Kapitel 28

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Die dunklen Umrisse unter der Wasseroberfläche waren größer als das Fischerboot.

Inmitten des Ozeans, schaukelnd in den Wellen, kam sich Lova vor wie in einer Nussschale. Der Wind zerrte an ihren Haaren und an ihrem Hemd, erinnerte sie daran, warum sie überhaupt zu dieser Reise aufgebrochen war. Das einzige Kleidungsstück an ihr, das tatsächlich für diese Wetterverhältnisse tauglich war, waren ihre Stiefel.

Doch Lova würde ohne jede Beschwerde frieren, wenn sie dafür die Drachen loswerden würde, die das Boot umkreisten. Gelegentlich streckten sie ihre Schnauzen aus dem Wasser und musterten sie neugierig, ehe sie wieder untertauchten. Ihre Schwimmbewegungen glichen denen eines Rochens – eines riesigen, zweiköpfigen Rochens mit spitzen Zähnen und einem stachligen Schwanz.

Sie verfolgten Lova bereits, seit sie den Hafen verlassen hatte.

Lova konnte nicht mit den Drachenreitern mithalten, wenn es um Kenntnisse über diese schuppigen Reptilien ging. Ihr reichte es, dass sie wusste, wie sie nicht von ihnen gefressen wurde und auf welche Weise die Echsen sie töten konnten. Doch da ihr Partner niemand Geringeres als Viggo Grimborn war, verfügte sie über ausreichend Drachenwissen, um ihren Verfolgern einen Namen zu geben.

Schrecken der Meere – wie überaus passend.

Insgeheim verfluchte Lova Viggo für all die Schauergeschichten, die er ihr über die Fähigkeiten unterschiedlicher Drachen erzählt hatte. In der heimischen Wärme der Hütte, die sie gemeinsam auf der Insel der Beschützer bewohnt hatten, mochten seine Erzählungen überaus spannend gewesen sein. Wenn sie sich den dazugehörigen Wesen allerdings Auge in Auge gegenübersah, verstand Lova, warum die Wikinger Drachen töteten.

Es machte einen gewaltigen Unterschied, wenn man sich einem ganzen Rudel gegenübersah, dass sich in dem eisigen Wasser pudelwohl fühlte. Falls sie sich entschieden, dass es ein riesiger Spaß wäre, das kleine Fischerboot zu kentern, würde Lova erfrieren, bevor einer der Drachen sie verspeisen könnte. Ihre Zukunftsaussichten waren großartig.

„Und genau deswegen haben wir uns gegen ein Schiff entschieden", murmelte Lova und packte das Steuer ein wenig fester. „Das Publikum wäre unglaublich aufdringlich."

Einer der Drachen näherte sich, angelockt von dem Klang ihrer Stimme. Es war ein junges Männchen; goldgelbe Schuppen zogen sich wie über seine dunkelblauen Flügel wie Sprenkel aus Sonnenlicht. Seine zwei Köpfe schnatterten und pfiffen, als sie sich Lovas ungeteilter Aufmerksamkeit entgegensahen.

Götter", stieß sie hervor, ihre Hand zuckte zu dem Griff ihres Schwertes.

Ein weiterer Schrecken der Meere sah aus dem Wasser hervor, ein Weibchen diesmal. Im Gegensatz zu ihrem Artgenossen wies sie einen tiefvioletten Farbton auf, der an ihren Flügelspitzen ins Schwarze überging. Ihre hellblauen Augen blitzten wie Saphire hervor.

„Es gibt bestimmt bessere Beute als mich", sagte Lova, obwohl die Drachen sie sicher nicht verstanden. Sie gestikulierte in Richtung des Meeres, das Schwert in den Händen. Sie hatte nicht vor, die Drachen zu verletzen, doch das vertraute Gewicht ließ sie die Nerven behalten. „Ihr seht auch nicht aus, als solltet ihr Menschen fressen."

Zwei weitere Köpfe lugten hervor, vier blassgelbe Augen folgten Lovas Bewegungen. Die gezackten Mäuler verzogen sich zu einer amüsierten Grimasse und der Schrecken der Meere quietschte, als er sie beobachtete. Mit seinen Flügeln ahmte er Lovas Gesten nach und erzeugte Wellen; Wasser schwappte über den Bootsrand.

„Du willst... spielen", stellte Lova fest und ließ das Schwert sinken.

Der Drache quietschte noch lauter und peitschte mit seinem Schweif durch das Meer, bis ein Regen aus Wassertropfen auf sie niederging. Seine Artgenossen folgten seinem Beispiel, bis Lova in einer Pfütze aus Meerwasser stand und ihr Boot bedrohlich schwankte.

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