26 - Matt

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Als ich endlich zu Harry zurückkehrte, konnte ich sehen, wie er traurig auf den Bildschirm seines Smartphones blickte. Er sah zu mir auf, nachdem die Tür hinter mir zufiel und packte sein Telefon augenblicklich zurück in seine Hosentasche. Mit Sicherheit dachte er an seine Verlobte, welche vermutlich immer noch im Krankenhaus bei ihrer Mutter war. Es tat überraschend weh zu wissen, dass sie anstatt meiner seine Gedanken beherrschte. Ich war nie egoistisch veranlagt, doch in diesem Moment wünschte ich mir nichts mehr, als der Einzige für ihn zu sein.

«Alles okay bei dir?», fragte ich ihn und blickte in eine sorgenvolle Miene.

«Nein, nicht wirklich. Aber das ist ganz allein mein Problem. Damit muss ich selbst fertig werden. Lass uns einfach gehen», versuchte er mich zu überreden, doch ich blieb konsequent stehen und wartete auf eine richtige Antwort.

«Wenn wir schon über uns reden und über das was eben passiert ist, will ich auch Ehrlichkeit in jeder anderen Hinsicht. Also sag schon, Harry. Was bedrückt dich? Mit deiner Verlobten alles in Ordnung?»

«Gar nichts ist in Ordnung», seufzte er und ich war froh, dass er wenigstens ehrlich war. Hätte er schon wieder abgeblockt oder es für nicht wichtig erachtet, hätte ich so langsam nicht mehr weiter gewusst. So aber schien es, als wäre er durchaus bereit mit mir zureden und alleine diese Tatsache empfand ich als Fortschritt. «Ich fühle mich einfach nur mies, so richtig mies. Während Shelby tausende Meilen weit von mir entfernt ist und sich um ihre Mutter sorgt, bin ich hier und habe nichts besseres zu tun, als ihr fremd zugehen.»

Ich schluckte schwer bei seinen Worten und fühlte wie das massive Gewicht namens Schuld und schlechtem Gewissen auf meine Brust drückte. Mein Herz zog sich zusammen und bekam bei jedem seiner Worte einen einzelnen Stich versetzt. Ich wusste, wie es gerade in ihm aussah. Was in seinem hübschen Kopf vorging und welche Gedanken er sich machte. Mir ging es diesbezüglich kein Stück besser als ihm und das Wissen um unsere Gefühle, egal wie schwach oder stark sie waren, tat gerade einfach nur weh.

Innerlich musste ich jedoch auch ein klein wenig schmunzeln. Harry interpretierte also ebenfalls mehr in den Kuss hinein, als nur ein kleiner Test unter Freunden oder als Übung für unsere unzähligen Küsse, die in der Serie hoffentlich bald folgten. Seit ich ihn das zweite Mal gesehen hatte – das erste Mal im Hotel zählte für mich nicht wirklich, da er mich da nicht wahrgenommen hatte – wusste ich, dass es für mich mehr als nur eine Probe sein würde. Ohne etwas zu empfinden, kann man von einer Person nicht so fasziniert sein, wie ich es war. Doch bis genau eben, war ich mir noch extrem unsicher, wie er darüber dachte.

Harry musste ja nicht zwangsweise das Gleiche empfinden wie ich. Eigentlich konnte ich schon mehr als zufrieden sein, dass er mich nicht von sich drückte. Nun ja, in gewisser Weise hatte er das zwar getan, aber im Nachhinein war ich ihm erstaunlicherweise sogar dankbar dafür. Unser Kuss war sicher leidenschaftlich, dennoch hätte ich nicht gewusst, wie weit ich tatsächlich gegangen wäre, wenn ich ihm meine Zunge in den Hals geschoben hätte. Obwohl ich nicht umher kam zuzugeben, dass ich neugierig war, wie sich seine heiße Mundhöhle und seine feuchte Zunge anfühlten und schmeckten. Vielleicht würde ich das ja irgendwann einmal herausfinden.

«Ich weiß, wie du dich fühlst», stammelte ich unsicher vor mich hin und setzte mich so langsam in Bewegung. Harry folgte mir prompt und für eine kleine Weile herrschte absolute Stille zwischen uns. Keiner wollte aussprechen was er dachte. Es würde bedeuten etwas festzulegen, was keiner von uns so wirklich zu wollen schien.

Gedankenverloren spazierten wir somit nebeneinander die Straßen entlang und genossen das Beisammensein unter freiem Himmel. Obwohl die Stimmung leicht angespannt war, fühlte ich mich dabei trotzdem nicht unwohl neben ihm. Schlagartig wurde mir nun auch klar, was der Barkeeper mit Intensität meinte. Ich spürte nach wie vor diese Hitze in mir, die allein durch seine bloße Anwesenheit ausgelöst wurde. Von den schwitzigen Händen und nervösen Gedanken ganz zu schweigen. Es drehte sich alles nur um ihn, schon den ganzen Tag über beherrschte er mich.

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