Kapitel 42.

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Levins POV

Ich wusste, dass Nic machtlos gegen dieses Argument war. Er zickte auch nicht großartig rum und setzte sich, wenn auch etwas ungewollt, zu mir. „Bei so einem Fernseher, muss man gar nicht mehr ins Kino gehen." Brummte er und starrte auf mein Handy, welches ich ihm fürs erste Geliehen hatte. „Natürlich können wir ins Kino. Davor können wir dir auch noch ein neues Handy holen." Schlug ich vor, woraufhin ich einen finsteren Blick von ihm erntete. „Ist ja gut. Du kannst dir ja ein neues Handy holen." Verbesserte ich mich schnell und er schien über diesen Vorschlag ernsthaft nachzudenken. „Okay."

Es dauerte nicht lange, bis wir in der Stadt waren und uns in den Geschäften umsahen. Alles war schon in Weihnachtsstimmung, obwohl es noch gut einen Monat dauerte bis der Weihnachtsmann vorbeikommen würde. „Werbung, egal wo man hinsieht." Grummelte ich genervt. Was war so toll an Weihnachten? Und wie kam man auf die bescheuerte Idee, dass ein fetter, alter Mann nachts einbricht, um kleinen Kindern was aus seinem Sack zu zaubern? Ich wurde einfach nicht schlau aus diesem ganzen Weihnachtstrubel. Jedes Jahr war es dieselbe Scheiße. Dieselben, beschissenen Songs und genau Dieselben nervigen Werbungen. Jahr für Jahr. Ich hätte kotzen können, als ich die ersten Jingle Bells Klänge zu hören bekam, blieb Nicolai zuliebe jedoch brav. Er wirkte irgendwie ausgelassen. Wir bummelten irgendwie durch die Stadt. Wir Bummelten. Ich bummelte nicht. Nie. Weder mit meiner Schwester, noch mit sonst irgendwem. Also wieso lief ich, total bescheuert, neben ihm her und wartete darauf, dass er etwas kaufte? Ich hatte zwar immer noch keine Ahnung, welchen Film wir sehen wollten, aber alles war besser, als zu bummeln. Ein wenig gereizt lief ich immer weiter den Weg entlang, bis ich merkte, dass Nic stehen geblieben war. „Sieh mal, Lev! Es schneit!" Und tatsächlich, es fielen kleine, weiße Flöckchen vom Himmel hinab und ließ mehrere Passanten kurz inne halten. Noch so eine Sache, die ich absolut nicht verstand. Was war so toll an Schnee? Es schneite doch jedes Jahr wieder, wieso verhielten sich dann die meisten so, als wenn sie es noch nie zuvor gesehen hätten? Ich beobachtete Nic dabei, wie er die Hände zusammenfaltete um die kleinen Flöckchen aufzufangen. Er wirkte auf einmal viel kindlicher. „Dir scheint das echt Spaß zu machen." Stellte ich ein wenig verwundert fest und er steckte schnell die Hände in die Jackentaschen. „Es erinnert mich an Zuhause." Flüsterte er leise und lächelte sanft. Es dauerte einen Moment, bis ich verstand, dass er mit Zuhause, das Heim in Russland meinte. Wir gingen gemeinsam weiter und beobachteten dabei jede einzelne Schneeflocke. „Vermisst du es?" Er blickte zu Boden und ich erkannte die Melancholie in seinen Augen. „Ein wenig. Ich wünschte ich könnte mit ihnen Telefonieren, anstatt immer nur Briefe zu schreiben." Ich wusste nichts von solchen Gefühlen, aber ich wollte ihn nicht so sehen. Ich wollte, dass er glücklich war und sich um nichts sorgen musste. Ich merkte immer wieder, wie wenig ich ihn und seine Gefühle verstand. Während er sein Zuhause vermisste, war ich froh, ganz weit weg von meinem Erzeuger zu sein. Ich wusste nicht viel über Familien und so nen Scheiß, aber scheinbar war es nicht so üblich, dass man seine Familie abgrundtief hasste. Jenna war meine einzige Blutsverwandte, der ich nicht den Kopf abreißen wollte. Lag aber wohl einfach daran, dass wir getrennt aufgewachsen waren und uns erst recht spät kennengelernt hatten. Davor war ich meistens allein. Ich wusste nicht, wie es war, mit Geschwistern aufzuwachsen, die man beschützen wollte. Ich würde niemals den Schmerz nachempfinden können, den Nicolai verspürte, als er seine Familie verlassen hatte. „Das tut mir leid." Ich räusperte mich kurz, um es doch noch zu überspielen, doch er hatte es gehört. „Wieso?" Er lächelte mich so an, als wenn nichts wäre. Ich zuckte kurz mit den Schultern und fuhr mir durch die Haare. „Ich kenn mich mit sowas nicht aus. Ich hatte nie eine richtige Familie. Du wirktest so, als wenn du zu ihnen zurück willst." Bevor ich reagieren konnte, wurde ich in eine kleine Nische gezogen und spürte etwas Warmes auf meinen Lippen. Nicolais Lippen lösten sich zögerlich von mir, als er seine Stirn gegen meine lehnte. „Wovon redest du denn da? Wir sind doch auch eine Familie." Seine Finger fuhren sachte über meine Unterlippe und ich erstarrte zu einer Salzsäule. „Wir? Eine Familie?" stotterte ich ein wenig überfordert, doch er nickte nur langsam. „Du bist meine Familie." Ich wusste nicht, ob seine Wangen wegen der Kälte oder dieser Situation rot glühten, aber er wirkte sehr überzeugt. Mein Herz wummerte laut in meiner Brust und ich wollte Abstand zwischen uns bringen. Ich wusste nicht, wie man sich in solchen Situationen verhalten sollte. „Du solltest nach einem Handy suchen, .. .die Läden schließen bal-!" Seine Lippen waren so warm und weich. Für Anfang November war es schon Arschkalt und ich hätte geglaubt bald zu erfrieren, wenn er mich nicht immer wieder wärmen würde. „Oh mein Gott. Ist das da hinten etwa Levin?" drang vom weiten eine Frauen Stimme. Kurz darauf waren noch mehr zu hören, die begeistert zu kreischen begannen. „Du meinst den Levin?!" Nic schielte zu ihnen herüber, zog mich dicht an sich und Küsste mich, wie noch nie zuvor. „Igitt, das sind ja Homos!" fauchte eine und ihre Freundinnen klangen enttäuscht. „Das ist er nicht. Niemals. Levin ist viel zu cool für Homos!" Sie stapften wütend weiter und tratschten da weiter, wo sie aufgehört hatten. Ein wenig überwältigt schnappte ich nach Luft und hätte diesen Weibern am liebsten in den Arsch getreten. „Beruhig dich. Solche Leute gibt es nun mal." Seufzte er kurz, setzte jedoch sofort wieder sein schönstes Lächeln auf. „Hier." Er wickelte mir seinen Schal um den Hals und ich vergrub mein Gesicht in dem weichen Stoff, der so stark nach ihm roch. „Wir müssen in Zukunft wohl aufpassen was wir machen. Die Leute erkennen dich auf offener Straße." Ich nickte verträumt und wartete darauf, dass wir weitergingen. Er zog mir meine Kapuze über den Kopf, die ich am liebsten sofort wieder abgeschüttelt hätte. „So sollte es gehen." Murmelte er und nahm meine Hand. „W-Was machst du da?" fauchte ich überrascht und wollte sie ihm entziehen. „Es sollte dich niemand erkennen, also ist es doch okay?" Nic tat so, als wäre es das Normalste auf der Welt. „Wo liegt das Problem?" irritiert sah er mich an. Ich schüttelte jedoch nur beschämt den Kopf. Ich konnte es ihm doch nicht einfach so sagen. „Wir müssen das nicht machen, wenn du es nicht willst." Schlug er ein wenig enttäuscht vor, doch ich ergriff seine Hand, als er sie entfernen wollte. „Das ist es nicht.." Mein Gott. Er war wie ein Welpe, der bei jeglicher Reaktion meinerseits, entweder vor Freude mit dem Schwanz wedelte oder aber den Hundeblick aufsetzte. „Ich hab noch nie Händchen gehalten.." nuschelte ich in den Schal hinein und hätte im Erdboden versinken können. Langsam schielte ich zu ihm herüber. Er war rot wie eine Tomate und grinste wie ein totaler Vollidiot. „Du-!" schimpfend drehte ich mich von ihm weg und stapfte ohne ihn weiter. „Sorry. Das war grad nur so süß von dir." Er eilte mir hinterher und griff erneut nach meiner Hand, ließ diesmal jedoch kein einziges Mal los. Mehrere Leute starrten uns hinterher, doch das war mir egal. Ich vergrub mein Gesicht weiter in seinen schal, damit auch niemand mich erkannte.

See You Again (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt