Tag 478; Ausgemerkelt!

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Jetzt ist wieder ein Jahr um und die zweite Woche auch schon fast wieder vorbei. Echt seltsam wie schnell sowas immer geht... Rene und ich sitzen gerade auf einer Bank und genießen die letzte Pause für den heutigen Arbeitstag. Zur Abwechslung leistet uns diesmal Aaron etwas Gesellschaft. Er hatte den Silvester Abend wohl nicht ganz so gut überstanden und lag im Krankenhaus. Sein Kumpel, der auch eine Tischler Ausbildung macht und mit uns zur Berufsschule geht, hatte angeblich guten 'Stoff' besorgt, den sie sich natürlich zu Gemüte geführt haben. Mit bitteren Konsequenzen! Die Drogen waren nämlich 'unrein', wie Aaron es nannte. Das heißt, sie wurden mit chemischen Mitteln gestreckt und somit noch gefährlicher als sowieso schon. Aaron musste der komplette Magen ausgepumpt werden und er hing am Tropf. Erst heute ist er wieder da, weil er sich ja auch ein paar Tage schohnen sollte. Eigentlich müsste er immer noch zu Hause sein, aber er hält es da wohl nicht mehr aus, weil seine Mutter die kleinen Geschwister zur Zeit ziemlich oft anschreit, weil sie nicht hören wollen. Er sieht auch echt mitgenommen aus; seine Haut wirkt irgendwie total fahl und glanzlos. Seine Augen sehen müde aus und er hat auch etwas abgenommen. Ich würde ihm ja gerne vorhalten, dass ich ihm ja gesagt habe, wie schädlich Drogen sind, aber er wirkt so schon total fertig, weshalb ich es lasse. Er scheint darüber aber auch echt froh zu sein. Ich schaue kurz auf meine Uhr und sehe, dass wir langsam wieder rein müssen, als Aaron plötzlich seinen Kopf auf meine Schulter legt. Ich erschrecke mich etwas und schaue leicht zu ihm rüber. "Können wir kurz über was reden, Stephan? Es ist wichtig..." Flüstert er mir zu und ich sehe zu Rene, der schon aufgestanden ist. "Rene? Kannst du bitte Herrn Feix bescheid sagen, dass Aaron und ich etwas später kommen? Wir müssen noch was mit einander bereden?" Lächle ich den Angesprochenen lieb an. Er nickt und sagt; "Ja klar, mach ich." Dann geht er zu unserem Gebäude und durch die Tür. Kurz ist es still zwischen Aaron und mir, aber dann beginnt er zu erzählen. "Mir geht es echt beschissen zur Zeit. Ich habe nicht umsonst mit den Drogen angefangen, Stephan. Nachdem ich die Schule hinter mir hatte, wollte ich ein bisschen zu Hause bleiben... meine Mutter etwas im Haushalt unterstützen und bei den kleinen... aber mit jedem Tag haben wir uns irgendwie immer mehr gestritten. Hauptsächlich wegen kleinigkeiten. Aber diese Woche hat sie echt den Vogel abgeschossen! Sie hat meine kleine Schwester geschlagen, weil sie kindersachen gemacht hat, Stephan! Als ich das gesehen habe, bin ich total ausgeflippt und habe sie angeschrien, was die Scheiße soll! Da hat sie eiskalt zurück geschrien, dass ich meine Klappe halten und einfach verschwinden soll und hat mir auch eine verpasst!" Erzählt Aaron mit leicht zittriger Stimme. Das ist echt die Härte! Ich war noch nie ein großer Fan von Gewalt, schon gar nicht gegen wehrlose Kinder. Und von elterlicher Gewalt schon mal so gar nicht! "Ich halte es wirklich nicht mehr aus zu hause... deshalb bin ich auch gegen die Anweisung des Arztes wieder auf Arbeit gegangen. Ich... kann einfach nicht mehr..." Fügt Aaron noch hinzu und ich merke, dass er anfängt zu zittern. Ich überlege kurz, was man in solch einer Situation machen könnte. "Vielleicht... ist es das beste, wenn du ausziehen würdest... Deine Mutter scheint momentan total überfordert zu sein, wenn sie schon ohne einen Grund einfach ihre Tochter schlägt. Sowas sollte sie nicht machen! Und natürlich ist es auch nicht okay, dass sie dich einfach schlägt. Es ist zwar wirklich löblich von dir, dass du bei ihr bleiben und ihr unter die Arme greifen wolltest, aber wenn sie es nicht zu schätzen weiss, solltest du anfangen, an dich selbst zu denken. Du musst dich schließlich auf deine Ausbildung konzentrieren und kannst nicht deine ganze Energie dafür verwenden, dich mit deiner Mutter auseinander zu setzen." Teile ich dann laut meine Gedanken mit Aaron. "Aber genau das wollte ich doch nicht! Ich bin ja nicht aus Bequemlichkeit bei ihr, sondern weil ich sie unterstützen wollte. Ich will ihr doch helfen! Im Haushalt, mit den Kindern, bei den Finanzen! Ich mach doch auch schon so viel wie ich kann, damit sie sich eben nicht um so viel kümmern muss... Ich weiß einfach... nicht..." Weiter kommt er nicht, denn seine ohnehin schon zittrige Stimme bricht in diesem Augenblick ab und er fängt leise an zu schlurzen. Ich mache große Augen und schaue zu ihm rüber. Tatsächlich; Aaron weint! Etwas überfordert mit dieser ungewöhnlichen Situation versuche ich noch, ihn wieder zu beruhigen. Jedoch vergeblich. Meine Worte scheinen sogar alles noch schlimmer zu machen. Die letzte Möglichkeit die ich sehe, um ihn vielleicht doch wieder zu beruhigen ist, ihn einfach in den Arm zu nehmen. Sanft streiche ich ihm dabei über den Rücken und drücke ihn etwas an mich. Er erwidert die Umarmung sogar, lässt mich ohne Gegenwehr gewähren und weint sich nun an meiner Schulter aus. Wir bleiben eine ganze Weile in dieser Position. Sie wird langsam schon echt ungemütlich, aber Aaron beruhigt sich immer mehr und jetzt hat auch sein Schlurzen aufgehört. Ich streiche ihm noch etwas den Rücken, bis er sich dann mit verweinten Augen und roten Wangen von mir löst. "Gehts wieder?" Frage ich sanft und er nickt, wischt sich die Tränen ab. "Dann ist ja gut." Gebe ich noch erleichtert von mir und lächle ihn an. Er lächelt etwas schief zurück, sieht aber schon wieder besser aus. Dann gehen wir langsam zurück zu unserer Werkstatt.

Street Boy; Der Preis für meine Dienste beträgt.... (BoyxBoy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt