. Noch ein Stück weiter ist dann auch wieder eine kleine Stelle der Sparkasse. Aber nur ein Kontoauszugsdrucker und die Auszahlungsautomaten stehen dort, weiter nichts. Die Hauptstelle ist ja auch in der Nähe der Straßenbahn. Nach der kleinen Sparkassenstelle kommt erstmal eine Weile nur Wald und die Straße, bis man dann in Strausberg Nord ankommt. Dort ist das Finanzamt, das Arbeitsamt, das Jobcenter, der Flughafen und wieder ein paar Supermärkte und andere Einkaufsmöglichkeiten, z.B. Obi. Wenn es nicht so gestreckt wäre, würde Strausberg um einiges kleiner sein. Aber so weiß man wenigstens wo man ist. Außerdem finden die Leute es auch sehr angenehm, von der Natur umgeben zu sein, wo ich mich natürlich nur anschließen kann. Plötzlich vibriert mein Handy und ich schrecke total zusammen. Als ich auf den Display schaue, sagt es mir nur, dass ich den GBA Emulator und ein paar andere Apps aktualisieren kann. Gott verdammt! Erschreck mich gefälligst nicht so!

Als ich dann endlich in Nord ankomme, ist es bereits 11 Uhr. Ich bin etwas erschöpft vom vielen Laufen und habe riesigen Hunger, aber sonst ist alles in bester Ordnung. Ich hole mir bei Lidl belegte Brötchen vom Bäcker und laufe dann runter zum See. Der Straussee ist riesengroß und hat sogar eine eigene Fähre, die bis nach Woltersdorf fahren kann. Ich glaube, sie fährt hin und wieder auch nach Berlin, aber in welchen Teil davon weiß ich nicht. Ist aber mehr so Rand Berlin. Ich setze mich auf eine Bank und esse die Brötchen, wobei ich auf das Wasser starre und meinen Gedanken nach gehe. Heute ist schon Donnerstag und ich muss noch überlegen, was ich Sonntag mache. Da ist der Bäcker nämlich zu und alle anderen Geschäfte ja auch. Ich müsste also Samstag ein bisschen was auf Vorrat kaufen, sonst sehe ich alt aus. So in meine Gedanken vertieft merke ich gar nicht wirklich, dass ich auf einmal total müde werde. Ich versuche krampfhaft wach zu bleiben, aber irgendwann siegt die Müdigkeit und ich schlafe ein.

Ich bin bei Christian und wir spielen mit unseren Autos. Wie immer habe ich bei ihm geschlafen und wir sind bis spät in die Nacht wach geblieben. Dieses Wochenende ist auch Thomas, der ältere Bruder von Christian da. Er ist zur Zeit in einem Internat und studiert irgendwas, weshalb er nur noch am Wochenende nach hause kommt. Ich mag Thomas. Er hat ein schönes Lächeln und ist immer total nett. Und obwohl er ganze zehn Jahre älter ist als Christian, spielt er oft mit uns. Plötzlich kommt lautes Gepolter von draußen und Thomas scheint sich mit seinem Vater zu streiten. "Was ist denn da los, Christian?" Christian schaut starr auf das Auto in seiner Hand und sagt leise; "keine Ahnung..." "Komm! Lass uns mal nach sehen!" Sage ich neugierig und stehe auch sofort auf. Christian will mich noch zurück halten, aber es klappt nicht. So stehen wir nun in der Tür und hören Thomas und seinem Vater beim Streiten zu. "Du kannst nicht einfach in meinen Sachen wühlen! Außerdem ist es mein Leben und damit kann ich machen, was ich will!" Brüllt Thomas in einem mir völlig fremden harten Ton in der Stimme. "Nein, kannst du nicht! Wie bist du überhaupt an diese Drogen gekommen?! Du wirst das gefälligst nicht mehr nehmen, hast du verstanden!" Thomas lacht spöttisch auf. "Was willst du denn bitte dagegen machen? Das gehört nun mal zum Internat Leben dazu. Du kannst es mir gar nicht verbieten!" "Und ob ich das kann!" Erwidert sein Vater hart und nimmt die Verpackung in die Hand. "Was-" will Thomas gerade fragen, als sein Vater die Verpackung schon in den Ofen schmeißt. Plötzlich rennt Christian davon und Thomas stürzt sich auf seinen Vater. Ein Schrei, ein Schlag ins Gesicht. Erschrocken weiten sich meine Augen und die Flut von Beleidigungen aus Thomas Mund, die er gegen seinen Vater schleudert, prasseln auf mich ein. "Thomas..." bringe ich schwach hervor und als Thomas sich zu mir umdreht, stocke ich. Das freundliche Gesicht in das ich sonst immer blicke, ist zu einer hässlichen Fratze geworden. Erst jetzt realisiere ich die Ringe unter seinen Augen und die Blässe seiner Haut. Wer ist das? Was ist das? Langsam, wirklich nur ganz langsam realisiert Thomas, was gerade passiert ist und eine leichte Verletztheit kehrt auf seinem Gesicht ein. Danach habe ich ihn eine ganze Weile nicht mehr gesehen und Christian hat nicht über ihn gesprochen, was seltsam ist. Nach weiteren zwei Wochen, ohne dass er Thomas erwähnt, frage ich einfach nach, ob er wüsste, wie es Thomas geht. Er schaut mich geschockt an und senkt dann den Kopf. "Er wird nicht mehr wieder kommen..." Sagt Christian leise und mit zittriger Stimme.
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Ich schrecke hoch. Panisch sehe ich mich um, bis ich realisiere, dass ich eingeschlafen bin. Diese Sache ist nun schon über zehn Jahre her. Ich erfuhr später von Christian, dass Thomas an einer überdosis Drogen gestorben ist, die er sich selbst gegeben haben soll. Diese Bilder lassen mich schon lange nicht mehr los. Das ein freundlicher junger Mann wie Thomas so einen großen Charakter Wandel vollzieht und seinen eigenen Vater schlägt, hat in mir tiefe Spuren hinterlassen. Noch dazu sein völlig verschandeltes Gesicht! Ich habe mir damals geschworen, dass ich mich von diesem Teufelszeug fernhalten werde! Auch um meiner Selbst willen! So... so will ich nicht sein! So kann ich nicht sein! Ich schaue auf die Uhr. 16:45 Uhr. Habe ich so lange geschlafen? Na toll! Dann werde ich heute Abend Probleme mit dem einschlafen haben. Aber wenn ich den ganzen Weg jetzt zurück laufe, vielleicht auch nicht. Hoffentlich tun mir dann nachher nicht die Füße weh.

Um 19:50 Uhr bin ich dann wieder in Vorstadt. Ich habe den ganzen Weg vom Straussee bis hier her tatsächlich zu Fuß zurück gelegt und bin total fertig. Wie erwartet tun mir richtig die Füße weh. Meinem Rücken geht es auch nicht wirklich besser. Eine Strecke von der Länge, mit einer vollen Reisetasche auf dem Rücken... Ich hatte schon mal bessere Ideen! Fix und fertig mache ich mir mit letzter Kraft meinen Schlafplatz fertig und schlafe wohl auch sofort ein.

Street Boy; Der Preis für meine Dienste beträgt.... (BoyxBoy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt