Kapitel 66

9K 439 41
                                    

   66. Kapitel

„Wohin geht’s?“

Liam drehte sich nach hinten um und warf Harry am Rücksitz vorbeilugend einen fragenden Blick zu. Auch ich war gespannt, was unser Ziel sein würde. Dass einiges von einem Ort abhängen konnte, hatte ich bereits in dem Polizeipräsidium erfahren müssen und die Erfahrung wollte ich nicht noch einmal wiederholen. Der Test an sich würde schon schwierig genug werden, da wollte ich nicht auch noch in irgendeinen Hochsicherheitstrakt einbrechen müssen. Harry grinste, etwas das ich bei ihm noch nicht oft gesehen hatte. Geheimnisvoll grinsen war normalerweise eine Spezialität seines Bruders.

„Ans Ende der Welt“, antwortete er und blickte unverwandt aus dem Fenster, als erwartete er, dass Liam tatsächlich jeden Moment losfahren würde. Ich vermutete, dass das ein Witz sein sollte, konnte aber das Lustige daran nicht entdecken.

„Und wo soll das sein?“, erkundigte sich Liam.

Harry schmunzelte. In Gedanken kehrte ich noch einmal zu meiner ersten Begegnung mit Zayn zurück, als ich noch nicht daran geglaubt hatte, dass die beiden in irgendeiner Art und Weise verwandt sein könnten.

„Elbauenpark“, erklärte Harry knapp.

Liam ließ den Motor an und wir fuhren los in Richtung Zentrum. Bis vor kurzem war es mir noch wahnsinnig unangenehm gewesen, mit den beiden in einem Auto zu sitzen, doch mittlerweile hatte ich mich daran gewöhnt. Die Fahrten gehörten seit ich von dem Test wusste zu meinem Alltag. Trotzdem war ich heute besonders nervös. Bisher war der Tag mehr als nur seltsam gewesen und nun sollte ich auch noch erfahren, was genau meine Aufgabe war. Wieder musste ich an Zayn denken. Hatte er sich das ganze ausgedacht oder kam die Idee von Paul? Würde er erbarmungslos bleiben oder würde er mich schonen, da ich ihm bereits auf dem Polizeipräsidium zur Seite gestanden hatte? Ich hoffte auf Letzteres.

„Du gehst mit Lou auf den Ball“, meinte Harry plötzlich und riss mich somit aus meinen Gedanken.
Es hatte mehr wie eine Feststellung geklungen, als wie eine Frage.

„Ich weiß noch nicht“, erwiderte ich. „Er hat mich noch nicht gefragt.“

Irgendwie war es mir unangenehm das zugeben zu müssen und dann auch noch ausgerechnet vor Harry. Auch wenn sich unser Verhältnis inzwischen deutlich verändert hatte, hatte ich noch immer das Gefühl, von ihm belauert zu werden. Es war, als würde er auf etwas warten, fast so als würde er mich in einer gewissen Weise fürchten, aber vielleicht war es einfach nur seine Art mir seinen Respekt zu zollen ohne mir zu viel Vertrauen zu schenken. Sein Verhalten zu deuten, erschien mir nahezu unmöglich. Der einzige der das womöglich konnte, war Zayn.

„Keine Sorge“, Harry machte eine schlenkernde Handbewegung, wobei seine Armbänder leise klirrten. „Er wird dich noch fragen. Ich hab das mit ihm schon geklärt und du musst nur noch ja sagen. Oder hast du noch andere Anfragen?“

Wieder dieser lauernde Tonfall. Ich wusste genau worauf er hinauswollte und spürte auch schon wie ich leicht rot wurde. Schnell wandte ich das Gesicht ab. Also habe ich keine Chance, dein Begleiter zu werden? Zayns Worte hallten in meinem Kopf wieder. Für mich war klar, dass ich nur mit Lou als Begleiter dort auftauchen würde. Aus diesem Grund brauchte ich Zayns Angebot auch gar nicht erst erwähnen und so schüttelte ich nur energisch den Kopf.

Eine Weile fuhren wir schweigend weiter und schon bald sah ich den Jahrtausendturm vor uns auftauchen. Liam hielt direkt vor dem Eingang an und wir sprangen aus dem Auto. Harry knallte die Türe hinter sich zu und ging dann in großen, eleganten Schritten auf den Ticketschalter zu. Mein Herz pochte wie verrückt, als ich mich dabei ertappte, wie ich den Zaun, der den Park umgab auf Schwachstellen absuchte. Es würde kein leichtes sein, hier unbemerkt einzudringen.

Wir lösten die Tickets ein und befanden uns kurz darauf in einem wahren Meer aus Blumenbeeten und kleinen Teichen. Harry hatte einen kleinen Plan in der Hand, den er sich vorne an der Kasse hatte geben lassen und faltete diesen nun auseinander. Ich war schon einmal hier gewesen, kurz nachdem wir nach London umgezogen waren. Gemeinsam mit meinen Eltern und meinem kleinen Bruder waren wir durch den gesamten Park marschiert und hatten eine Runde mit der Schwebebahn gedreht. Abgesehen von der Unübersichtlichkeit und den unmenschlichen Preisen für das Softeis war ein Besuch im Elbauenpark definitiv zu empfehlen.

Während Harry den großen Plan auseinander faltete und scheinbar nach etwas zu suchen schien, steuerte er bereits auf die große Brücke zu, die über die Straße auf die andere Seite führte, wo sich auch der Jahrtausendturm gut erkennbar inmitten von kleinen Gärten in die Höhe schraubte.

„Von da oben können wir uns einen Überblick verschaffen“, erklärte er und deutete auf die Spitze mit der Aussichtsplattform. „Das Ende der Welt ist zwar auf dieser Seite, aber es ist vermutlich einfacher, von dort drüben in den Park zu kommen.“

Scheinbar hatte er vorhin doch keinen Witz gemacht.

„Das Ende der Welt?“, wiederholte ich irritiert.

Er nickte energisch.

„Das Ende der Welt ist eine riesengroße Mauer an einem Ende des Parks. Keine Ahnung, wer sich den Namen ausgedacht hat, aber du musst da drüber klettern und sie von der anderen Seite aus besprühen. Vielleicht kommt man auch von außen ran, ich bin mir nicht sicher, deswegen versuchen wir es erst mal über die andere Seite.“

Ich seufzte und versuchte die vielen Informationen aufzunehmen und direkt abzuspeichern. Die Höhe der Mauer machte mir ein wenig Sorgen und insgeheim bezweifelte ich, dass ich es über das Ende der Welt schaffen würde. In Sport war ich noch nie gut gewesen, ganz besonders nicht im Klettern.

„Diesmal sprühst du kein Logo“, fuhr Harry unbeirrt fort. „Das wäre zu einfach und außerdem könnte man das mit uns in Verbindung bringen, wenn du geschnappt wirst. Du sprühst ein Bild.“

Ich war überrascht.

„Ein Bild?“

„Ja“, bestätigte Harry. „Ein Bild. Du wirst dir diesmal ein bisschen mehr einfallen lassen müssen als ein paar hübsche Konturen. Besonders viel Zeit bleibt dir leider auch nicht mehr, also an deiner Stelle würde ich mich so schnell wie möglich an den Entwurf machen.“

Ehrlich gesagt hatte ich nicht damit gerechnet, dass es noch schlimmer kommen konnte. Immer und immer wieder hatte ich mir Gedanken über den Ort gemacht, an dem meine Prüfung stattfinden sollte, aber bisher war ich automatisch davon ausgegangen, dass ich das Ganglogo sprühen sollte. In einer gewissen Art und Weise hatte mir diese Annahme Sicherheit verschafft, denn es gab wohl nichts, was ich schon häufiger an eine Wand oder auf ein Laken übertragen hatte und nun wurde mir diese Sicherheit plötzlich genommen.

„Was soll das für ein Bild sein?“, fragte ich noch immer ein wenig irritiert.

Ich wusste nicht so recht, was ich von dieser Umstellung halten sollte. Noch dazu hatte ich bisher noch keinerlei Erfahrungen gesammelt, was das Zeichnen und Malen mit Dosen betraf. Mehr als einen Versuch hatte ich nicht, was bedeutete, dass ich mir keine Fehler erlauben durfte. Alles musste perfekt laufen.

„Du bist da relativ frei in deiner Auswahl“, erklärte Harry geduldig. „Es sollte natürlich nicht nur ein Haus mit Garten und Schornstein sein, aber Zayn meint, dass dein Talent durchaus für mehr ausreichen könnte. Irgendwann hat er wohl mal ein paar Zeichnungen von dir gesehen, die er gut fand und will dir deswegen freie Hand lassen. Du solltest das als großen Vertrauensbeweis sehen.“

Ich musste ein verächtliches Schnauben unterdrücken und überlegte stattdessen, wann Zayn meine Zeichnungen gesehen haben könnte. Im ersten Moment dachte ich an mein kleines Zeichenbuch, dass ich immer unter meinem Kopfkissen liegen hatte, falls mir in der Nacht ein paar gute Ideen kamen, doch dann verwarf ich den Gedanken auch schon wieder. Wahrscheinlich meinte er meine Arbeit zu Beginn des Schuljahres, als wir vor den Schließfächern zusammengestoßen und mein Block auf dem Boden gelandet war.

„Abgesehen davon gibt es also keine Vorgaben?“, hakte ich zur Sicherheit noch mal nach.

„Menschen. Auf dem Bild muss mindestens eine Person abgebildet sein. Egal wer, egal wie. Aber du überlegst dir besser genau, was du darstellen willst; der Elbauenpark ist um diese Jahreszeit schon sehr gut besucht“, er machte eine kurze Pause. „Aber als erstes sollten wir uns mal ansehen, wie genau du über den Zaun kommen kannst. Das wird mit Sicherheit nicht leicht werden.“

Ich hatte Mühe mit ihm Schritt zu halten, als Harry zielstrebig auf den hohen Jahrtausendturm zusteuerte, aber auch das war ich bereits gewohnt. Die vielen Stufen, die wir hinaufsteigen mussten, bis wir endlich hoch genug waren, um einen guten Überblick über den Park zu gewinnen, gaben mir schließlich den Rest. Meine gesamten Atemvorräte waren aufgebraucht. Wieder faltete Bill den großen Plan auseinander, während ich ungehindert die Aussicht genießen konnte. Insgeheim fragte ich mich, wie viele Gärtner wohl nötig waren, um diese Anlage in Stand zu halten.

„Da“, rief Harry plötzlich und deutete auf einen Punkt in der Ferne. „Da drüben ist das Ende der Welt.“

_____________________________________________________________________________

Bei 15 Kommis gehts morgen weiter ;)

HE (Zayn Malik FF)[wird Überarbeitet]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt