Kapitel 17

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„Wo ist er?"

Lovas Stimme schwoll zu einem Schrei an, der schrill war vor Angst. Ihr Herz schlug so schnell gegen ihre Brust, dass sie befürchtete, ihre Rippen könnten brechen. Und über alldem lag blanke Panik, ein saurer Geschmack breitete sich auf ihrer Zunge aus.

„Dagur, wo ist Viggo?"

„Woher soll ich das wissen?", fragte er lachend, „Ich habe es nicht derart nötig, dass ich einem Bastard wie ihm folge."

„Wie bitte?" Lova stürmte vor und packte ihn an seinen Schultern, ihre Hände zitterten vor Wut. Doch ihre Stimme war gefährlich ruhig, als sie sagte: „Was hatte ich dir darüber gesagt, was passiert, wenn du ihn einen Bastard nennst?"

Dagurs Lachen versiegte wie die Körner einer Sanduhr, der Kragen seiner Tunika schnitt ihm tief ins eigene Fleisch. „Du kannst es trotzdem nicht verhindern", keuchte er, „Ich werde meinen Bruder rächen."

Seine Obsession mit dem Anführer der Drachenreiter war Lova schon aus Viggos Erzählungen absurd vorgekommen, doch die Tatsache, dass der Berserker den zukünftigen Häuptling eines anderen Stammes als „Bruder" bezeichnete und ihn „rächen" wollte, setzte dem Ganzen die Krone auf. „Ich habe genug von dir." Lova zog ihr Bein in die Höhe, bis ihr Knie das weiche Fleisch seiner Lendengegend traf, und Dagur sackte zusammen. „Wenn du dich damals nur halb so sehr um einen fremden Stamm und ein fremdes Häuptlingskind geschert hättest, wären wir niemals in dieser Situation gelandet. Denn weißt du was?" Sie beugte sich nach vorn, ihre Lippen streiften die empfindliche Haut an seinem Ohr. Dagur zuckte zusammen, doch er wagte keine Regung. „Ohne mich wäre Viggo mausetot."

Lova widerstand dem Drang, Dagur einen weiteren Schlag ins Gesicht zu versetzen und wischte sich die Hände an ihrer Hose ab, während sie aus der Arena stürmte.

Adajas und Finns besorgte Gesichter empfingen sie, als sie die glatten schwarzen Steine verließ und wieder sicheren Boden betrat. Der Tumult auf den Tribünen und Mala, die mit schneidender Stimme Fragen über Fragen stellte, könnten Lova dabei kaum gleichgültiger sein.

„Was ist mit Viggo?", drängte Adaja.

„Geht es dir gut?" Finn versuchte, sie auf Verletzungen zu überprüfen, doch Lova wich zurück.

„Das ist nicht wichtig", sagte sie und riss sich die blutigen Verbände von den Handgelenken, „Ich habe eine Theorie, wo Viggo sein könnte." Lova nickte Adaja zu und schälte sich aus ihrem Hemd. Die Blutflecken auf dem Stoff färbten sich bereits rostrot. „Wenn ich Recht habe, zählt jede Sekunde und wir müssen anschließend sofort aufbrechen. Dagur will Rache."

„Rache?", wiederholte Finn fragend.

Adaja schüttelte den Kopf. „Das ist nicht wichtig", sagte sie und löste die Riemen ihres Seesacks, „Dunja hatte bereits vermutet, dass Dagur nicht fair spielen würde. Als sie mich drängte, vorzusorgen, habe ich sie nicht verstanden. Jetzt bin ich froh, auf sie gehört zu haben. "Sie fischte einen Stoß sauberer Kleidung aus den Tiefen des Seesacks, im Inneren stießen Wasserkrüge klirrend gegeneinander. „Ich wünschte, wir könnten uns unter besseren Umständen verabschieden, aber du wirst dich beeilen müssen."

Lova nickte und schlüpfte in ein frisches Hemd, die weichen Leinen lagen blütenweiß auf ihrer Haut. Die Hose war bereits mehr nach ihrem Geschmack; aus robustem Stoff und mit einem Waffengürtel versehen. Vier Dolche hingen daran, mit polierten und geschärften Schneiden, welche die menschliche Haut ohne Probleme durchtrennen könnten. Der Anblick der Waffen ließ Lova zuerst zurückschrecken, doch dann griff sie entschlossen zu. Sie würde einen Schutz brauchen, wenn sie die Insel verließ und Gefilde betrat, in denen sie schlimmere Feinde als einen durchgeknallten Berserker hatte.

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