33 - Matt

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Ich wusste, dass ich schon längst hätte dort sein sollen. Spätestens als Dom mir eben geschrieben hatte, wurde mir endgültig bewusst, wie dumm ich doch war. Ich saß hier und badete in Selbstmitleid, dabei war es eigentlich so einfach. Okay, vielleicht nicht unbedingt gerade einfach, aber im Prinzip kämpfte ich seit Stunden gegen etwas an, was sich sowieso nicht aufhalten ließ. Also warum ging ich nicht einfach hin? Was wäre denn schon groß dabei? Es waren so viele Leute da, nichts war somit leichter als ihm aus dem Weg zu gehen. Schließlich vermissten sie mich alle. Naja, fast alle. Bei Harry war ich mir da nicht ganz so sicher, zumindest nicht nachdem zu urteilen, wie wir vor zwei Wochen auseinander gegangen waren.

Als würde die Flasche Scotch auf dem Tisch vor mir, all meine unausgesprochenen Fragen beantworten können, starrte ich sie gedankenverloren an, bis ich es nicht mehr aushielt und nach ihr griff. Gierig setzte ich sie an meinen Mund ans und gönnte mir einen weiteren großen Schluck. Ich hasste den Geschmack der Flüssigkeit, der sich durch meine brennende Kehle zog, doch wenigstens half es ein bisschen mich zu betäuben. Nichts mehr wollte ich in diesem Augenblick.

Traurig warf ich einen Blick nach hinten auf das leere Hotelzimmerbett und verzog die Mundwinkel nach unten. Esther war natürlich nicht zurückgekehrt, ehrlich gesagt hatte ich es nach ihrem Abgang heute Morgen, auch nicht anders erwartet. Dennoch schmerzte es ungemein zu wissen, selbst Schuld daran zu sein. Jede Faser meines Körpers vermisste sie, die einzige Frau die ich mir jemals vorstellen konnte eines Tages zu heiraten und mit ihr Kinder zu haben. Solche starken Gefühle hatte ich nur für sie übrig, niemanden sonst wollte ich an meiner Seite. Erst recht nicht Harry, der mich eh nur wieder zurückweisen würde.

Seufzend fuhr ich mir mit meinen Händen durch meine Haare und krallte meine Finger darin fest. Wie konnte mein Leben an nur einem einzigen Tag so dermaßen aus den Fugen geraten? Warum hatte ich es überhaupt soweit kommen lassen? Die seltsamen Gefühle für Harry waren all das Chaos, was unsere Küsse von da an mit sich gebracht hatten, jedenfalls absolut nicht wert. Wenn ich könnte, würde ich alles rückgängig machen.

Esther wollte, dass ich mich entschied. Doch das musste ich gar nicht. Wäre sie geblieben, hätte ich ihr gesagt wie sehr ich sie liebte und nur mit ihr zusammen sein wollte. Um glücklich zu sein brauchte ich keine andere Person, das war mir nach ihrem Abgang mehr als nur klar. Aus lauter Verzweiflung weil sie keine meiner Anrufe entgegengenommen und auf keine meiner Nachrichten geantwortet hatte, war ich doch glatt zur nächstgelegenen Tankstelle gelaufen, um mir das nächstbeste Gesöff zu kaufen, damit ich mir ordentlich einen hinter die Binde kippen konnte. Ich wollte mich von diesem beschissenen Gefühl lösen, das mich jedes Mal überkam, wenn ich die Augen zumachte. Esther war allseits präsent in meinen Gedanken, doch anstatt sie auch im realen Leben neben mir zu haben, hatte ich sie verloren. Und was war besser dafür geeignet mich selbst zu bestrafen, als eine billige Flasche Scotch, dessen Geschmack ich so sehr verabscheute, wie mich selbst in diesem Moment. Sie war viertels geleert, da war es noch nicht einmal Mittag ...

So elend wie ich mich jetzt am frühen Abend allerdings fühlte, so furchtbar sah ich bestimmt auch aus. Meine Beine trugen mich ins Badezimmer, wo ich mich besorgt im Spiegel betrachtete. Einen gebeutelten, weinerlichen Mistkerl konnte ich darin erkennen. Ein Schatten meiner selbst, dem ich am liebsten ins Gesicht geschlagen hätte. Ich hatte tatsächlich wegen dieses Idioten meine Beziehung aufs Spiel gesetzt. Wegen eines Scheißkerls, der mir nicht mehr aus den Gedanken ging und meine Träume beherrschte. Intensive Träume, die ich nicht aufhalten konnte, so sehr ich es auch wollte. Entgegen jedweder Vernunft, kam mir immer wieder sein Name in den Sinn. Wie eine Droge, die süchtig machte und von der man sich nicht lösen konnte, egal was man auch versuchte. Die man unter vernünftigen Gesichtspunkten niemals freiwillig konsumierte, da sie einen innerlich zerstörte. Stück für Stück konnte man seinem eigenen Verfall zusehen, während man die Kontrolle über sein eigenes Handeln verlor.

Mein neuer AnfangWo Geschichten leben. Entdecke jetzt