Kapitel 30

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Berk begrüßte Lova mit einem Feuerschwert an ihrer Kehle.

Das Knistern der Flammen zwang sie, den Kopf in den Nacken zu legen und zu ihrem Angreifer hochzuschauen, während ihr noch immer der Kopf schwirrte. Zwei verdammte Stunden lang hatte sie in den Krallen eines Wahnsinnigen Zippers gehangen und dem sinnlosen Gerede der blonden Drachenreiter gelauscht, während alles Blut in ihren Kopf floss und ihr Gesicht knallrot anlaufen ließ.

Kurz gesagt; ihre Laune war tiefer gesunken als der Meeresgrund.

Ein junger Mann erwiderte ihren Blick, die grünen Augen geweitet vor Überraschung. Sein braunes Haar stand ihm wild vom Kopf ab, als wäre er entweder gerade erst aufgestanden oder – was deutlich wahrscheinlicher war – von einem Flug auf dem Rücken seines Drachens zurückgekehrt. Die Tatsache, dass ein Nachtschatten hinter ihm aufragte, unterstützte Lovas These.

„Hallo, Hicks", sagte sie, sobald sich ihr Kopf wieder klar anfühlte. Ihre Beine kribbelten, weil das Blut nur langsam zurückfloss, und ihre Arme waren völlig taub. „Es ist eine Weile her."

„Ich..." Hicks starrte sie noch exakt drei Sekunden an, ehe er sein Schwert löschte und mit einem verlegenen Räuspern einen Schritt zurücktrat. „Verzeihung, Louisa."

„Louvisa", korrigierte Lova mit einem Augenverdrehen, während sie sich schwankend auf die Füße erhob. Natürlich erinnerte der Drachenreiter sich nicht an ihren Namen – genau wie sie hatte er damit gerechnet, sie niemals wiederzusehen. „Von Vernell."

„Beeindruckender Name!" Taffnuss legte einen Arm um ihre Schulter und grinste seinem Anführer zu, während Lova sich unter seinem Griff versteifte. Sie war sich seiner Präsenz überdeutlich bewusst – die Muskeln in seinen Armen, sein Gewicht, dass sich gegen ihren Rücken presste und die Wärme seiner Haut, viel zu dicht an ihrer. Doch sie konnte nicht zurückweichen, wenn sie nicht auffallen wollte. Denn wenn die Panik nachließ, würde sie sich nicht mehr auf den Beinen halten können.

„Aber noch beeindruckender ist unser Diebstahl." Ein zweiter Arm schlang sich wie ein Schraubstock um Lova, als Raffnuss ihrem Bruder folgte. „Hicks, hast du gesehen, was wir dir mitgebracht haben?"

Jegliche Farbe wich aus Lovas Gesicht und das Schwert, an das sie sich den ganzen Flug über geklammert hatte, glitt ihr aus den Händen. Erneut stieg Übelkeit in ihr hoch und beinahe konnte sie wieder Rykers Hände spüren, die sich ihren Körper zu eigen machten. Keiner der verzweifelten Atemzüge, die sie tat, erreichte ihre Lungen.

„Lasst ihr ein wenig Raum zum Atmen", verlangte Hicks und schob die Zwillinge beiseite. „Was hatte ich euch über die Entführung von Menschen gesagt, Raff, Taff?" Er beugte sich nach vorn, um Lovas verlorenes Schwert aufzuheben, warf einen kurzen Blick auf den Griff und erstarrte.

„Woher hast du das?"

Taffnuss schnappte sich das Schwert, bevor Lova auch nur an eine Antwort denken konnte. Ihr Herz schlug noch immer viel zu laut, das Blut in ihren Ohren rauschte (so laut wie Wasser, das durch defekte Türen in ein metallenes Schiff drang). Hicks' Gesicht verschwamm vor ihren Augen zu Krogan, zu Johann und schlussendlich zu Ryker und seinem dreckigen Lachen.

Raffnuss verpasste ihrem Bruder einen Schlag und schnappte sich die Waffe aus seinen Händen. Sie prügelten sich, während ein schmächtiger Mann mit dem Gesicht eines Drachenjägers (Hicks, es war Hicks, niemand anderes als Hicks, denn Ryker war tot tot tot) versuchte, ihnen das Schwert zu entwenden. In einem Knäuel aus Gliedmaßen stritten sich die Drachenreiter um eine Waffe, die ihnen nicht gehörte.

Angst flutete ihren Geist wie Wellen, die gegen ein Kliff schlugen und dabei zu tausenden Wassertropfen zerbrachen. Lova sah wie erstarrt zu, als die Tropfen sich rot färbten und die Luft mit ihrem metallisch-süßen Eisengestank erfüllten. Vor ihrem inneren Auge bestand die Welt erneut aus Blut und Schmerzen und Tod (und einem Drachen, einem kirschroten Drachen mit grünen Augen, die leer und kalt gen Himmel starrten).

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