Kapitel 18

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„Nehemia!"

Lova hämmerte gegen die Stalltüren, der Regen peitschte gegen ihren Rücken und der Wind zerrte an ihrer Kleidung. Ihr Haar klebte an ihren Wangen, nass von Regen und Schweiß. Sie hatte Mühe, den Schaft ihres Speeres festzuhalten, das Holz rutschte aus ihren Fingern.

„Nehemia, mach die verdammte Tür auf!"

Im Lärm des Sturms konnte Lova nicht beurteilen, ob Nehemias nahende Schritte genauso übertönt wurden wie ihr verzweifeltes Klopfen. Wenn das Mädchen Lovas Drängen nicht vernahm, würde die Stalltür verschlossen bleiben. Und dann wäre Viggos Schicksal besiegelt.

„Nehemia, Kleine, ich brauche dich!"

Da. Ein Poltern, nicht von dem Unwetter, sondern aus dem Stall. Knarzten die Dielen und knisterte Stroh unter Nehemias Füßen oder war das nur Lovas Hoffnung?

Schon wieder. Ein Drache krächzte, Holz zerbarst unter scharfen Krallen.

Dann wurden Worte geflüstert – oder vielleicht sogar geschrien, für Lova machte das keinen Unterschied. Es klang wie eine knappe Entschuldigung und ein kindlicher Fluch.

(Einbildung oder Realität, Realität oder Einbildung?) Panik kroch in Lova hoch.

„Mach die Tür auf!" Sie würde sich heiser schreien, wenn sie so weitermachte – falls Lova überlebte und es ein Weiter gab. „Komm schon, Nehemia."

Metall schlug klirrend gegen Metall, ein Schlüssel scharrte im Türschloss. Es klackte, wieder und wieder, als ob ungeschickte Hände aufschließen wollten.

(Es könnte eine Einbildung sein, es könnte alles falsch sein, und wenn es alles nur in ihrem Kopf war, dann würde sie nichts tun können, um Viggo zu retten.)

„Nehemia!" All ihre Angst lag in Lovas Schrei, die Verzweiflung machte ihre Stimme schrill. Jede Sekunde hinterließ ein Ticken in ihrem Kopf, als würde die Welt Viggos letzte Sekunden zählen. (Wie lange konnte er unter Drachen überleben, ohne zu sterben? Was würde sie tun, wenn Viggo sterben würde? Was, wenn er schon tot war und das Ticken nur ihrem Wahn entsprang? Aber das konnte nicht sein, durfte nicht sein, denn würde die Welt nicht stehenbleiben, wenn er starb?)

Die Holztür knarrte und wieder traf Metall auf Metall, wie ein Schlüssel, der aus dem Schloss gezogen wurde. Jemand rüttelte an der Tür, doch es war nicht Lova, denn Lovas Hände waren zu Fäusten geballt und zum Gebet gefaltet zugleich.

„Louvisa?" Die Tür wurde aufgeschoben, einen Spalt breit. Ein braunes Augenpaar lugte durch die schmale Öffnung, ein schwarzer Haarschopf verschmolz in den Schatten des Stalls. „Bist du das? Hast du gewonnen?"

Durch den Regen klang Nehemias Stimme verwaschen. Stroh hing in ihrem kirschroten Rock, ein Abdruck auf ihrer Wange verriet erholsamen Schlaf. Offenbar hatte sie das Unwetter für eine ausgedehnte Pause genutzt – Lova konnte es ihr nicht verübeln.

„Ja." Dennoch stieg Ungeduld in der Wikingerin hoch. „Kannst du mich reinlassen?"

Nehemia grinste breit und entblößte ihre Zahnlücke. „Kein Problem", sagte sie und lehnte sich gegen das Holz, um die Tür mit ihrem Gewicht aufzuschieben. „Könnte allerdings eine Minute dauern."

„Wir haben keine Minute." Lova packte den Türknauf, ihre Fingernägel hinterließen Furchen in dem nassen, morschen Holz. „Ich muss mich beeilen."

„Warum?" Ehrliche Verwirrung schwang in Nehemias Stimme mit und das Mädchen hielt in ihren Bemühungen inne. „Ich dachte, du hast gewonnen?"

„Habe ich auch", stieß Lova zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Ihre Schulterblätter knackten, als sie sich gegen die Tür warf. „Aber das hat mir einen Dreck gebracht."

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