Kapitel 32

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Viggo war sich unsicher, was er als nervtötender empfand; das Fauchen des Drachenrudels oder Livs Kreischen? Der schrille Ton verursachte einen unangenehmen Widerhall in seinen Ohren und erschwerte ihm die Konzentration.

„Könntest du dich bitte beruhigen?", fragte Viggo, während er einen kurzen Blick über die Schulter warf. Die junge Fischerin war kreidebleich, Schweißperlen standen auf ihrer Stirn, obwohl Liv in der herbstlichen Kälte zitterte. „Verzeihung", zischte sie und tastete an ihrem Gürtel nach einer Waffe, „Stört meine Todesangst deinen Denkprozess?"

„Wir werden nicht sterben", stellte Viggo klar, „Ich habe dir doch bereits versichert, dass ich weiß, was ich tue."

Mit einem triumphierenden Aufschrei zückte Liv ein Filiermesser und hielt die dünne Klinge vor sich. „Dann tu gefälligst auch etwas", forderte sie, „Bevor die uns zerfleischen."

Viggo verdrehte die Augen, drehte sich zu Liv herum und pflückte ihr das Messer aus den Händen. Sie brachte nicht viel mehr als einen erstickten Protestlaut heraus, da schlitterte die behelfsmäßige Waffe bereits über den vereisten Steg. Einer der Drachen schnupperte neugierig daran und seine gelben Augen verengten sich zu Schlitzen, als er die spitze Klinge ertastete.

„Keine Waffen", sagte Viggo, „Damit erschreckst du sie nur."

Ich?", echote Liv schrill, „Das sind Drachen, mit Zähnen und Klauen und sie speien Feuer!" Sie wurde noch ein wenig blasser, bis ihr Gesicht denselben Hautton annahm wie frischer Schnee. „Und sie sehen nicht aus, als hätten sie Angst, sondern eher, als ob sie uns mit Freuden grillen würden."

Die Götter sollten ihm Geduld verleihen... „Das sind Sandgeister", erklärte Viggo und deutete auf den Drachen, der die kleine Gruppe anführte, „Siehst du die kurzen Beine? Sie sind nicht sonderlich schnell, sondern auf Angriffe aus dem Hinterhalt spezialisiert. Dadurch, dass wir sie rechtzeitig bemerkt haben, haben sie ihren Vorteil verloren."

„Sie speien Feuer", sagte Liv. Eine Wolke aus Dampf umgab ihr Gesicht, als ihre Atmung sich beschleunigte. „Und wir sind unbewaffnet."

Viggo hatte Mühe, seine Stimme freundlich und ruhig zu halten. Doch wenn die Drachen bemerkten, dass er die Beherrschung verlor, würden sie es ihm gleichtun. „Sandgeister sind sehr scheue Drachen", entgegnete Viggo, „Sie leben eingegraben im Sand und geben Warnschüsse ab, bevor sie angreifen. Es ist leicht, ihr Vertrauen zu gewinnen."

Auf die panische Liv einzureden war, als würde Viggo gegen eine Wand sprechen. Sie schüttelte lediglich den Kopf und wich vor den Drachen zurück. „Sie haben unsere Schiffe zerstört."

„Das ist sehr untypisches Verhalten", sagte Viggo, „Ich habe jahrelang Drachen gejagt und deutlich größere Rudel von Sandgeistern gefangen, aber sie sind nicht für grundlose Zerstörungswut bekannt. Wenn wir den Auslöser finden und im besten Fall neutralisieren können, sollten sich eure Probleme in Luft auflösen."

Der Rudelanführer – ein staatliches, ockergelbes Männchen – ließ ein eindrucksvolles Fauchen hören und bleckte die Zähne. Seine zwei Artgenossen taten es ihm gleich, ein Feuer glühte in ihren Kehlen. Eine Warnung und kein Angriff, ganz wie Viggo es vorausgesagt hatte.

Liv schien das allerdings anders aufzufassen. „Sie werden uns töten, bevor wir auch nur einen Fuß vor den anderen setzen", stieß sie hervor, erstickt und schrill zugleich in ihrer Panik. Zu einem logischen Gedanken war die Fischerin nicht mehr in der Lage. „Und den Rest des Dorfes vermutlich auch. Das sind gefühllose, eiskalte Bestien, die nur auf Zerstörung und Tod aus sind." Livs Blick wanderte zwischen Viggo und den Sandgeistern hin und her, als wäre sie sich unsicher, wen sie zuerst verfluchen sollte. „Du hast uns mitten in ihr Radar geführt!"

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