39 - Harry

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«Du wolltest mir etwas erklären», unterbrach ich irgendwann die sanfte Stille, die uns bereits seit einigen Minuten begleitete.

Matt und ich hatten keine bestimmte Richtung eingeschlagen, sondern liefen einfach immer der Nase nach. Um uns herum waren nur noch vereinzelt Menschen zu sehen, meist irgendwelche kleinen Studentengrüppchen, die bereits extrem angeheitert waren. Ansonsten hatte sich ein recht friedvoller Schleier über die Stadt gelegt, stets darum bemüht wenigstens für ein paar Stunden Ruhe reinzubringen, wo sonst geladene Hektik herrschte.

Es wehte trotz fortgeschrittener Temperaturen am Tag, nun am späten Abend doch ein zeitweise unangenehmer Nachtwind, der mich leicht frösteln ließ. Meine schwarze Lederjacke, die ich mir vorsorglich mitgenommen hatte, wärmte mich dabei jedoch nur bedingt. Die Kälte setzte sich auf jedem Fleckchen nackter Haut fest, die sie zu greifen bekam. Zwischenzeitlich hatte ich meine Hände in die Taschen meiner Jacke gelegt, doch diese waren leider ebenso klein wie die meiner Hosen.

Würde Shelby jetzt neben mir laufen, hätte ich zumindest eine ihrer Hände genommen und sie mit meiner verbunden, doch bei Matt traute ich mich erst gar nicht. Ein Blick zur Seite verriet mir zwar, dass er ebenfalls mit dem eisigen Windhauch zu kämpfen hatte, allerdings verschränkte er sie während des Laufens hinter seinem Rücken. So hatte ich nicht mal eine Chance eine «zufällige» Berührung entstehen zu lassen. Außerdem konnte ich mir nicht vorstellen, dass er das überhaupt zugelassen hätte, schließlich konnte uns weiß Gott wer beobachten.

Seufzend sah ich zu Matt hinüber, als er plötzlich stehen blieb. Meine Frage hatte ihn wohl nicht wirklich überrumpelt, dennoch schien er nicht recht zu wissen, was er antworten sollte. Oder es war ihm schlichtweg peinlich darüber zu reden. Selbst im Dunkel der Nacht waren seine sonst so blassen Wangen gut zu erkennen, hatten sie sich doch in ein dezentes erdbeerrot gefärbt. Mir gefiel dieser Anblick jedenfalls sehr, auch wenn er sich ein wenig von mir abwandte, als er erkannt hatte, wie sehr ich ihn anstarrte.

«Du musst mir darauf nicht antworten, das weißt du hoffentlich. Weder bist du mir in irgendeiner Hinsicht Rechenschaft schuldig, noch solltest dich erklären müssen, weil du es für angebracht hältst meine Neugier zu befriedigen.»

Matt nickte mir zu und gab mir damit zu verstehen, dass er sich dessen bewusst war. Trotzdem haderte er weiter mit sich selbst. Die Zweifel sich mir anzuvertrauen, standen ihm wahrhaft ins Gesicht geschrieben. So gern ich es auch wollte, aber nehmen konnte ich sie ihm nicht, das konnte er nur selbst.

«Auch wenn du meinst, dass ich es nicht tun müsste, so fühlt es sich für mich dennoch so an, als ob ich es dir schuldig bin. Gerade du hast eine Erklärung verdient. Die anderen sind mir so ziemlich egal», murmelte er unsicher vor sich hin. Ich musste mich richtiggehend auf seine Stimme konzentrieren, um ihn auch ja verstehen zu können.

«Ich kann dir doch auch egal sein», entgegnete ich ihm daraufhin mit einem aufgesetzten Lächeln, ließ es aber sofort wieder verschwinden als ich ihn sah, wie er mich deswegen finster anblickte.

«Bist du aber nicht», antwortete er bockig und legte mir zum Beweis seine linke Hand auf die Schulter. Ich drehte mich daraufhin zu ihm um, sodass wir uns nun sehr dicht gegenüber standen. Als eine Dreiergruppe Mädels pfeifend und grölend an uns vorbeilief, drückte Matt mich um Platz zu machen, ein wenig nach hinten, sodass ich mich urplötzlich mit dem Rücken zu einer Hauswand befand.

«Die Szene kommt mir irgendwie bekannt vor», grinste ich ihn schelmisch an. Beim Anblick eines schmunzelnden Matts setzte erneut Schnappatmung bei mir ein. Ich rang sichtlich nach dem so dringend benötigten Sauerstoff, der mir in letzter Zeit viel zu oft abhanden kam, wenn es mal wieder nur um Matt ging.

Dieser Mann brachte es aber auch tatsächlich fertig mir den sprichwörtlichen Atem zu rauben. Jeder weitere Moment, in dem ich ihm so nahe war, wurde zum Kampf auf Leben und Tod. Der angeborene Reflex der Lungen sich den überlebenswichtigen Sauerstoff aus der Luft zu entziehen, setzte in Matts Gegenwart viel zu oft aus. Unabhängig davon, ob ich gerade glücklich oder aber auch wütend auf ihn war.

Mein neuer AnfangWo Geschichten leben. Entdecke jetzt