Kapitel 41

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Das Knacken der brennenden Holzscheite im Kamin erhob sich über das Kratzen und Schaben von Besteck auf den hölzernen Tellern. Regen prasselte gegen die Hüttenwände und neben dem Duft des Feuers erfüllte auch der Geruch nach gebratenem Fisch die Häuptlingshütte.

Dennoch hatte Lova ihr Essen bisher kaum angerührt, sondern lediglich mit ihrer Gabel darin herumgestochert, bis von dem Lachs nichts als kleine Fetzen weißes Fleisch übrigblieben. Auch von ihrem Becher, der bis zum Rand mit honigsüßem Met gefüllt war, hatte sie bisher nur genippt. Sobald sich der brennend-scharfe Geschmack des Alkohols auf ihrer Zunge ausbreitetet hatte, hatte Lova den Becher schwungvoll zurück auf den Tisch befördert. Ihr Kopf tat ohnehin nicht, was sie wollte – sie hatte es nicht nötig, ihn zusätzlich zu betäuben.

Jede Sekunde des Wartens erschien Lova wie eine Ewigkeit – Geduld war ohnehin nicht ihre herausragendste Fähigkeit. Doch das Warten war nicht einmal das Schlimmste.

Das Schlimmste waren die Gedanken, die Vorstellungen, die Szenarien, die in ihrem Kopf albtraumhafte Ausmaße annahmen. Wenn es in etwa dem entsprach, was Viggo während ihrer Abwesenheit empfunden hatte, fragte sie sich, wie er bei Verstand geblieben war.

Sie wusste nicht, wo er war, wie es ihm ging, wann er zurückkehren würde – wenn er zurückkehrte. So klein sie auch war, es gab eine Chance, dass der Nachtschatten ihn doch gefunden hatte. Und die Chance, dass eine neue Bande Kopfgeldjäger einen gewinnbringenden Fang gemacht hatte, war deutlich größer. Diese Bedrohung war real, dieses Szenario war möglich, und das machte es so beängstigend. Sie würde es nicht ertragen, Viggo zu verlieren.

„Du siehst mitgenommen aus." Edda, die bereits mit sittsam gefalteten Händen vor ihrem leeren Teller saß, schenkte Lova einen mitfühlenden Blick. „Du solltest etwas essen, Louvisa."

Ihr Mann, Norvid, aß mittlerweile bereits seinen zweiten Teller leer und brummte zustimmend zu ihren Worten. Er war noch immer wortkarg, doch unter dem Tisch lag seine Hand auf Eddas Unterarm. „Was sie sagt."

Widerstrebend spießte Lova ein winziges Stück Fisch auf ihre Gabel und kaute fünfmal länger, als sie eigentlich müsste. Selbst dieser kleine Bissen brachte ihren Magen bereits zum Rumoren, Übelkeit stieg in ihr auf. Beinahe war sie versucht, den Geschmack mit einem Schluck Met herunterzuspülen, doch ein Blick auf die goldgelbe Flüssigkeit hielt sie zurück. Wenn sie ihren Mageninhalt bei sich behalten wollte, wäre das keine gute Idee.

„Tut mir leid." Lova ließ die Gabel wieder auf ihren Teller fallen. „Ich hab keinen Hunger."

Edda schürzte missbilligend die Lippen. „Du solltest essen", wiederholte sie, „Wer weiß, wann ihr wieder etwas richtiges zum Essen findet, wenn ihr aufbrecht."

„Deine Sorge in allen Ehren", sagte Lova und klopfte mit dem Fingerknöchel gegen ihren Bogen, „Aber ich bin mir sicher, dass ich uns versorgen kann." Die Pfeile in ihrem Köcher schlugen wie zur Bestätigung geräuschvoll gegen den hölzernen Rand.

„Ihr wisst gar nicht, in was für eine Gebiete ihr euch begeben werdet." Edda beugte sich über den Tisch und schob den vollen Teller näher zu Lova. „Was, wenn es dort kein Wild und wenig Fisch gibt?" Ein drängender Unterton lag in ihrer Stimme, der nicht zu ihrem bisherigen Auftreten passen wollte. „Du solltest jede Chance nutzen, die sich dir bietet."

Lova runzelte die Stirn, irritiert von Eddas plötzlichem Drängen. „Wir haben Drachen", erinnerte sie, „Ein oder zwei beutearme Inseln sollten kein unüberwindbares Hindernis darstellen."

„Durchaus." Edda sah aus, als müsste sie um Fassung ringen, und in Norvids Kiefer zuckte ein Muskel. Die Stimmung, die doch vorher noch aus einträchtigem Schweigen bestanden hatte, kippte schlagartig, wie die Temperaturen vor einem Gewitter. In Eddas Augen standen Blitz und Donner. „Aber ist es nicht sehr unhöflich, das Essen eines sehr entgegenkommenden Gastgebers nicht anzunehmen?"

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