Tag 10; Erinnerung

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Als ich aufwache, sind wir immer noch in der Position wie wir eingeschlafen sind. Nur, dass heute Jonas vor mir und Franz hinter mir liegt. Als ich in Jonas schlafendes Gesicht sehe, merke ich das Franz sich fest an mich drückt und ich kann die Wärme seiner nackten Haut direkt an meiner spüren. Wie gut es doch tut, mit den beiden hier zu liegen. Es ist so schön warm und ich fühle mich geborgen. So gut habe ich mich glaube ich bei Christian noch nie gefühlt. Er war zwar auch immer schön warm und hat mit mir gekuschelt, aber so wie jetzt mit Franz und Jonas habe ich mit ihm noch nie geschlafen. So eng aneinander und vor allem NACKT! Plötzlich macht sich ein schlechtes Gewissen in mir breit. Ich liege hier mit Franz und Jonas und bin ihnen näher, als ich es jemals mit Christian war und trotzdem denke ich an ihn! An Christian! Den Mann, den ich einst geliebt habe! Aber kann ich denn wirklich jetzt schon sagen, dass ich ihn nicht mehr liebe? Ich weiß, dass er so oder so meine Gefühle niemals erwidert hätte, aber ich konnte mich daran gewöhnen und ihn aufgeben. Ich wäre für ihn nie mehr gewesen, als ein Freund! In mir sah er immer nur einen kleinen Bruder. Wenn ich den Mut gehabt hätte, mich an ihn ran zu machen und mit ihm zu schlafen... Wir sind Freunde, die miteinander Sex haben! Gehen mir die Worte von Franz durch den Kopf. Nein! Christian hätte sich darauf nie eingelassen. Egal wie viel ich ihm bedeutet habe, oder wie vertraut wir mit einander waren, wir beide hätten niemals Sex mit einander haben können! Wir waren nur Freunde! Und in unseren Augen haben Freunde keinen Sex mit einander. Wird vielleicht auch daran liegen, dass wir halt auf dem Land aufgewachsen sind. In einem kleinen Dorf, wie dem unseren, sprechen sich Dinge schnell herum! Wenn irgendjemand davon erfahren hätte, dass ich Schwul bin, hätte es sofort jeder gewusst und mich und meine Familie verurteilt! So etwas wie gleich geschlechtliche Liebe hätte es bei uns niemals geben können! Ich habe auch nur davon erfahren, weil mein Schwager aus Berlin mal erzählt hat, dass er mit Freunden in so einem Klub gewesen ist. Und dann habe ich auch mal einen Manga von meiner Schwester zufällig auf der Toilette gefunden und gelesen, in dem es um ein schwulen Pärchen ging. Weltbild zerstört! Oder mehr umgekrempelt! Ab diesem Zeitpunkt fing es an, dass ich Christian und auch die anderen Jungs mit anderen Augen gesehen habe! Beim duschen nach dem Fußball habe ich mich immer geschämt, wenn ich unbewusst die anderen angestarrt oder schlimmer noch eine Erektion hatte. Zu meinem Glück, hat sich aber von denen niemand was draus gemacht. Ganz besonders fasziniert war ich am Anfang immer von Christians Körper. Sein makelloses Gesicht, seine trainierten Muskeln und sein knackiger Hintern haben mich immer total wirr gemacht und waren Grund, für ständige unangenehme Regungen in meiner Hose. Aber nie ist es ihm aufgefallen! Nie! Auch nicht, als er sich einmal an mich gekuschelt hat, während ich versucht habe, es mir selbst zu machen. Das war im Winter und es war ziemlich kalt. Wir schliefen zusammen bei ihm und er hatte vorher etwas zu mir gesagt, dass mich vollkommen aus der Fassung gebracht hat; "Stephan ist der wichtigste Mensch für mich! Wir sind mehr als gute Freunde! Wir sind wie Brüder!" Es war sein 19. Geburtstag gewesen, den er selbstverständlich mit seiner Familie und mir feierte. Als er das dann sagte, legte er den Arm um mich und drückte mich an sich, wie wir es schon vorher so oft getan haben. Aber an diesem Tag war es anders gewesen... an diesem Tag zerbrach etwas in mir. Mein Verlangen nach ihm wurde danach so stark, dass ich mich neben ihm selbst befriedigen wollte. Ich wollte es! Ich wollte ihn! Ich war dabei sehr leise und stöhnte kaum hörbar in mein Kissen. Dann, kurz bevor ich kam, legte er seine Arme erneut um mich und sagte im Schlaf, ihm sei kalt. Als er sich dann von hinten an mich klammerte kam ich direkt in meine Hand und wusste; so kann es nicht bleiben, Stephan! Tu etwas! Tu das, was richtig ist! Und dann entwickelte ich meinen Plan. Den Plan, der mich jetzt hier hin gebracht hat. Hier hin, in das Schlafzimmer eines mir fremden Mannes, mit dem ich am Abend davor noch Sex hatte. Gut, dass mit dem Sex war ein anderer Plan gewesen, aber im Prinzip hat das eine zum anderen geführt. Tief betrübt stehe ich dann vorsichtig auf und gehe ins Wohnzimmer auf die Couch. Ich habe an nur einem einzigen Tag alles verloren; meine Familie, meine Freunde, mein zu Hause. Alles was ich noch habe, bin nur ich selbst. Und meine Erinnerung an diese Zeit, in der alles noch normal war. Tränen steigen mir in die Augen und ich fange an zu zittern. Verdammt! Wieso fange ich ausgerechnet jetzt damit an, in Erinnerungen zu schwelgen?! Bis gerade eben war doch alles noch in Ordnung gewesen! Ich hätte mich vielleicht besser nicht daran erinnert! Gwendolyn kommt wieder zu mir und schaut mich an. Die Tränen kullern bereits über meine Wangen und wollen nicht mehr aufhören. Ich atme einmal tief ein und lächle sie dann an. "Guten Morgen, Süße." Sage ich zittrig und sie klettert auf meinen Schoß. Ihr jetzt über das Fell zu streicheln beruhigt mich etwas. Als sie dann anfängt zu schnurren, fühle ich mich auch ein wenig besser und wische die Tränen aus meinen Augen. Trotzdem kullern sie langsam weiter, aber ich muss nicht mehr schniefen oder so. Ich hänge noch eine ganze Weile meinen Gedanken nach, bis ich die Tür vom Schlafzimmer höre. Die Person streckt sich lautstark und gähnt einmal, bevor sie dann zu mir kommt. "Guten Morgen, Stephan." Trällert dann Jonas. Ich drehe mich etwas zu ihm und lächle ihn an. "Guten Morgen." "Hey! Was ist denn los? Hast du etwa geweint?" Fragt er dann besorgt und setzt sich sofort neben mich auf die Couch. "Ein bisschen... aber jetzt ist wieder gut." Gebe ich schnell zurück, um ihn zu beruhigen. Offensichtlich war meine Antwort aber zu schnell, so dass er nur noch besorgter aussieht. "Wieso das denn?" Fragt er erneut, wobei er seinen Arm um mich legt. "Ach... Ich habe mich nur an etwas erinnert." Sage ich leise und lehne mich an ihn. Dann kommt Franz aus dem Schlafzimmer und gähnt kräftig. "Morgen." Lallt er in einem ziemlich verschlafenen Ton. "Hey! Was ist denn los?" "Stephan hat geweint." Antwortet Jonas ihm und mit schnellen Schritten kommt Franz zu uns und stellt sich vor mich. "Wieso das denn?" Fragt auch er nun besorgt. "Ich habe mich nur an was erinnert. Nicht weiter schlimm." "Wenn es 'nicht weiter schlimm' ist, wieso weinst du dann?" Franz schaut mir dabei direkt in die Augen. Ich kann dem aber nicht lange stand halten und senke den Kopf. Eine Weile ist es still, dann kniet Franz sich vor mich und will seine Hände auf meinen Schoß legen, was Gwendolyn nicht zu lässt. Sie faucht ihn wieder an und will nach ihm schlagen, was er aber gekonnt abwehrt indem er den Arm hebt und Gwendolyn zur Seite schiebt. Sie faucht nochmal und rennt dann weg. Nun legt Franz seine Hände doch auf meinen Schoß und sagt; "Du kannst uns gerne sagen, was los ist, Stephan. Wir hören dir zu!" Ich schaue stumm zwischen Jonas und Franz hin und her. Dann seufze ich kurz und fange an zu erzählen. "Ich habe an... Christian gedacht. Und wie es früher war. An die Zeit... in der ich mich verändert habe. Damals... als ich anfing, mich in meinen besten Freund zu verlieben!" Ich muss schlucken und merke, dass erneut Tränen in meine Augen steigen. "Bei uns war es nicht so wie bei euch. Freunde sind... einfach nur Freunde gewesen. Sex gibt es nur in einer Beziehung. Und Männer haben keinen Sex mit einander. So etwas hätte es bei uns niemals gegeben! Ich habe davon auch erst erfahren, als meine Schwester mit ihrem Freund zu uns kam. Als ich dann in den Ferien bei ihnen war, waren wir bei einer Show mit Männern die sich als Frau verkleidet haben und dann-" "Warte! Du warst auf einer Travestie Show?! Das ist ja geil!" Unterbricht Franz mich und lacht auf. "Ja. War auch ziemlich cool da. Die... Männer sahen auch echt toll aus. In... ihren Glitzerkleidern..." Sage ich mit einem schelmischen lächeln und Franz und Jonas müssen lachen. "Das ausschlaggebende war aber gewesen... als ich diesen Manga bei meiner Schwester gefunden habe. Es ging dabei um zwei Freunde, die sich in einander verliebt haben, es aber nicht wirklich bemerkt haben. Bis dann irgendwann eine Situation entstanden ist, bei der es ihnen dann bewusst wurde. Die Stelle, wo sie dann miteinander geschlafen haben, war ziemlich detailliert gezeichnet und sehr genau beschrieben. Die beiden Jungs... das hätten Christian und ich sein können!" Meine Stimme beginnt zu zittern und die Tränen kullern wieder über meine Wangen. "Wir waren... seid dem Kindergarten befreundet gewesen. Wir wussten alles über den anderen. Wir hatten unsere Insider Witze, die selbst unsere anderen Freunde nicht verstanden haben, nur wir. Und dann... als meine Gefühle sich verändert haben... als ich nicht mehr nur einen Freund in ihm sah..." Ich fange an zu weinen. Die Erinnerungen jetzt zu erzählen, ist schwer für mich und ich kann einfach nicht mehr an mich halten. Jonas streichelt mir beruhigend über die Schulter, während Franz über meine Beine streift. Trotz der emotionalen Lage, in der ich mich gerade befinde, spüre ich wieder dieses Kribbeln auf der Haut, dass ihre Berührungen auslöst. Sofort geht es mir wieder besser und ich staune selbst darüber. Wenn Christian immer versucht hat, mich zu beruhigen wenn ich geweint habe, hat das immer wesentlich länger gedauert. Aber wieso? Wieso fühle ich mich bei zwei fremden Männern wohler als bei meinem besten Freund? Weil ich mit ihnen geschlafen habe? Weil sie auch Schwul sind? Vielleicht aber auch aus einem ganz anderen Grund! Ich schmiege mich weiter an Jonas und nehme Franz Hände in meine. Beide sagen nichts und bleiben einfach in ihrer Position. Ich genieße es gerade, hier mit ihnen zu sitzen und ihnen nähe zu sein. Die Anspannung in meinem Körper, die ich durch die Erinnerungen hatte, verschwindet und macht tiefer Zufriedenheit platz. Ich weiß nicht, wie lange wir so sitzen, aber es fühlt sich wie eine angenehme Ewigkeit an. Dann merke ich aber, dass Franz aufsteht und ich öffne die Augen um ihn anzusehen. Er lächelt und kommt dicht an mich, um mir einen Kuss zu geben. "Sorry, ihr zwei. Ich muss dann los zur Arbeit. Habe zwar großes Glück, dass ich heute erst um 14 Uhr anfangen muss, aber ich habe noch eine Stunde Bahn fahren vor mir." "Kein Problem, Farbtopf. Arbeiten ist ja wichtig. Viel Spaß dann." Lächele ich ihn an und fühle mich direkt besser dabei. Jonas und ich bringen Franz noch zur Tür und setzen uns danach wieder auf die Couch. Gwendolyn kommt auch wieder auf meinen Schoß gesprungen und macht es sich dort sofort gemütlich. Nach einer Weile geht Jonas dann in die Küche und macht Mittag. Ich finde es toll, dass Jonas gerne selber kocht. So bin ich wenigstens nicht der einzige, bei dem Franz auch mal was anderes zu essen bekommt, als Fertig Pizza.

Nun ist es Abend und ich beschließe, wieder in die Bahnhofshalle zu gehen. "Du musst nicht gehen, Stephan. Du kannst gerne noch eine Nacht bleiben." Will Jonas mich überreden bei ihm zu bleiben, während ich schon meine Tasche packe. "Danke, Jonas. Aber ich will dir nicht auf der Tasche liegen. Bei Franz und dir ist es anders, als bei den anderen! Ihr braucht mich nicht für den Sex bezahlen, dar wir Freunde sind. Deshalb kann ich auch nicht allzu lange bei euch bleiben. Das würde dann quasi bedeuten, dass ich euch ausnutze und das machen Freunde nicht!" Erkläre ich ihm und lächle dabei. Er schaut kurz etwas irritiert. "Wir sind... auch Freunde?" Fragt er zögernd und wird etwas rot. Ich boxe ihn freundschaftlich gegen die Schulter. "Na klar! Franz und ich sind auch Freunde. Und die Freunde meiner Freunde, sind ebenfalls meine Freunde!" Strahle ich, was ihn zum kichern bringt. "Dann ist es doch auch normal, dass ich dir helfen möchte. So als Freunde. Freunde helfen sich gegenseitig, wenn sie ein Problem haben, nicht wahr?" Lächelt er nun und streichelt mir über die Wange. "Ja, das ist richtig. Aber... es ist auch normal, dass man seinen Freunden keine Sorgen machen möchte. Deshalb... mach dir keine Sorgen, Jonas. Ich komme schon klar." Lächele ich weiter und gebe ihm einen Kuss. Er winkt mir noch hinter her und ich gehe zum Bahnhof zurück. Auf dem Bahnhof ist jetzt nichts mehr los. Alles ist dunkel und nur die kleinen Lichter der Lampen brennen noch. Ich richte mir wieder meinen alt gewohnten Schlafplatz ein. Heute Abend scheint niemand zu kommen, was mich ehrlich gesagt freut. Ich glaube, in meinem heutigen Zustand wäre ich keine große Befriedigung im Bett. Aber morgen wird es hoffentlich wieder besser.

Street Boy; Der Preis für meine Dienste beträgt.... (BoyxBoy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt