27 - Harry

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Als das Flugzeug zur Landung ansetzte, schob ich mir vor lauter Müdigkeit übermannt, meine rechte Hand vor den Mund und gähnte aus tiefster Kehle. So bequem der etwas mehr als sechsstündige Flug auch war, so fertig fühlte ich mich dennoch von all den Reisestrapazen. Einen Nachtflug zu nehmen war im Nachhinein nicht gerade meine schlauste Idee gewesen, weswegen ich mir fest vornahm, mich im Hotel erst einmal eine Runde aufs Ohr zu hauen.

Schlaf war ein kostbares Gut, wie ich in den letzten beiden Wochen oftmals übermüdet feststellen musste. Abends lag ich lange wach und konnte trotz des warmen Körpers neben mir, kaum ein Auge zudrücken. Wenn ich dann doch mal ins Land der Träume abdriftete, dauerte es nicht lange und ich wachte mitten in der Nacht auf. Dasselbe galt für den frühen Morgen, nur dass ich je nach Uhrzeit gar nicht mehr einschlafen konnte. Egal wie fertig ich auch war, die ersehnte Ruhe hatte ich seitdem nur einmal gefunden.

Ich wusste genau was es war, was so an meinen Kräften zerrte. Was meine Gedanken beherrschte und mich in den Strudel der Dunkelheit zog. Aus diesem Grund konnte ich nur hoffen, dass ich von nun an, ab dem heutigen Tage wieder beruhigt ins Bett gehen konnte. Denn in knappzehn Stunden – wie ich nach einem Blick auf meine neue Armbanduhr, die mir meine Verlobte geschenkt hatte, verblüfft bemerkte – würde ich ihn endlich wiedersehen.

Seit wir uns an jenem Abend voneinander getrennt hatten, um in unsere eigenen Hotelzimmer zu flüchten, hatte ich ihn nicht mehr getroffen. Genauso wenig haben wir telefoniert oder uns Nachrichten geschickt. Dabei verfluchte ich mich selbst, hatte ich es ihm eigens vorgeschlagen. Zwei Wochen Abstand voneinander würden uns zeigen, dass das was vorgefallen war, keinerlei Bedeutung hatte. Zwei Wochen lang versuchte ich es mir selbst immer wieder einzureden und doch war die Vorfreude groß, schon recht bald wieder in seiner Nähe sein zu dürfen.

Ich würde lügen wenn ich behaupten würde, dass ich nicht an unsere vielen Küsse gedacht hätte. Matt hatte mir deutlich gemacht, dass er mich wollte. Seitdem fragte ich mich jeden Tag aufs Neue, wie weit er gegangen wäre, wenn ich ihn nicht um diesen Abstand gebeten hätte. Hätten wir die Nacht zusammen verbracht und all die Dinge getan, von denen ich träumte und nach denen ich mich so sehr sehnte?

Oh und wie sehr ich das tat. So sehr, dass er meine Gedanken beherrschte, selbst wenn ich gerade verschwitzt mit Shelby im Bett lag und in ihr war. Wenn ich sie ausfüllte und mir dabei jedoch vorstellte, ihn unter mir zu haben und nicht sie. So oft wie ich in den letzten Tagen gekommen war, allein bei der Vorstellung ihn zu ficken oder von ihm gefickt zu werden, hörte ich auf mich für meine Gefühle zu schämen. Ich begehrte Matt und hasste mich dafür ihn zurückgewiesen zu haben.

Meiner Verlobten gegenüber war das alles nicht fair, das wusste ich. Ich ging ihr fremd, wenn auch nur in Gedanken. Doch ich tat es mit so einer Inbrunst, dass ich von mir selbst angewidert war. Ich sollte mich dreckig und mies deswegen fühlen und ein Teil von mir tat das sogar tatsächlich, doch jedes Mal wenn mich das schlechte Gewissen versuchte zu erdrücken, tauchte das Bild von einem lächelnden Matthew vor mir auf.

Ich konnte nicht anders als glücklich zu sein, was mich trotz der riesigen Distanz, die sich zwischen uns befand, dennoch immer öfter seinetwegen lächeln ließ. Mein Strahlen blieb natürlich nicht unbemerkt, Shelby sprach mich deswegen auch an. Doch mehr als ihr zusagen, dass ich gerade vollends zufrieden mit meinem Leben war, konnte ich nicht zugeben.

Sie verdiente es die Wahrheit zu erfahren, doch dafür war ich noch lange nicht bereit. Wie sagte man der Frau, die man liebte, dass man sich zu einem anderen Mann hingezogen fühlte? Meine Gefühle für Shelby waren ja nicht weniger geworden, ich liebte sie immer noch abgöttisch und wollte sie auch nach wie vor heiraten. Dennoch schlich sich beider Vorstellung wie die Zukunft wohl aussehen mochte, immer wieder das Bild eines schwarzhaarigen New Yorkers dazwischen. Eines 1,90mgroßen, sechs Jahre jüngeren Mannes, dessen Vater Rechtsanwalt und Leiter der Anti-Terror-Einheit des NYPD gewesen war, sowie seiner Mutter, die sich als Anwältin einen Ruf gemacht hatte. Er hatte neben Alexandra noch eine Schwester – Catharine, die Jüngste in der Familie. Somit teilte er mein Schicksal mit zwei Schwestern aufzuwachsen, was sicher nicht immer einfach war.

Mein neuer AnfangWo Geschichten leben. Entdecke jetzt