Während der Rest auf dem Rückweg in den Palast war, traf Julian Finja in der Villa ihres Vaters. Er fühlte sich wieder ein bisschen besser, seit er dort geduscht hatte. Das Herrenhaus lag so weit abseits der Stadt, dass sie wohl keine Gefahr liefen, sofort entdeckt zu werden. Selbst wenn jemand Finjas Familie beobachtete, war es nicht ungewöhnlich, dass Julian sie aufsuchte. Die Familien waren schon lange befreundet und er ging hier ein und aus, seit er ein Kind gewesen war. Die junge Richterin hatte auf einem schweren Eichenholztisch die Akten ausgebreitet, um die er gebeten hatte. Sie hatte nicht mit ihnen gefeiert, weil das hier größere Priorität gehabt hatte. Auch Julian fühlte sich wieder nüchtern genug für die Angelegenheit, seit er in voller Schutzausrüstung von einem tonnenschweren Metallflügel umgemäht worden war. So ein dreißig Meter freier Fall verscheuchten jeden Rausch.
„Sieben Namen habe ich gefunden", erklärte Finja und reichte ihm den Stapel, der neben ihr lag. Julian schlug die erste auf. Er kannte die Organisation der Geister aus diversen Unterrichtsstunden. Vier Verbrechersyndikate, die nach den vier Kartenfarben benannt worden waren, dominierten die Schluchten. Hearts, Clubs, Diamonds und Spades. Jede Akte, die Finja ihm gereicht hatte, trug eines der Symbole.
„Danke für die Arbeit."
Er lehnte sich auf den Schreibtisch und begann zu lesen. Finja beobachtete ihn. Sie tippte angespannt mit den Fingerspitzen auf ihre Oberarme.
„Die hier ist raus, ihre Mutter ist die Herzdame.", murmelte Julian bei der dritten Akte.
Siva Shkarah, laß er. Seltsamer Name. Sie gaben sie sich selbst, nachdem sie in die Narben hinunter geworfen wurden, das wusste er. Das zuständige Amt unter der Regierung seines Vaters behielt nur nachlässig die gefährlichsten und mächtigsten unter den Geistern im Auge. Mehr als die Führungsriegen der Gangs interessierte nicht und selbst diese nur begrenzt.
„Wie willst du herankommen an sie alle?", fragte Finja.
„Findest du nicht, dass unser Ausflug in die Narben schon von Erfolg gekrönt war?", fragte er nach und grinste zu ihr hinauf.
„Nico ist halb blind und zum ersten Mal in der Geschichte dieses Reichs ist ein Cyborg über die Netze hinausgeflogen", kam es trocken zurück.
„Nico wird wieder", murmelte Julian. „Hauptsächlich ist sein Ego schwer verletzt und davon hat er sowieso zu viel."
Seine Augen ruhten auf der letzten Akte. Ein Herz zierte sie, also ebenfalls jemand aus der Führung der Hearts. Sein Vater hatte erst kürzlich einen von ihnen hingerichtet, ohne den Orden zu informieren. Eine wirklich unnötige Machtdemonstration.
„Was hast du vor mit diesen Leuten?", fragte Finja.
Julian war so vertieft in die letzte Akte, dass es einen Moment dauerte, bis er antwortete.
„Sie sind nur Ersatz."
„Wofür?"
„Plan A."
„Hoheit", meldete Oliver von der Tür her. „Wir haben einen Schwimmer."
Sie wandten sich synchron zu ihm um. Kurz herrschte verblüffte Stille.
„Lasst ihn nur kommen."
Finja warf ihrem Freund einen fragenden Blick zu.
„Wer schwimmt da durch den Wasserspeicher?"
„Wir werden es herausfinden."
Sie legte den Kopf schief, als ahnte sie bereits, dass mehr hinter der Angelegenheit steckte, als er zugab.
„Hast du keine Angst vor den Assassinen der Herzdame?"
Sie hatte ihn durchschaut. Oder zumindest eine Vermutung.
„Oh bitte", murmelte Julian. „Was denkst du, wie oft in den Kolonien irgendjemand versucht hat, mich umzubringen? Ich bin gut in Übung."
„Der Empfang", erinnerte Oliver. In ein paar Stunden würden sie offiziell feiern, dass der Prinz aus dem Exil zurück war. Ihr kleines Abenteuer in den Narben hatte mehr Zeit in Anspruch genommen, als sie gedacht hatten. Vielleicht würde er jetzt ein wenig in den Stress kommen, aber alles im Rahmen.
Julian nickte Richtung Tür.
„Geht nur", schnurrte er. „Ich kümmere mich darum. Es wird nicht lange dauern."
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Skythief - Gefallene Sterne [2024 Version]
Science FictionIn den Narben, tiefen Schluchten am Rande der Hauptstadt eines Imperiums in der Zukunft, ist Cress Cye als rechte Hand eines Verbrecherfürsten gefürchtet. Die alten Monster, die dort in den Tiefen leben, kennt sie gut. Doch als eines davon so viel S...