Tag 3; Der bekannte Fremde

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Farbtopf kriegt sich gar nicht mehr ein vor lauter Lachen und mir ist das gerade irgendwie peinlich. "Also... so hat sich ja auch noch nie jemand an mich erinnert!" Sagt er, als er sich endlich wieder beruhigt hat. Ich lächle ihn an. "Mich hat auch noch nie jemand 'Schnucki' genannt." Er grinst breit, was ihn ziemlich cool aussehen lässt. "Touchee. So. Und jetzt erzähl mal! Was machst du denn um diese Uhrzeit noch hier und warum schaust du so traurig aus?" Fragt er mit einem sanften Lächeln. "Ach. Das ist eine lange Geschichte." "Ich habe Zeit..." Er zuckt die Schultern und schaut mich erwartungsvoll an. Ich seufze kurz und erzähle knapp, was passiert ist. "Ich habe mich vor ein paar Tagen um eine Arbeitsstelle beworben. Aber der Mitarbeiter hat mich heute früh gesehen und gemeint, dass der Chef mich nicht einstellen kann, unter diesen Umständen." "Sollte das der Chef nicht selbst entscheiden? Und welche Umstände sind das denn, weswegen er dich nicht einstellen kann?" Fragt er, aber ich enthalte ihm die Antwort vor. Nach einer Weile wuschelt er mir sanft durch die Haare. "Dann hat also auch so ein süßer Kerl wie du Probleme, über die er nicht reden will, ja? Tja, was macht man denn da..." Er wendet sich gerade zum gehen und ich springe schnell von der Bank auf. "Hey, warte! Du hast immer noch mein Handy." Er dreht sich wieder zu mir um und grinst dabei frech. "Das hier? Komm und hole es dir zurück, wenn du es wieder haben willst!" Dabei wedelt er fröhlich mit dem Handy in der Luft herum. Was soll das denn jetzt?! Ich gehe auf ihn zu, aber kurz bevor ich ihn erreiche, macht er einen Satz nach hinten. "Das ist nicht lustig, Farbtopf! Gib mir mein Handy zurück!" "Also, ich finde es sehr lustig." Sagt er und rennt plötzlich weg. Ich spurte hinter ihm her und brülle ihm nach. Dann läuft er die Treppe zur Fußgänger Brücke hoch, die über die Schienen auf die hintere Seite des Bahnhofes führt, wo ein Trainingslager der Bundeswehr liegt. Ich hechte immer noch hinter her. Wieso macht er sowas? Und dabei fand ich ihn bis gerade noch echt nett! Dann bleibt er plötzlich stehen dreht sich um und ich laufe direkt in seine Arme. Durch den Zusammenstoß taumeln wir etwas zurück, aber er kann das Gleichgewicht halten und hebt den Arm in die Höhe. Ich versuche krampfhaft heran zu kommen und stelle mich sogar auf die Zehenspitzen, aber ich komme nicht ran. Dabei ist er nicht wirklich größer als ich! Nur einen halben Kopf größer ist er, aber sein Arm scheint mir gerade extrem lang. "Was soll denn das?! Jetzt gib mir schon mein Handy zurück!" Fordere ich ihn auf. "Wieso fragst du nicht einfach?" Lächelt er schelmisch. "Bitte! Gib mir mein Handy zurück." Sage ich dann mit einem sanften Lächeln zu ihm. Er legt den Kopf etwas schief und küsst mich dann auf die Stirn. "Nö!" "Du mieser kleiner! Jetzt gib mir schon mein Handy zurück! Ich finde das nicht lustig!" Brülle ich und versuche wieder ihm das Handy aus der Hand zu nehmen. Er macht es mir aber nicht gerade leicht. Den anderen Arm hat er mir nämlich um die Hüfte gelegt und drückt mein Becken leicht gegen das seine. Weil ich die ganze Zeit am rum zappeln bin, berühren sich auch hin und wieder unsere Schritte, was mir aber im Moment so ziemlich egal ist. Er scheint das ganze zu genießen und lächelt die ganze Zeit zufrieden. Doch dann passiert es; mit einem kräftigen Schwung komme ich an das Handy, aber es fällt ihm aus der Hand! Wir schreien gleichzeitig auf und sehen nur noch, wie das Handy auf einer Schiene landet und in tausend Stücke zerspringt! Fassungslos starre ich in die Dunkelheit und kann noch nicht einmal einen klaren Gedanken fassen. "Schnucki? Das tut mir leid! Ich... Ich wollte dein Handy nicht kaputt machen." Sagt Farbtopf nach einer Weile dann. "Es ist kaputt... mein Handy..." Sage ich leise vor mich hin. "Schnucki?" Diesmal schwingt leicht Panik in seiner Stimme mit, was mich aber trotzdem fast zum ausrasten bringt. "Das ist alles deine Schuld! Was musst du auch ausgerechnet hier hoch laufen?!" Brülle ich ihn an. "Es tut mir doch leid." Sagt er mit einem entschuldigendem Blick. "Das bringt mir aber nichts! Ich habe mir das Handy doch vor ein paar Tagen erst gekauft! Ich kann doch nicht schon wieder ein neues kaufen!" Brülle ich weiter und Tränen stiegen mir in die Augen. "Ich brauche doch das Geld... Ich kann mir nicht schon wieder ein neues Handy kaufen... Ich... Ich..." "Schnucki?" Plötzlich scheint sämtliche Kraft aus meinem Körper zu verschwinden. Mir werden total die Knie weich und ich fange an zu zittern. Kurz bevor ich dann zusammen sacke, schlingt Farbtopf die Arme um mich und stützt mich. "Schnucki! Ist doch alles gut. Nur wegen einem kaputten Handy geht doch nicht gleich die Welt unter." Sagt er mit sanfter Stimme und streicht über mein Haar. "Es geht doch nicht nur um das dämliche Handy, verdammt! Ich habe zwar sonst gar nichts gehabt, was mich ablenken konnte, aber... Verdammt, Farbtopf! Ich lebe auf der Straße! Ich bin von zu Hause raus geschmissen worden weil ich Schwul bin und habe absolut keine Alternative irgendwo hin zu gehen! Ich habe mir zwar mein ganzes Geld mit genommen, aber wenn das alle ist, habe ich rein gar nichts mehr! Und... arbeiten kann ich auch nicht gehen, weil niemand einen Penner von der Straße einstellen würde!" Lauthals lasse ich alles raus und weine dabei bittere Tränen der Verzweiflung. Es ist mir egal, dass ich hier gerade einem Fremden mein komplettes Leid klage, aber ich kann einfach nicht mehr! Farbtopf zieht mich sanft an sich, so dass ich nun mit dem Kopf auf seiner Schulter liege und umarmt mich fest. "Beruhige dich erst mal, Schnucki. Es wird wieder alles gut werden." "Ach, erzähl mir doch nichts! Ich bin alt genug um zu wissen, dass absolut gar nichts besser werden wird!" Schlurze ich. Dann legt er seine Hand auf meine Wange, hebt meinen Kopf etwas an und küsst mich. Erschrocken reiße ich die Augen auf. Er küsst mich! Wieso küsst er mich?! Als er sich dann wieder von mir löst, lächelt er mich wieder sanft an und zieht mich vorsichtig auf die Füße. "So, Schnucki. Jetzt ist wieder gut, oder? Komm, lass uns nach deinem Handy schauen gehen und dann nimm ich dich mit zu mir." Er nimmt meine Hand und zieht mich hinter sich her, wieder runter zu den Schienen. "Was willst du denn da bitte noch kucken? Das Handy ist doch jetzt totaler Schrott!" Entfährt es mir als wir unten an kommen. "Du hast doch gesagt, dass du das Handy erst vor ein paar Tagen gekauft hast. Dann ist auf der Karte doch bestimmt noch eine Menge Geld drauf." "Ja. Die 20 Euro, die ich drauf gemacht habe... BIST DU VERRÜCKT?! Das ist gefährlich!" Rufe ich außer mir! Der ist tatsächlich auf die Gleise gesprungen! Und jetzt sucht er in den Trümmern meines Handys nach meiner Prepayd Karte, nur mit dem bisschen Licht, dass sein Handy abgibt. "Gefährlich ist es nur, wenn die S-Bahn oder der Zug kommt." Sagt er ruhig, während ich hier einen halben Herzinfarkt bekomme. Dann findet er meine Karte und jubelt auf. Er reicht mir die Karte und ich nehme sie an mich. Sofort greife ich aber mit der anderen Hand nach seiner um ihm wieder hoch zu helfen. "Danke, Schnucki. So, jetzt geht es ab zu mir nach Hause." Sagt er und will mich wieder mit sich ziehen. Diesmal hindere ich ihn aber daran. "Warte mal! Ich weiß nicht, ob es eine gute Idee ist, mit einem Fremden mit zu gehen..." gebe ich zu bedenken. "Jetzt beleidigst du mich aber, Schnucki!" Sagt er beleidigt und stemmt eine Hand in die Hüfte. Verwirrt schaue ich ihn an. "Wir sind doch keine Fremden! Wir sind Bekannte! Wir haben uns bereits zweimal gesehen, haben ein gefährliches Abenteuer hinter uns und geben uns süße Spitznamen. Wenn wir jetzt noch wüssten, wie der jeweils andere heißt, wurden wir in die Freunde Kategorie rein fallen." Grinst er nun wieder breit. Ich schaue ihn verblüfft an, was ihn wieder schmunzeln lässt und sehe dann mit geröteten Wangen auf den Boden. "Ich... mein Name... ist Stephan." Bringe ich leise heraus und er streicht mir dafür über die Wange. "Stephan..." wiederholt er. "Ich heiße Franz. Dann komm, Stephan. Ich habe noch mein altes Handy zu hause. Als Wiedergutmachung dafür, dass ich dein Handy kaputt gemacht habe, gebe ich dir dieses. Einverstanden?" Fragt er mit seinem bezaubernden Lächeln und ich kann nicht mehr tun, als stumm zu nicken.

Street Boy; Der Preis für meine Dienste beträgt.... (BoyxBoy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt