Kapitel 62 - Viggo

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Es gab drei Dinge, die Viggo niemals vergessen würde:

1. Seinen Sturz in den Vulkan und den höllischen Schmerz, mit dem die Lava seine linke Gesichtshälfte verbrannt und sein Augenlicht zerstört hatte.

2. Seinen finalen Spielzug in den unterirdischen Gängen der Drachenjägerbasis, als er Hicks' Leben gerettet und damit Johanns Pläne vereitelt hatte.

3. Den Ausdruck in Lovas Gesicht und das Chaos in seinem Inneren, als sie beide zur selben Zeit auf die Verlobungsringe gestarrt und gewusst hatten, dass das Versprechen, welches an dem glänzenden Silber hing, nicht mehr für sie bestimmt war.

Er hatte die Ringe in einer Tasche seiner Hose verstaut, während er darauf gewartet hatte, dass sich Lovas Atemzüge beruhigten und verrieten, dass sie eingeschlafen war. Erst danach hatte Viggo es gewagt, sie hervorzuholen und ihnen mehr als einen flüchtigen Blick zu schenken.

Vielleicht war das nicht seine beste Idee gewesen, dann bald hatte sich ein verschwommener Schleier über seine Sicht gelegt und selbst seinem gesunden Auge das Sehen erschwert, doch sobald Viggo die Ringe in den Händen hielt, konnte er sie nicht mehr loslassen.

Sie waren alles, was von ihrer Liebe übrig geblieben war.

Nicht nur einmal hatte er Lova als „seine Frau" bezeichnet, als sie seine Gefühle noch erwidert hatte und Viggo dafür jedes Mal einen Blick voller liebevoller Belustigung zuwarf. Natürlich hatte er auch gelegentlich darüber nachgedacht, wie es mit ihnen weitergehen würde – nach den Sitten der Wikinger müssten sie längst verheiratet sein, doch sie hatten sich ohnehin nie nach altmodischen Konventionen gerichtet. Der bloße Gedanke an eine Hochzeit war Viggo stets albern vorgekommen, besonders zu seinen Zeiten als Drachenjäger. Von seiner Seite hätte er wohl nie daran gedacht, Louvisa tatsächlich einen Antrag zu machen.

Aber sie hatte es getan. Irgendwann während ihres Aufenthalts auf Berk – der einzige Zeitraum, an dem sie lange genug getrennt gewesen waren – hatte Lova an ihn gedacht und eine Schmiede aufgesucht, um nicht nur neue Waffen, sondern auch diese Verlobungsringe zu kaufen.

So, wie Viggo sie kannte, war es ein spontaner Einfall gewesen, denn hätte sie vorher bereits darüber nachgedacht, hätte sie es angesprochen.

Weil sie immer alles besprochen hatten, ganz gleich, worum es ging.

Ihre Kommunikation war perfekt gewesen, verdammt, ihre ganze Beziehung war perfekt gewesen.

Natürlich hatten sie ihre Fehler gehabt, doch am Ende des Tages war Louvisa doch jeden Abend in seinen Armen eingeschlafen. Und sie hatte gelächelt, wenn sie am Morgen neben ihm aufwachte.

Dieses Lächeln – Viggo würde alles tun, um es noch ein einziges Mal zu sehen.

Und er hatte ihr viel zu selten gesagt, dass er sie liebte.

Anstatt ihrer Hand hielt Viggo nun Ringe aus eiskaltem Metall, die nichts mehr bedeuteten. Vor einer Weile, vor wenigen Tagen – kaum mehr als einer einzigen Woche – waren sie ein geheimes Versprechen gewesen, ein Versprechen für eine Ewigkeit.

Wann hatte Lova geplant, ihm den Antrag zu machen? Hatte sie es überhaupt geplant oder hätte sie es schon getan, wenn die Westlichen Drachenjäger nicht gewesen wären?

Wenn er Varia nicht verloren hätte, wenn sie nicht zu Tyrs Klippen geflogen wären, wenn Lova sich nicht für ihn geopfert hätte oder wenn er nur schneller gewesen wäre... wären sie dann bereits verlobt?

Am Ende war es doch egal; was immer Lova sich gedacht hatte, war mit ihrem Erinnerungsverlust nichtig geworden. Die Verlobungsringe waren nichts als glänzendes Silber, ganz gleich, wie schön sie gefertigt waren – die angebliche Ewigkeit war vorüber, ehe das Versprechen hatte gemacht werden können. Sie würde sich nicht verloben.

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