21 - Matt

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An der Bar angekommen, bestellte ich eine zweite Runde Moutai und wurde anerkennend vom Barkeeper angeschaut. Ich erklärte ihm flugs, dass Harry das Getränk erkannt hatte und wir alle davon zumindest so sehr begeistert waren, dass wir wohl noch die ein oder andere Runde verköstigen würden.

Und das taten wir auch. Esther bekam wie versprochen jedes Mal einen neuen Kuss, wobei sie nach der vierten Runde ebenso wie Sai und Em, mit Trinken aussetzte. Letztere hatten zwischenzeitlich an dem Tisch am anderen Ende der Kneipe Platz genommen, an dem sich mittlerweile der Rest der Crew eingefunden hatte - wenn auch lediglich mit sieben Mann bzw. Frau, somit also nur ein winziger Bruchteil des gesamten Teams.

Wie ich den Gesprächen entnehmen konnte, war auch das zweite Casting des Tages erfolgreich. Den Darsteller würden wir jedoch erst zu Beginn der Dreharbeiten in knapp zweieinhalb Wochen wiedersehen. Bis dahin hieß es erst einmal noch den restlichen Abend sowie den anschließenden Urlaub genießen. Ich hatte ursprünglich geplant mit Esther eine einwöchige Reise durch Kanada zu machen, schließlich fanden die ersten Dreharbeiten in Toronto statt. Nun, da sie gemeinsam mit Lexi hier aufgetaucht war, würde das jedoch bedeuten, dass die zwei wie Kletten aneinander klebten und auch die weiteren Tage miteinander verbringen wollen würden. Die Vorstellung zu dritt meine letzten freien Tage zu erleben, bereitete mir dabei leichte Kopfschmerzen.

«Alles okay mit dir?», fragte mich eine besorgte Stimme, als ich mit meinen Finger meine Schläfen ein wenig massierte. Ich blickte in müde Augen, deren Braun bereits seit ein paar Stunden ihren Glanz verloren hatten.

Stumm nickte ich Harry zu und erklärte ihm flüsternd ins Ohr, dass ich froh sein würde, wenn der Abend mit den beiden Tratschtanten endlich vorbei war. Nachdem wir nur noch zu sechst am Tisch saßen -Harry hatte ja zwei seiner Sitznachbarn verloren - tauschte ich den Platz an der Seite meiner Freundin gegen den freien neben ihm. So kam es, dass wir uns seit einigen Minuten immer mal wieder sporadisch berührten. Sei es mit den Armen oder Schultern, oder aber auch den Füßen. Jede noch so kleine Berührung ließ mich kurz zusammenzucken und es dauerte jeweils einen kurzen Moment, um die aufgebaute Anspannung wieder loszuwerden.

Trotz des reichlich geflossenen Alkohols und der süßen Schokoladendesserts, die sich einige von uns gönnten, war es mir nicht gelungen, Harry vollends aus seinem teilweisen apathischen Zustand zu befreien. Ich beobachtete ihn öfters dabei, wie er mit den Gedanken ganz weit weg zu sein schien. Selbst wenn er angesprochen wurde, reagierte er nur sporadisch. Seine Verlobte hatte ihm zwar zwischenzeitlich eine Nachricht geschrieben, aber mehr als ihn darüber zu informieren, dass sie gut gelandet war und ihr Smartphone erstmal für die nächsten Stunden ausschalten würde, da sie im Krankenhaus bei ihrer Mutter blieb, kam weiter nichts. Kein Kommentar zu den Bildern oder zu den Sätzen, die er ihr hinterlassen hatte. Nicht einmal viel Spaß hatte sie ihm gewünscht. Nur ein «Ich liebe dich» zum Abschluss, was zwar lieb gemeint war, allerdings nicht wirklich aufmunternd rüber kamen. Sie schienen einen faden Beigeschmack zu haben, so als wären sie nur eine Art Standardfloskel. Harry erwiderte ihr daraufhin mit ähnlichen Worten, die jedoch so schnell von ihr nicht gelesen werden würden.

Umso furchtbarer fühlte ich mich, dass ich mein Glück an meiner Seite haben konnte. So sehr ich Esther ja liebte, vielleicht wäre es besser gewesen wenn sie zusammen mit Lexi den Abend woanders verbracht hätte. Mich überkam immer wieder das schlechte Gewissen, dass ich Harry im Stich gelassen hatte und im Gegenteil sogar eher noch alles schlimmer machte.

«Hast du eigentlich schon mal einen anderen Kerl geküsst?», fragte meine Freundin und sah Harry dabei belustigt, aber dennoch gleichzeitig ernst, an. Damit hatte sie mich schlagartig aus meinen Gedanken geholt und mich ebenso schnell zornig werden lassen.

«Esther!», fuhr ich sie scharf an und funkelte sie wütend an.

«Jetzt führ dich nicht so auf, Matt! Das war ne ganz normale Frage und wenn er sie nicht beantworten will, kann er mir das ruhig selbst sagen. Dafür brauch er dich nicht dazu.»

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