27 - Arete Villa, Kartenraum

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Sie saßen zu viert an einem langen Tisch, in den goldene Zweige und Vögel eingearbeitet worden waren. Sie tanzten neben der Untertasse aus Porzellan.

Cress und drei Adlige, die sie alle aus blauen Augen musterten, tranken Tee zusammen, vielleicht in einem Versuch die Situation weniger bedrohlich zu machen. Finja Arete, Nicolas van Garde und Julian Alessandrini waren jeder für sich einschüchternd genug. Cress schämte sich nicht, dass ihre Hände zitterten in dieser Gesellschaft. Sie kannte Macht, oder zumindest hatte sie das geglaubt.
Der Respekt, den die Clubs vor ihrem blutbespritzten Patron hatten, war fragil. Er hatte das versucht, was diese Menschen alleine durch ihre Familiengeschichte hatten – Angst genug, um mühelos Kontrolle auszuüben. Die rote Mutter selbst würde schnellstmöglich die Flucht ergreifen, wenn man sie an diesen Tisch setzen würde.

In den Narben waren die mächtigsten Menschen diejenigen, die es schafften älter als dreißig zu werden. Keiner der drei jungen Adligen hatte dieses Alter erreicht, oder zumindest wirkte es als wären sie nicht viel älter als Cress. Sie alle hatten sehr gute Haltung, hielten ihre Hände ruhig und wirkten so selbstkontrolliert, dass es an Gleichgültigkeit grenzte. Cress fragte sich, wer von ihnen das Wasser aufgekocht und starken Schwarztee mit Milch und Zucker für sie alle gemacht hatte. Im Moment gab es ja keine Dienstboten im Haus, aber der Prozess wirkte viel zu bürgerlich, um von diesen Menschen ausgeführt zu werden.

Seit sie sich gesetzt hatte, starrte Nicolas van Garde sie an. Cress erinnerte sich an ihn, daran, wie sie ihn fast in den Abgrund gestoßen hatte. Sie hatte gesehen, wie ihm der Regen das Gesicht verätzte und jetzt saß er hier und hatte nicht einmal eine Narbe davongetragen, wo die meisten Geister gestorben wären. Sie war sich sicher, dass ihm die Tropfen in die Augen gelaufen waren, aber er konnte sie wie durch Hexerei immer noch ansehen und tat es mit einem so stechenden Blick, dass sie froh war, als der Kronprinz zu sprechen begann.

„Ich denke, wir haben uns inzwischen alle vorgestellt."

Hatten sie nicht, aber sie wussten alle, wer der andere war und in manchen Fällen auch wie er zuschlug. Cress war sich sehr sicher, dass van Garde es nicht bei einem Schlag belassen hatte, aber sie spürte keinen davon mehr.

„Ich habe mein Anliegen vorgetragen. In zwei Tagen werden wir soweit sein."

Cress fragte sich, ob er ihre Erinnerung mit sich herumtrug. Ob er ihr Leben an einer Kette um den Hals trug, in diesem Moment. Alles, was ihr weggenommen worden war. Zwei Tage, bis man sie aus diesem Traum an der warmen Luft zurück in die Narben schicken würde. Sie hatte in jeder Sekunde gewusst, dass es nur eine Frage der Zeit war, doch die Schönheit dieses Ortes war ihr trotzdem zu Kopf gestiegen.

„Ihr müsst Euch mit dem Equipment vertraut machen, aber das dürfte nicht lange dauern. Nicholas wird Euch einweisen."

Cress warf dem blonden Mann einen schrägen Blick zu. Auch wenn die gesamte Stadt ein Lied auf den Intellekt des Kronprinzen sang, so hatte sie in diesem Moment das Gefühl, dass er sich grob verkalkuliert hatte mit der Annahme, dass sie beide eine solche Teamkonstellation überleben würden.

„Ihr bekommt nur leichte Rüstung", sagte van Garde und klang dabei, als würde er ihr einen qualvollen Tod versprechen. „Alles andere würde auf unseren Scannern auftauchen und damit auch auf deren Systemen."

Cress war kurz davor nachzufragen, wer diese geheimnisvolle Gruppierung war, besann sich aber eines besseren. Sie würde keinen Satz mehr aus diesen Adligen herausbekommen, als diese ihr preisgeben wollten.

„Nach was soll ich suchen?", fragte Cress. Arete und van Garde wechselten einen Blick, bevor die Richterin antwortete.

„Wir wissen nicht, welche Form es hat. Es gibt verschiedene Antworten auf die Frage, die wir gestellt haben."

Skythief - Gefallene Sterne [2024 Version]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt