Tag 336; Unverhofft kommt oft

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Heute ist Freitag und ich bin fast mit meinem Projekt für die Woche fertig. Ich habe aus dem Holzscheit, den ich mir ausgesucht habe, eine Statue von einem Einhorn gefertigt. Es fehlt nur noch der Feinschliff und dann kann der Lack drauf. "Hah! Fertig!" Rufe ich freudig und begutachte mein Werk noch einmal, ob auch alles wirklich so ist, wie ich es haben wollte. "Gut, Stephan. Das sieht wirklich beeindruckend aus." Lobt mich Herr Feix und schaut mir über die Schulter. Ich grinse breit. "Was ist das denn, Stephan?!" Fragt Pascal mit einem spöttischen Ton in der Stimme. "Das ist ein Einhorn. Alt französisch; lib corn, lateinisch; unigurnis. Wörtlich; einhörnig. Ein Fabeltier, ähnlich einem Pferd, mit einem Horn. Sichtbar nur für jene, die suchen und glauben. Wird meistens mit einer weißen Stute verwechselt! Einhorn." Alles starrt mich verblüfft an, Pascal mit offenem Mund. Ich grinse triumphierend. "Bist du etwa ein Einhorn Fanatiker? Das du sowas weist..." Stellt Aaron fest. "Nicht direkt. Ich interessiere mich allgemein für Mythen und bin daher ziemlich bewandert in solchen Dingen. Das Einhorn steht aber auf meiner Beliebtheitsliste ganz oben, ja." Gebe ich etwas verlegen zu. "Cool." Sagen die meisten im Chor und ich muss kichern. Dann nimmt Herr Feix meine Statue und geht mit mir in einen Extra Raum. Wir ziehen uns Mundschutz drüber und ich sprühe den Lack auf. Jetzt sieht mein Einhorn richtig toll aus, mit dem Glanz, den der Lack verursacht. Bis heute Nachmittag sollte es auch getrocknet sein, dann kann Franz es mit nach Hause nehmen.

Jetzt ist Feierabend und wir packen unsere Sachen zusammen. Meine Tasche ist heute etwas schwerer als sonst, weil ich ein paar Sachen mehr mit habe. Ich werde nämlich dieses Wochenende mit zu Rene fahren. Da er sowie so alleine in seiner Wohnung lebt, stört es auch keinen, wenn er Besuch mit bringt. Dementsprechend ist er aber auch etwas einsam, weil seine alten Freunde weg gezogen sind und keine Zeit mehr haben. Wir laufen gerade zum Eingang, als ich schon Franz sehe. Er unterhält sich gerade mit Oliver. "Hallo, ihr zwei." Mache ich auf uns aufmerksam. "Schnucki! Wow, ist das Einhorn deins?" Bemerkt Franz. "Ja. Das ist meine Wochen Aufgabe gewesen. Sieht toll aus, oder?" "Und wie! Das muss ich unbedingt irgendwo hin stellen, wo man es sofort sehen kann, wenn man zu uns kommt! Die Leute werden staunen!" Lobt mich mein Schatz und ich werde etwas rot. Oliver klatscht begeistert in die Hände und linst dann fragend zu Rene. "Danke, Olli. Das hier ist Rene, er macht mit mir zusammen die Ausbildung zum Tischler. Rene? Das ist Oliver, er ist jetzt zweites Lehrjahr bei den Elektro Mechatronikern." Stelle ich die beiden einander vor. Sie reichen sich die Hände und Rene gibt ein etwas schüchternes "Freut mich." von sich. Oliver lächelt ihn sanft an und nickt. "Ach, wundere dich nicht, Rene. Olli ist stumm, er kann nicht sprechen. Aber wenn man eine Weile mit ihm zu tun hat, versteht man trotzdem, was er einem mitteilen will." Sagt jetzt Franz und wuschelt Oliver durch die hellbraunen Haare. Dieser lächelt noch breiter und verabschiedet sich dann. "Wir werden dann jetzt auch los." Sage ich zu Franz und umarme ihn noch zum Abschied. Er drückt mich fest an sich und vergräbt das Gesicht in meiner Halsbeuge. "Ich vermisse dich jetzt schon, mein Schnucki. Wie soll ich bloß einschlafen, wenn du nicht neben mir liegst?" "Du schaffst das schon, mein Schatz. Außerdem bist du ja nicht alleine. Gwen schläft doch neben dir. Und Tim ist auch noch da. Das Essen habe ich ja auch schon vorbereitet, damit ihr es nur noch warm machen braucht." Sage ich tröstend und streiche ihm über den Rücken. "Ja, ich weiß. Trotzdem... das ist jetzt das erste mal, dass du mehrere Tage nicht bei mir bist, wenn ich einschlafe." Mosert Franz weiter. Schon süß, wie er sich so an mich klammert. Das macht mich glücklich. Ich gebe ihm einen langen intensiven Kuss und Hauche dann in sein Ohr; "Ich liebe dich, Franz." "Ich liebe dich auch, Stephan." "Wenn ich bei Rene angekommen bin, schreibe ich dir." Lächele ich noch einmal und will gerade mit Rene los laufen. "Soll ich euch vielleicht nicht doch zum Bahnhof fahren?" Fragt Franz nochmal hoffnungsvoll. "Aber du musst in eine völlig andere Richtung. Das wäre für dich nur ein Umweg. Es sind ja nur zwei Nächte, Franz. Am Sonntag komme ich doch schon wieder." Erkläre ich ihm ruhig. "Ja, ich weiß. Denk aber bitte dran, dass ich dich vom Bahnhof abholen will! Wenn du dort ankommst, wartest du gefälligst auf mich, okay!" Erinnert er mich nochmal. "Ja, versprochen! Bis dann, mein Schatz." "Bis dann, Schnucki." Winkt mir Franz dann noch hinter her und Rene und ich laufen zum Bahnhof. "Es ist schon eine Weile her, dass ich das letzte mal mit der S-Bahn gefahren bin. Hoffentlich weiß ich noch wie das geht." Witzle ich gekonnt über mich selbst. Rene stimmt in mein Kichern mit ein. "Keine Sorge. Ich bin ja bei dir." Lächelt er und wir gehen noch zum Automaten. Ich hole mir eine Einzel Fahrkarte für den Bereich in den wir müssen und dann kommt auch schon die Bahn. Wir lassen zuerst die Leute aussteigen, bevor wir selber rein gehen und uns einen Platz zum sitzen suchen. Wir haben auch Glück, denn eine ganze vierer Bank ist frei. Ich setze mich ans Fenster und Rene mir gegenüber. "Ich freue mich ja so, dass es bei dir geklappt hat, Stephan. Dieses Wochenende ist sogar Jahrmarkt bei mir zu Hause. Dann können wir bummeln gehen." Freut sich Rene und grinst übers ganze Gesicht. "Ja, ich freue mich auch." Antworte ich lächelnd. Dann zieht etwas Renes Aufmerksamkeit auf sich. Er schaut verwirrt an mir vorbei und ich folge seinem Blick. Im Gang steht Aaron und atmet schwer. Er hat leichte Schweißperlen auf der Stirn und eine rinnt gerade seine Schläfe herunter. Er sieht aus, als wäre er gerannt um die Bahn zu erwischen, was seltsam ist, da er ja mit uns zusammen Feierabend hatte. Ich klopfe kurz gegen die Scheibe zwischen uns und winke kurz, als er mich ansieht. Er lächelt plötzlich breit und kommt dann zu uns. "Na, ihr zwei. Fährst du heute mit zu Rene, Stephan? Ich habe dich vorher noch nie Bahn fahren sehen." Sagt und setzt sich neben mich. "Ja, genau. Rene hat mich zu sich eingeladen. Normalerweise fahre ich immer mit meinem Freund nach hause." Antworte ich ihm. Aaron ist der einzige Unparteiische bei uns. Er hat keine Probleme mit mir, hat auch mit den anderen nicht so wirklich etwas zu tun. In der Pause ist er meistens auch bei seinen Bekannten von früher, die hier auch ihre Ausbildung machen, nur halt in anderen Bereichen. Eigentlich ist er auch immer ziemlich verschlossen und ernst. Er schaut auch immer etwas streng. Wieso er jetzt dieses Dauer Grinsen aufsetzt, verstehe ich nicht wirklich. Wir unterhalten uns eine ganze Weile und Aaron ist heute wirklich sehr offen und kichert rum wie ein kleines Kind. "So, hier muss ich raus. Dann bis Montag, ihr zwei." Verabschiedet er sich. Er schaut mich kurz direkt an und tut dann etwas, womit ich niemals gerechnet hätte; er kommt mir näher und küsst mich kurz auf die Wange. Erschrocken und irritiert lege ich meine Hand auf die Stelle und mache große Augen. "Bis dann." Grinst Aaron noch und ist dann auch schon aus der Tür raus. Rene schaut genau so überrascht wie ich und hat den Mund offen stehen. Was sollte das denn? Sowas macht Aaron doch sonst nicht! Oder ist er einfach nur übermütig geworden, weil er sich so auf das Wochenende freut? Aber das ist gar nicht seine Art... Ich werde ihn mal Montag danach fragen. Nur drei Stationen weiter müssen Rene und ich dann aussteigen. Wir wollen auch noch kurz einkaufen, weil wir das Abendessen zusammen kochen wollen. Was einfaches, das schnell geht, ist dann auch gleich gefunden und wir bezahlen an der Kasse. Dann geht es zu Rene. Mir fällt jetzt erst auf, dass er in der gleichen Gegend wohnt, wie Hans damals. Zufälligerweise auch genau im selben Aufgang. Ein eigenartiges Gefühl macht sich in meiner Brust breit... Als wir dann auch an der Tür im dritten Stock stehen, wird mir richtig flau. Rene wohnt jetzt also in der Wohnung, wo vorher Hans gewohnt hat. Wir gehen rein und ich stocke; es hat sich überhaupt nichts verändert! Alles steht noch genau da, wo es bei Hans stand! Es sind sogar die selben Möbel! Das kann doch nicht... "Stephan? Was hast du?" Reißt Rene mich aus meinen Gedanken. "Äh... Ich... Ich habe nur gerade so gestaunt... weil du es hier so schön hast..." Lüge ich schnell. Rene lächelt darauf hin und zieht sich die Schuhe aus. "Danke. Ich habe auch extra alles aufgeräumt und ordentlich gemacht, weil du das Wochenende da bist." Sagt er und wir bringen die Tüten in die Küche. Das ist sicher nur ein dummer Zufall! Was sollte Rene auch schon mit Hans zu tun haben?! Das muss ein Zufall sein!

Street Boy; Der Preis für meine Dienste beträgt.... (BoyxBoy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt