In Vollmondnächten konnte Lova nicht schlafen. Das hatte sie noch nie gekonnt.
Sobald das silberne Licht des Mondes auf ihr Gesicht fiel, war sie plötzlich so hellwach, als wäre es mitten am Tag. Es lag an der Helligkeit, die ihr das Einschlafen unmöglich machte. Ihre einzige Strategie war es dann, das Gesicht in den Laken ihrer Bettdecke zu vergraben und möglichst stillzuliegen, damit der Schlaf sie überwältigte – wenn die Langeweile ihr nicht zuvorkam.
In besonders hoffnungslosen Nächten hatte Lova sich angewöhnt, sich die Decke über den Kopf zu ziehen und zu beten, dass sie nicht erstickte. Selbst Viggo, der keinerlei Wert auf seinen Schlafrhythmus legte und jede im Bett verbrachte Stunde für Verschwendung hielt, war längst eingeschlafen, bevor Lova auch nur ansatzweise zur Ruhe kam. Seine regelmäßigen, tiefen Atemzüge halfen, um sie zum Einschlafen zu bringen – zumindest, wenn der Himmel gnädig war und ein vorbeiziehender Wolkenschleier das Mondlicht milderte.
Lova stöhnte frustriert und drehte sich zum zehnten Mal auf der knarrenden Pritsche herum. Ihr Haar hing ihr im Gesicht, das Polster aus Schaffell kitzelte an ihrem Nacken. Das dünne Bettlaken hatte Lova bereits ans Fußende verfrachtet, weil sie das Gefühl des Stoffes dicht an ihrer Haut nicht ertrug. Es war schließlich nicht ihr eigenes Bett, indem sie die Nacht verbrachte. Und Viggo fehlte.
Der Gedanke kam so unerwartet, so plötzlich, dass Lova innehielt und die Augen aufschlug.
Ihr Kopf war nur eine Handbreit von der Bettkante entfernt, sie starrte direkt auf den Holzboden. Über die Maserung tanzten kleine, weiße Lichtpunkte, die langsam verblassten, während Lovas Augen sich an die nächtlichen Sichtverhältnisse anpassten. Falls sie noch Hoffnungen gehabt hatte, in dieser Nacht Schlaf zu finden, waren diese nun endgültig verpufft.
„Wundervoll", murmelte Lova und setzte sich auf. Ihr Körper strotzte vor Energie; sie sehnte sich nach Bewegung. Das Herz in ihrer Brust schlug ein wenig zu schnell. Es könnte das erste Anzeichen einer nahenden Panikattacke sein oder lediglich ihre Wut über ihre Situation, die sich in einem beschleunigten Puls äußerte. Was immer es war, stillzuliegen würde nicht helfen.
Mit einem Augenverdrehen schwang Lova die Beine aus dem Bett und zuckte zusammen, als die Kälte von ihren nackten Füßen aus durch ihren ganzen Körper fuhr. Sie warf einen sehnsuchtsvollen Blick auf ihre gefütterten Stiefel, ehe sie die Zähne zusammenbiss und stattdessen auf Zehenspitzen zu Hicks' Schreibtisch stolperte. Über der Lehne seines Stuhls hatte sie ihre Hose und ihr Hemd aufgehangen. Beides ergriff Lova und zog es sich eilig über, ehe sie endlich in ihre Schuhe schlüpfte und das vertraute Gewicht des Leders an ihren Fußgelenken spürte. Die Sohle löste sich bereits ab und erinnerte sie erneut an die Dringlichkeit ihres Inselbesuchs. Am nächsten Tag würde Lova dringend die Einkäufe erledigen müssen, für die sie gekommen war. In ihren Taschen klimperte der klägliche Rest Münzen, der ihr geblieben war.
So leise wie möglich – auf einer Insel wusste man nie, wo man mit aufmerksamen Ohrenpaaren rechnen musste – schlich Lova zur Tür und drehte den Knauf. Entschlossen schob sie sich durch den schmalen Spalt, die Luft angehalten und die Augen zu einem Stoßgebet geschlossen. Sie durfte sich nicht erwischen lassen, selbst wenn sie sich nur die Beine vertreten wollte. Jeder Atemzug, den sie auf Berks Boden tat, war ein Risiko.
Lova öffnete wieder die Augen und wurde von dem warmen Licht eines Feuers überrascht, dass im unteren Geschoss der Hütte knisterte. Sie schnupperte; der Geruch nach verbranntem Holz und Honigwein lag in der Luft. Lova war nicht allein in der Hütte, und dieser andere Jemand war wach.
Panik kroch durch ihre Glieder, Schweiß trat auf ihre Stirn. Ihre Bewegungen wurden fahriger, als sie erneut durch den Türspalt huschte und sich ihren Waffengürtel schnappte. Eigentlich hatte sie ihn auf Hicks' Schreibtisch zurückgelassen, um einen harmlosen Eindruck zu erzeugen, falls sie bei ihrer Erkundungstour entdeckt wurde. Doch Lova würde sich nicht willentlich unbewaffnet einem Fremden nähern. Ihre Erfahrung hatte sie auf bittere Weise eines besseren belehrt.
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Forget-me-nots
FanfictionEinige Monate sind vergangen, seit Viggo und Lova auf der Insel der Beschützer Zuflucht gefunden haben. Doch nicht nur das Misstrauen von Königin Mala zerren an den Nerven der Beiden, sondern auch alte Feinde und Erinnerungen, die sie lieber begrabe...