Noch während Viggo daran dachte, wie einfach es wäre, sich mit einem einzigen Schritt aus der Gefahrenzone zu bringen und zuzusehen, wie Elin zu einem Häufchen Asche verbrannte, setzten seine Füße sich bereits wie von selbst in Bewegung.
Mit halbherzigem Widerwillen erkannte er das fordernde Gefühl in seiner Brust als sein Gewissen, dass sich erneut in einer unpassenden Situation zu Wort meldete und ihn daran erinnerte, dass er es sich nicht erlauben konnte, seine einzige Verbündete zu verlieren.
„Achtung!"
Der sinnlose Warnruf entkam Viggo in derselben Sekunde, in der er gegen Elin krachte und sie mit sich zu Boden riss. Der raue Steinboden riss die Brandwunde auf seiner Wange erneut auf, der Kupfergeschmack von Blut erfüllte seinen Mund.
Elin neben ihm fluchte und der Feuerball des Drachen traf mit einem Krachen gegen die Höhlenwände. Ein Hagel aus Steinsplittern ging auf die Beiden nieder und bedeckte den Boden mit grauem Staub und Schutt.
„Bei Freyja", zischte Elin, als ein weiteres Mal die flirrende Hitze des Drachenfeuers die Luft erfüllte. Diesmal reagierte sie schneller als Viggo; er spürte, wie ihr Stiefel gegen seinen Bauch traf, als sie nach ihm trat und sich mit dem Schwung außerhalb der Reichweite rollte. Ihr goldbraunes Haar zog einen Regen aus Blut hinter sich her.
Viggo unterdrückte einen Fluch und einen Schmerzensschrei und tat es dem Flügelmädchen gleich. Der Steinboden schrammte ihm die Oberarme auf, altes Blut und Knochenreste blieben an seiner Kleidung hängen, als auch er sich außer Schussweite brachte.
Zwischen ihm und Elin explodierte der Feuerball mit einem weiteren, ohrenbetäubenden Knall.
Rauch und Staub tauchten Viggos Sichtfeld in ein dunkles Grau und machten seinen Sehsinn nutzlos – was bei nur einem funktionstüchtigen Auge kein allzu großer Verlust war. Doch auch sein Geruchssinn half ihm nicht weiter; die Luft war erfüllt von dem Gestank nach Feuer und Asche.
Einzig sein Gehör erwies ihm den Dienst. Geschärft durch seine einseitige Blindheit, ermöglichte es Viggo, neben dem aufgeregten Jubeln auf der Tribüne auch die feinen Geräuschnuancen im Inneren der Arena unterscheiden zu können.
Über ihnen schlugen die Flügel des Drachen, sein irritiertes Knurren hallte zwischen dem Stein wider. Offenbar hatte er seine Beute zwischen dem Rauch der Explosion verloren.
Und was Elin anging... Viggo hörte das Rascheln ihrer Kleidung und ihre leisen Flüche, als sie sich auf die Beine zwang. Ein schmerzerfülltes Aufstöhnen ertönte, dann landete sie wieder auf dem harten Steinboden. Hatte der Feuerstoß sie erwischt?
Viggo entschied sich, dieser Frage auf den Grund zu gehen, ehe der Rauch sich lichtete. Ganz davon abhängig, ob Elin noch lebte oder ob sie dem Drachen zum Opfer gefallen war, müsste er seine Pläne ändern. Ihr Tod war allerdings kaum erstrebenswert – um sich eine neue Strategie zu überlegen, müsste Viggo nachdenken, und das wurde ihm von den Schmerzen erschwert, die sich überall in seinem Körper breitmachten. Nicht nur die Rückenschmerzen, die ihn seit seiner unerfreulichen Bekanntschaft mit vergifteten Pfeilspitzen andauernd heimsuchten, sondern auch die aufgerissene Brandwunde, die wieder blutete, und dank Elins Tritt nun auch noch sein Magen.
Würde er sie nicht noch brauchen, würde Viggo das Flügelmädchen ohne zu zögern an den Drachen ausliefern. Was ihn anging, war Elin ziemlich rücksichtslos – nicht, dass er es ihr verübeln könnte.
„Widerwärtig", murmelte Viggo in sich hinein, während er durch den Rauch stolperte. Unter seinen Füßen knackten Knochen und seine Stiefel hinterließen blutige Abdrücke, seit er in eine der klebrigen Pfützen getreten war, welche die Arena bedeckten. Die Spitzen der neuen Schuhe, die Lova ihm von Berk mitgebracht hatte, waren von einer rotbraunen Kruste bedeckt. Unerwarteterweise wünschte Viggo sich den Regen zurück, der die Arena von dem gröbsten Dreck befreit hatte – dabei war der Skrill ein ebenso unerfreulicher Gegner gewesen.
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Forget-me-nots
FanfictionEinige Monate sind vergangen, seit Viggo und Lova auf der Insel der Beschützer Zuflucht gefunden haben. Doch nicht nur das Misstrauen von Königin Mala zerren an den Nerven der Beiden, sondern auch alte Feinde und Erinnerungen, die sie lieber begrabe...