22 - Harry

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Scheiße! Scheiße! Scheiße!

Fuck! Genau das hatte ich doch vermeiden wollen! Warum zur Hölle ließ ich mich nur so gehen?! Warum konnten die anderen nicht einfach ihre verdammte Schnauze halten und Matt in Ruhe lassen? Hatten sie nicht gesehen wie unangenehm das für ihn war? So vehement wie er dagegen war, hätten sie ihn nicht noch weiter provozieren dürfen. Auch wenn ich es letztlich war, der die Kontrolle verlor. Daher konnte ich Matt nicht einmal wirklich böse sein.

Dennoch tat es verdammt weh, seinen abwertenden Blick auf mir zu spüren. Und selbst jetzt, Sekunden nach seiner Flucht, wollte es immer noch nicht aufhören. Das schmerzende Gefühl in meiner hämmernden Brust verweilte in mir, als hätte es sich in einem wohligwarmen Zuhause eingenistet. Ohne Aussicht, dass ich es so schnell wieder loswerden würde.

Seufzend griff ich mit meinen Händen in meine Haare und packte kräftig zu. Durch das Ziehen leitete mein Nervensystem die entsprechenden Impulse an mein Gehirn weiter, was mich einen ruckartigen Schmerz verspüren ließ. Doch wütend wie ich war, lockerte ich den Griff nicht etwa, sondern raufte mir stattdessen die Haare umso mehr. Ein schwacher Versuch mich Matt verbunden zu fühlen in seinem Leiden, auch wenn mir bewusst war, dass Schmerzen im Inneren nicht ansatzweise mit äußeren Wunden gleichzusetzen waren. Schmerzen des Herzens waren die schlimmsten überhaupt und ich hatte ihm gnadenlos einen Stich versetzt, weil ich selbst überfordert war. Vielleicht auch ein bisschen egoistisch, denn um ehrlich zu sein, wollte ich den Kuss mehr als alles andere.

Nüchtern betrachtet war ich also letztendlich selbst Schuld an der ganzen Misere. Die Situation war einzig und allein aufgrund meiner unüberlegten Handlung außer Kontrolle geraten. Ich wusste, dass ich ihn niemals hätte küssen dürfen! Unter keinen Umständen. Nicht so ohne Weiteres und vor allem nicht in diesem Zustand. Egal wie sehr ich ihn herbeisehnte, es hätte nicht dazu kommen dürfen und wen sonst, außer mich selbst, sollte ich zur Verantwortung ziehen?

Die anderen hatten ihn provoziert und den Stein ins Rollen gebraucht, genauso wie der Alkohol seinen Teil dazu beitrug, so hatte er doch immerhin meine Hemmschwelle gesenkt. Ohne wäre ich vielleicht standhafter geblieben. Aber was nützten mir diese Ausflüchte jetzt noch? Ich hatte mich nicht im Griff gehabt und Matt war derjenige, der es ausbaden und darunter leiden musste.

Kein Wunder also, dass er angewidert vor mir die Flucht ergriff. Wer weiß, ob ich an seiner Stelle nicht auch so reagiert hätte. Wenn mich so ein Arsch, wie ich es nun mal unzweifelhaft gewesen war, so über den Haufen gerannt hätte, wären bestimmt auch bei mir alle Sicherungen durchgebrannt. Im Gegensatz zu den anderen hatte ich nicht nur seine Bitte missachtet, sondern ich hatte absichtlich seine Schwelle übertreten. Statt Matt beizupflichten, dass man uns in Ruhe lassen sollte, hatte ich ihn doch tatsächlich geküsst!

Und sein Gesichtsausdruck sprach Bände. Er fand es einfach nur abstoßend und ekelerregend! Wie er mit seinem Ärmel versuchte den grauslichen Geschmack abzuwischen, war einfach furchtbar mit anzusehen ...so viel Abscheu lag in seinem Blick, dem ich mich trotz allem nicht hatte entziehen können. Es war, als ob ich im Moment gefangen gewesen wäre und mir gar keine andere Wahl mehr blieb.

Vielleicht lag es ja aber nicht mal an dem Kuss an sich, sondern einfach nur generell an mir. Weil ich ein Mann war. Weil er mich nicht attraktiv fand. Weil ich nicht seine Freundin war. Oder einfach nur deshalb, weil ich ich war. Bestimmt hatte ich Mundgeruch, der ihm unangenehm aufgestoßen war. Oder noch schlimmer ...weil ich nicht gut küssen konnte. Wobei es technisch gesehen ja nicht mal ein richtiger Kuss war. Meine Lippen hatten zwar auf seinen gelegen, aber mehr war es im Endeffekt gar nicht gewesen. Es gab –offensichtlich! – keine Erwiderung seinerseits. Nichts was auch nur im Entferntesten darauf hindeutete, dass es ihm gefiel.

Nun ja, seine Reaktion als ich mich von ihm löste, war jedenfalls eindeutig gewesen. Eindeutiger konnte man einem nicht mitteilen, dass man von einem Kuss angewidert war. Matt zerstörte damit jegliche Hoffnungen in mir, die ich zwar eigentlich gar nicht erst hätte haben dürfen, denen ich mich aber dennoch nicht entziehen konnte. Sie waren seit Stunden da und zerfielen nun vor meinem inneren Auge zu Staub, welche zeitgleich mit Matts Abgang fortgetragen wurden. Weg waren sie und würden so schnell nicht wiederkommen.

Mein neuer AnfangWo Geschichten leben. Entdecke jetzt