Kapitel 48.

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Nicolais POV

„Nein.."

„Doch!"

„..Nein!"

„Doch! Sieh es dir genau an!"

„Ich glaub ich muss kotzen..." Ben hielt sich die Hand vor dem Mund und versuchte ein Würgen zu unterdrücken, während Maya fröhlich in dem Gehirn eines Vierundsechzig Jährigen Mannes, der vor wenigen Wochen verstorben war, herumstocherte. Ich wusste nicht wie, aber sie hatte es tatsächlich geschafft, Dr. Harper dazu zu überreden, uns Gehirne auseinander nehmen zu lassen. „Siehst du das? Siehst du das?!" Aufgeregt wirbelte Maya um Ben herum und zeigte ihm begeistert das Kleinhirn, welches sie vollständig aus der Gesamtmasse entfernt hatte. Man sah ihm schon von weitem an, wie gern er jetzt aus dem Raum stürmen und sich übergeben wollte. „Creepy." Hatte Patrice, Mayas liebe zu leblosen Körperteilen, kommentiert und sich wieder Josh zugewandt, der sich fasziniert mit dem Skalpell auseinandersetzte. „Was glaubst du? Wie tief kann man damit schneiden?" Patrice verdrehte die Augen und stieß ihm in die Seite. „Keine Ahnung? Ist mir auch egal."

Es freute mich zwar, dass meine Kommilitonen so nett und lebhaft waren, aber ich war hier, um zu lernen. Ich konzentrierte mich auf die Arbeit und überlegte, was Dr. Harper sich dabei gedacht hatte. Er schien niemand zu sein, der uns Aufgaben gab, damit wir beschäftigt waren. Viel mehr wollte er unsere Fähigkeiten und unser Wissen testen und ich war nicht gewillt, ihn zu enttäuschen. Ich bekam nebenbei noch mit, wie Ben aus dem Raum stürmte, nachdem Maya einen, anscheinend zu realistischen, Witz über Leichen gemacht hatte. Meine Augen wanderten zu Patrice, gefolgt von Josh und nun auch Dr. Harper. Er ging ruhig um die Tische und beobachtete uns. Er verfolgte jeden unserer Schritte, ohne auch nur ein Wort gesagt zu haben. Er hatte nichts dazu gesagt, als Maya ohne Vorwarnung am Gehirn rumschnippelte, genauso wenig, wie er Josh zurechtwies, dass er sich Handschuhe anziehen sollte. Es war ein Test. Eine Prüfung.. und ich war wohl der Einzige, dem es auffiel. Was sollte ich tun? Auf eine Anweisung warten? Die Anderen drauf hinweisen? Nein, was wenn ich mich irrte? Denk nach. Denk nach. Denk nach! Ich entdeckte eine Tür, die in ein kleines Nebenzimmer führte. Dr. Harper hielt mich nicht davon ab, es zu betreten, was meine Vermutung nur bestätigte. Es handelte sich um eine Dunkelkammer. Vor mir breitete sich ein Spektrum von fünf verschiedenen Röntgenaufnahmen aus. Eine Aufnahme pro Gehirn, die wir zur Verfügung gestellt bekommen hatten. Jedes einzelne Bild wies einen Tumor oder eine andere Krankheit auf, die sich im besagten Gehirn ausgebreitet hatte. Ich hörte, wie Ben wieder im Nebenraum auftauchte und nach mir fragte. Ich hielt kurz inne, bevor ich ihn zu mir rief. Unsere Aufgabe war einfach. Ich wusste was zu tun war und wie man es löste. Die Frage hierbei war nur das Warum. Das alles hier sollte unser Wissen prüfen, das hatte ich deutlich verstanden, aber wir hätten auch alleine eine Lösung finden können. „Was gibt's?" Ben..Er wirkte ein wenig mitgenommen. „Ich weiß jetzt, was unsere Aufgabe ist." Murmelte ich, immer noch in meinen Gedanken versunken. „Hey Leute, kommt mal her!" Wenige Sekunden später standen wir alle in diesem viel zu engen Raum und ich zeigte, was ich gefunden hatte. „Also meins ist das nicht." Maya hob eine Aufnahme in die Luft, auf der das Kleinhirn deutlich beschädigt, wenn nicht sogar fast vom Tumor verschlungen, war. Sofort machten wir uns gemeinsam an die Arbeit und verglichen alles miteinander.

„Das hat zwar deutlich länger gebraucht, als gedacht, aber euer Ergebnis ist bemerkenswert." Zufrieden klatschte Dr. Harper in die Hände und hatte eine Spur von einem Lächeln im Gesicht. „Trotzdem möchte ich noch einmal klarstellen, dass das hier kein Spielplatz ist und absolut alles als ein Notfall angesehen werden sollte. Nehmt die Sache ernst." Beschämt nickten die anderen bedächtig und versuchten seinem Blick zu entweichen. Er seufzte einmal, bevor er uns für heute entließ und allen ein schönes Wochenende wünschte. „Nicolai, kann ich noch kurz mit dir reden?" Ich nickte den anderen zu, dass sie schon zur Garderobe gehen konnten, um sich umzuziehen. „Deine Auffassungsgabe und dein Verständnis sind sehr ausgeprägt. Das ist mir schon am ersten Tag aufgefallen." Fing er an und lächelte. „Du erinnerst mich an mich, an meinen ersten Tagen hier. Ich wollte am liebsten immer alles schnell lösen und am besten allein arbeiten, aber du musst wissen, dass alles hier, eine einzige Einheit ist." Ich fühlte mich ein wenig ertappt und nickte nervös. „Du hast dich gefragt, was die heutige Aufgabe dir bringen soll." Es war eine Feststellung, die ins Schwarze traf und ich fragte mich unweigerlich, ob es schlecht war, so zu denken. „Stell dir vor, du befindest dich inmitten einer wichtigen Operation, die über Leben und Tod entscheidet. Dabei ist es völlig egal, wie gut du in dem bist, was du tust. Wenn du deinen Kollegen nicht vertraust und nicht weißt, wie sie ticken." Er tippte sich an den Kopf und bedachte mich mit einem wissenden nicken. „Danke.." murmelte ich und meinte es auch so. Es war, als wenn er mir die Augen wieder einmal vor etwas geöffnet hatte und dafür war ich ihm dankbar. Die Frage, ob ich den anderen vertraute, war jedoch eine andere Sache. Ben war zu unsicher, Maya zu experimentierfreudig, Patrice zu schnell gereizt und von Josh wollte ich erst gar nicht anfangen. Wie sollte ich mit diesen Leuten ein Menschenleben retten? Dr. Harper verabschiedete sich noch höflich von mir und überließ mich meinen Gedanken.

See You Again (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt