75 - Palast, Renés Suite

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„Ich kann mit meinem Vater sprechen", schlug er vor, eine halbe Stunde später und kurz bevor er wieder zurückfliegen wollte. Oliver und René hatten sich leise unterhalten.

Nun wandten sie sich zu ihm um.

„Oli, lässt du uns einen Moment alleine?", fragte sie. Der Angesprochene zog etwas zu schnell die Tür hinter sich zu.

„Nein", sagte René, sobald er weg war. „Das wird nicht passieren."

Sie war auf ihn zu gekommen. Sie kannten sich schon lange und gut genug, dass sie die Nähe des anderen nicht einschücherte. Normalerweise. Er nannte ihren Namen, beschwichtigend, wie er hoffte.

„Nein", sagte sie erneut. „Setz dich."

Er setzte sich.

„Das wird nicht passieren", wiederholte sie und setzte sich ebenfalls. „Hör mir genau zu, Julian: ich verstehe wie hart das Leben zu dir ist. Aber: es wird nicht passieren."

Sie hätte ihn beißen können und es hätte weniger weh getan.

„Drei Jahre hast du mich alleine gelassen. Drei Jahre habe ich Mütter und Männer abgewehrt und gewartet, ob du dich hier je wieder blicken lässt, nachdem unsere Eltern beschlossen hatten, dass ich als Ersatz für deine Frau herhalten sollte. Drei Jahre."

„Ich weiß."

„Tust du das? Denn du hast mir gerade vorgeschlagen, dass du sie anstatt meiner heiratest."

Er hatte die Augen geschlossen und spürte, dass sie näher gekommen war. Ihre Wut würde brechen, wie eine Welle. Schnell und intensiv. Sie hatte nach seiner Hand gegriffen, die auf der Sofalehne lag. Nicht zärtlich, sondern entschlossen.

„Ich weiß, dass du die Krone nicht willst. Aber ich, ich will sie. Schon mein Leben lang will ich sie. Wofür habe ich gearbeitet, seit ich geboren wurde? Wofür habe ich die Akademie durchlaufen und mich demütigen lassen von deinem Vater? Für deinen Familiennamen."

Er fühlte ihren Atem, so nah war sie an seinem Gesicht. Sie hatte sich verändert, dachte er. Sie sprach aus, was sie wollte und bekam es. Von ihrem Vater, seinem Vater, von ihm.

„Du schuldest mir ein Königreich."

Er öffnete die Augen und sah direkt in ihre. Er wusste, dass er sich ergeben würde. Er hatte nur nicht damit gerechnet, wie schnell. Alle wollten sie das, was er in die Wiege gelegt bekommen hatte und er wollte nichts mehr, als es loszuwerden. Wenn eine Hochzeit heißen würde, dass er nicht regieren musste, dann hätte er schon mit sechzehn geheiratet.

„Es wird dich nicht brechen, mich zu heiraten", flüsterte sie und strich ihm über die Wange. „Genauso wenig, wie es dich gebrochen hat, zurückzukommen. Ich halte dich von nichts ab und ich bitte dich nicht um Treue oder all die anderen lächerlichen Kleinigkeiten. Die Krone, Julian. Mehr will ich nicht."

„Nico", wandte er ein.

Sie nickte.

„Nico wird kein Problem sein."

„Weiß er das?"

Sie zischte unwillig.

„Nico kennt mich. Er kennt dich. Er wird es genauso hinnehmen, wie du."

„Du wirst mit ihm sprechen müssen."

„Ich habe mit ihm gesprochen."

Sie lehnte sich zurück und sah aus dem Fenster. Draußen sangen die Vögel. Viel zu schön war der Tag für all die nervtötend schmerzenden Entscheidungen.

„Gut", meinte Julian letztendlich. „Deine Entscheidung."

Sie nickte. Damit war es beschlossene Sache. Nicht, dass sie viel auszurichten gehabt hätten an der arangierten Ehe, die seit drei Jahren über ihrem Kopf hing, wie ein Damoklesschwert. Man hatte ihnen damals zwei Tage Trauer gelassen, bevor Renés Mutter ihre Tochter zu ihm gebracht hatte. Dass diese genauso trauerte, wie er, hatten sie alle gekonnt ignoriert. Er erinnerte sich noch daran, wie sie sich über die Schulter seines Vaters angesehen hatten, zwei Tage, nachdem Victoria für Tod erklärt worden war. Er gerade achtzehn, sie ein Jahr jünger.

„Es tut mir leid", hatte sie gesagt, als man sie allein gelassen hatte. Die schönste Frau der Hauptstadt war in Tränen ausgebrochen, weil sie den Kronprinzen heiraten sollte. Sie hatte sein Gesicht in die Hände genommen und ihn so ernst angesehen, wie man es konnte, wenn einem Tränen über die Wangen rannen.

„Hier wird sich niemand darum scheren, wenn du zerrissen wirst", hatte sie gesagt und nicht nur von ihm gesprochen.

Jetzt weinte keiner von ihnen. Sie waren erwachsener geworden, resignierter. Vor drei Jahren hätte Julian vielleicht dagegen angekämpft, hätte keine Heirat geduldet. Hätte alles getan, um es zu vermeiden, weil er ein zu großer Romantiker gewesen wäre. Was wäre das für eine schöne Rebellion gewesen. Nun hatte er die Kraft nicht mehr, wichtigeres zu tun und den Glauben an die Rituale sowieso verloren, die die Welt für so viele Menschen ordneten. Die Hochzeit bedeutete ihm nichts, wenn René die Braut war.

„Ich werde mich nicht quer stellen", schloss er tonlos. „Aber denk nicht, dass ich in der Hochzeitsnacht mit dir schlafen kann. Ich werde sicher zu betrunken sein."

„Damit kann ich leben, Hoheit."

„Du kannst gehen."

Skythief - Gefallene Sterne [2024 Version]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt