Kapitel 33

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Die Große Halle schien sie zu erdrücken. Das imposante Gebäude war in einen Berg gegraben wurden, sodass die Wände aus kaltem Höhlenstein bestanden. Lova war sich des schweres Steines nur allzu sehr bewusst, die Kälte grub sich durch ihre Kleidung und setzte sich in ihrer Haut fest.

Hicks saß ihr gegenüber und musterte sie, doch sie schenkte ihm keinerlei Aufmerksamkeit. Ihr Blick hing an den Feuerkesseln, in denen ein prasselndes Feuer die Halle spärlich beleuchtete.

Rot, orange und gelb leuchteten die Flammen, wenn sie von den Holzscheiten in die Höhe schnellten und gelegentlich Funken sprühten. Blaues Feuer tanzte über die Ascheschicht auf dem Metallboden und verlieh den Kohlen einen magischen Schein, der an Irrlichter erinnerte.

Lova war sich der Schönheit bewusst, die in dem zerstörerischen Schein lag, doch ihre Gedanken schweiften ab, zu den dunkelsten Ecken ihres Erinnerungsvermögens. Wie die Funken über dem Feuerkessel jagte eine Panikattacke die nächste, während sie mit unbewegter Miene in die Flammen starrte. Seit ihrem Zusammenbruch in Berks Hafen war sie nicht in der Lage, sich aus der eisigen Faust zu lösen, die sie fest im Griff hielt und ihr jeden klaren Gedanken unmöglich machte.

Brennendes Metall auf ihrem Rücken und ein widerwärtiges Zischen wurden von einem dreckigen Grinsen und glühenden Kohlen abgelöst, auf die ein angsterfüllter Schrei und die Hitze eines Vulkans folgten. Die Narbe auf ihrem Rücken, die das Drachenjägerwappen bildete, wurde von einer verbrannten Gesichtshälfte und einem blinden Auge abgelöst.

Der Gestank nach Blut und verbranntem Fleisch waren allgegenwärtig, mischten sich mit Rauch und Asche – der Asche eines niedergebrannten Dorfes, der Asche eines niedergebrannten Lebens.

Lova wartete stumm auf ihr Urteil, jeder ihrer Atemzüge schwer wie Blei. Seit ihrem letzten Zusammenbruch im Wald hatte die Panik nicht mehr derartig die Kontrolle über sie gewonnen. Hicks hatte sie ohne Mühe in die Große Halle führen können und hätte auch die Macht, weit schlimmeres zu tun. Er könnte sie angreifen, könnte sie überwältigen, könnte vollenden, was Ryker einst begonnen hatte. Ob er es tun würde, war eine andere Frage, doch die bloße Vorstellung reichte, um Lovas Panik in neue Höhen zu treiben.

Es war ein endloser Kreislauf, der sie nur tiefer in die grausamsten Ecken ihres Verstandes drängte.

Die hohen Flügeltüren der Großen Halle schwangen auf, doch das einfallende Licht wurde von der Gestalt eines Mannes verdrängt. Zwischen zwei gebogenen Hörnern fingen sich Sonnenstrahlen, die das Metall seines Helmes goldgelb reflektierte. Er war breit gebaut, seine Schultern von doppeltem Umfang wie Louvisas. Ein kastanienbrauner, wirrer Bart fiel über seinen gesamten Brustkorb und war an den Enden zu notdürftigen Zöpfen geflochten. Die Verwendung eines Kamms schien ihm fremd zu sein. Auch der Rest seines Aussehens sprach nicht von Pfleglichkeit – sein Hemd war ungewaschen, der Saum seines Kettenrockes zerrissen und notdürftig geflickt. Über seinen breiten Ledergürtel zog sich eine Vielzahl kleiner und größerer Risse. Das Einzige an ihm, das keine Reinigung benötigte, war der Hammer in seinen Händen. Das Metall war perfekt poliert, jede Abnutzung in stundenlanger Arbeit am Schleifstein beseitigt.

Es handelte sich zweifellos um den Häuptling von Berk.

Hinter ihm schob sich eine junge Frau ins Innere der Halle. Im Gegensatz zu ihrem Häuptling trug sie ihre Waffe nicht direkt zur Schau, obwohl die Axt an ihrem Gürtel verräterisch glänzte. Auch diese Klinge war schneidend scharf. Astrids entschlossener Gang und ihre geschmeidigen Schritte machten deutlich, dass sie sich nicht scheute, diese Waffe anzuwenden – und sei es, um Lova die Kehle durchzuschneiden. Die Narbe, die der Angriff des Schneiders auf ihrem Hals hinterlassen hatte, brannte bei dem Anblick der Kriegerin.

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