Die Steine waren schwarz, damit man die Blutflecken nicht sah. Sie glänzten wie Rabenfedern, ihre Oberfläche glatt und abgeschliffen von zahllosen Kämpfen. Ob sich jemand die Mühe machen würde, die Spuren zu beseitigen, sobald der Gewinner feststand?
„Viggo ist überzeugt, dass ich gewinnen werde." Lova klammerte sich an Finns Arm wie an einen Rettungsanker, trotz der Sonne fror sie erbärmlich. Sie konnte den süßlichen Geruch von Blut bereits wahrnehmen, obwohl sie keinen Fuß in die Arena gesetzt hatte. Die Panik in ihrem Hinterkopf, die zu ihrem stetigen Begleiter geworden war, jubilierte.
„Viggo irrt sich nie in solchen Dingen", sagte Finn und lächelte zu ihr herunter. Die Perlen in seinem Bart klirrten, als sie gegeneinanderstießen. „Er vertraut dir, und ich tue das auch."
Lova riss ihren Blick von den schwarzen Steinplatten los und musterte stattdessen das Publikum. Dafür, dass ein Wettkampf anstand, waren sie bemerkenswert ruhig – doch die Beschützer waren ohnehin nicht für ihre ausschweifenden Gefühlsregungen bekannt. Obwohl dieser Tag eine der letzten Gelegenheiten bieten würde, die Sonne zu genießen, trugen sie die Masken über die Nasen gezogen. Ihre Augen wanderten von Lova zu der Tribüne hinter ihr, wo neben Mala und Dagur auch Viggo saß. Amüsierte er sich über ihren Hass oder wollte er genau wie Lova ihren Blicken entkommen?
„Ich wollte nicht wieder kämpfen", stieß sie hervor und widerstand dem Drang, sich auf die Unterlippe zu beißen. Ihre Zähne hatten bereits tiefe Abdrücke in das empfindliche Fleisch geschlagen, die ihren Mund mit dem Geschmack von Eisen füllten. „Und noch weniger wollte ich Dagur treffen."
„Du hast keine Wahl." Adaja hatte die Zuschauer bisher still beobachtet und eine Hand schützend auf ihren Bauch gelegt, doch nun wandte sie sich Lova zu. „Wenn du nicht willst, dass du und Viggo im Drachennest landet, musst du kämpfen."
„Ich weiß", sagte Lova. Es zu wissen, volle Kenntnis über die Auswirkungen von Sieg und Niederlage zu haben, schmerzte noch mehr, als davon überrumpelt zu werden. „Aber das heißt nicht, dass ich mich nicht davor fürchten darf." Dann schüttelte sie den Kopf, bis ihre dunklen Locken flogen. „Die Drachen sind sicher untergebracht?" Wenn sich der Skrill oder Varia (ihr Sturmschneid) einmischten, wäre das ein Betrugsversuch und damit ein Sieg für Dagur.
„Völlig sicher", bestätigte Adaja. „Dunja und Nehemia sind bei ihnen, falls Dagur einen Befreiungsversuch anzettelt."
Finn legte eine Hand auf ihre Schulter. „Alles wird gutgehen."
Lova nickte nur knapp und biss sich schließlich doch auf die Unterlippe, während sie versuchte, ihre Locken in einen Zopf zu zwängen. Dann hielt sie inne, das Haarband hing wie eine leblose Schlange zwischen ihren Fingern. „Gib mir bitte deinen Dolch, Finn", sagte sie und wickelte sich die Enden ihres Haares um das Handgelenk.
„Weswegen?" Finns Blick war voller Sorge, als er den Dolch von seinem Gürtel löste und ihn Lova entgegenhielt. „Du weißt, dass Waffen in diesem Kampf nicht erlaubt sind."
Lova packte den Dolch so fest, dass ihre Knöchel weiß wurden. „Ist mir bewusst", sagte sie und setzte die scharfe Schneide knapp unterhalb ihrer Schultern an. „Aber wenn Dagur meinen Zopf zu fassen kriegt, habe ich verloren." Wut blitzte in ihren Augen auf. „Und ich werde nicht verlieren." Strähne für Strähne landete auf dem schwarzen Stein. Im Gegensatz zu dunkelrotem Blut hoben sich Lovas Haar überdeutlich ab, ihre braunen Locken schimmerten honiggelb in der Sonne. Wie Goldadern zogen sie sich durch das Schwarz, eine Krönung für den Sieger, der noch nicht feststand. Noch nicht – das war Lovas Mantra, denn egal, was geschah, sie würde diese Siegerin sein. Sie durfte nicht verlieren, selbst wenn sie dafür die Götter überzeugen musste.
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Forget-me-nots
FanfictionEinige Monate sind vergangen, seit Viggo und Lova auf der Insel der Beschützer Zuflucht gefunden haben. Doch nicht nur das Misstrauen von Königin Mala zerren an den Nerven der Beiden, sondern auch alte Feinde und Erinnerungen, die sie lieber begrabe...