24 - Matt

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Die kühle New Yorker Nachtluft schlug mir pfeilschnell entgegen und traf mich wie eine unsichtbare Mauer. Hart und heftig knallte ich dagegen, als ich mit einem Ruck die Tür der Kneipe öffnete und kopflos herausstürmte. Mein Verstand fühlte sich völlig vernebelt an, alles drehte sich und erschien mir mehr als nur unklar. Um auch ja nicht plötzlich mitten auf dem Gehweg einfach so umzukippen, musste ich mich tatsächlich an einem der parkenden Autos vor mir festhalten. Unfallfrei dorthin zu gelangen war jedoch nicht ohne, denn ich konnte mich nur schwankend auf den Beinen halten.

Die vielen Moutais machten sich mit einem Schlag bemerkbar. Gnadenlos versuchten sie sich einen Weg durch meine Speiseröhre nach oben zu bahnen. Ich begann unkontrolliert zu würgen, doch am Ende blieb es Gott sei Dank bei einem keuchenden Husten. Es hätte gerade noch gefehlt, wenn sich mein Mageninhalt auf die Straße entleert hätte. Jedenfalls wäre es bezeichnend für meinen desaströsen Zustand, der sich selbst an der frischen Luft nicht bessern wollte. Allerdings hatte ich auch nichts dergleichen erwartet, denn getürmt war ich aus ganz anderen Gründen.

Beim Blick in die Fensterscheibe eines schwarzen Audis, bot sich mir ein fürchterliches Bild. Ich sah tatsächlich so erbärmlich aus, wie ich mich innerlich fühlte. Durcheinander, schwach und reif fürs Bett. Ich wollte nur noch weg von hier. Die verachtenden Blicke der an mir vorbei rauschenden Passanten, ignorierte ich weitestgehend gekonnt, dennoch setzten sie mir zu. Sie standen sinnbildlich für die Augenpaare, die mich da drinnen schon gemustert hatten und die mich nicht weniger verurteilten. Gott, wenn ich an Harrys geschocktes Gesicht dachte, als er meine Reaktion wahrnahm, dann könnte ich allein von diesem mulmigen Gefühl, welches durch diese furchtbare Erinnerung hervorgerufen wurde, kotzen. Stattdessen griff ich in meine Hosentasche zu meinem Smartphone, während ich nebenbei voll fokussiert auf meine Atmung war. Wenn ich nicht konzentriert ans Ein-und Ausatmen dachte, hatte ich die Befürchtung, dass ich recht bald umkippte und an meinem eigenen Erbrochen starb.

Mit Mühe und Not versuchte ich den Bildschirm zu entsperren, doch so sehr ich es wollte, es gelang mir nicht auf Anhieb. Es war, als ob Esthers fröhliches Lachen, welches mir förmlich entgegen sprang, mich daran hindern wollte. Als wäre sie wütend und enttäuscht von mir. Erneut überkam mich eine schaurige Welle der Übelkeit, aber auch dieses Mal war ich in der Lage, den Würgereflex zu unterdrücken.

Ich ertrug es einfach nicht, sie so zu sehen, wenn ich mich insgeheim nach etwas anderem sehnte. Nach jemand anderem, um genau zu sein. Doch diesen Jemand hatte ich mit meiner überaus hollywoodreifen Reaktion ganz sicher längst vergrault. Und auch wenn es sich offensichtlich widersprach, so wollte ich ihn auch eigentlich gar nicht mehr sehen. Viel zu groß war die Angst, dass Harry mich nun hasste und die Rolle am Ende doch ablehnte. Einen Vertrag hatte er offiziell noch nicht unterschrieben. Wenn er also meinetwegen wirklich absagte, würde ich mir das ein Leben lang nicht verzeihen.

Doch am schlimmsten war die Vorstellung, dass er mich vielleicht nie wieder auf diese Weise berühren würde. Nie mehr dieses unglaublich berauschende Gefühl vernehmen zu können, wenn er mich küsste, ließ mich verzweifeln. Dabei wollte ich noch so viel mehr davon! Obwohl es nicht einmal ein richtiger Kuss war, so konnte ich schon jetzt verspüren, wie süchtig ich nach diesem atemberaubenden Gefühl war. Außerdem wollte ich es doch unbedingt erwidern. Ihm zeigen, wie sehr es mir gefiel und ihm sagen, wie gut er küssen konnte. Wie fantastisch es sich anfühlte ihn so zu spüren ...

Als sich plötzlich die Tür hinter mir öffnete, blieb ich abrupt stehen. Zuvor war ich immer wieder den Weg vor der Kneipe auf und abgelaufen, in der leisen Hoffnung meine Zweifel damit abschütteln zu können. Allerdings hatte dies genauso wenig geholfen, wie der Versuch, mit meinen aufkeimenden Gefühlen klar zu werden. Ich war einfach nur fertig und zu müde, um noch klar denken zu können.

Mein neuer AnfangWo Geschichten leben. Entdecke jetzt