Levins POV
Ich hatte die letzten Tage kein Auge zu getan. Nicolai befand sich nun schon seit einer Woche im künstlichen Koma und sollte heute aufgeweckt werden. Ich hatte sehnsüchtig auf diesen Tag gewartet und hoffte, dass alles klappte. Er hatte die letzte OP gut überstanden und nachdem der rechte Lungenflügel komplett entfernt wurde, hatte es keine weiteren Probleme mehr gegeben. Ich wagte es fast, zu hoffen, traute mich jedoch nicht, da die Angst vor einem weiteren Rückschlag zu groß war. Ich würde keine Erwartungen stellen und so lange auf ihn warten, bis er gesund und munter vor mir stand und sagen konnte, dass alles gut wäre. So wie er es immer tat. Ich wartete einfach.. und wartete. Dabei ignorierte ich die besorgten Blicke, die Aufforderungen, zu schlafen oder zu essen und behielt meinen Liebsten einfach nur im Auge. Er trug wegen den gebrochenen Rippen ein Metallgestell um den Brustkorb, was an ein verkürztes Korsett erinnerte. Der Schlauch, welcher bis jetzt in seiner Lunge gesteckt hatte und ihn beatmete, wurde heute abgenommen, damit er es von alleine tat. „Wir haben die Medikamente abgesetzt, doch es wird noch ein paar Stunden, vielleicht aber auch noch ein-zwei Tage dauern, bis sein Körper den Wirkstoff abgebaut hat und er wach wird. Das ist immer unterschiedlich." Kam es von einem Pfleger, der sich dran gewöhnt hatte, dass ich ihn jedes Mal wie ein unheilbringendes Biest anstarrte und jeden seiner Schritte bis aufs kleinste Detail verfolgte, um zu wissen, was er meinem Freund antat. „Es wird bestimmt alles gut." Versicherte er mir. „Er hat sich die letzten Tage gut geschlagen. Die Wunden heilen und soweit ich weiß, hat er die letzte Operation hinter sich." Er lächelte mir freundlich zu und überprüfte grade Nic's Blutwerte. Dennoch ging ich immer noch vom schlimmsten aus. Die Ärzte hatten gesagt, dass selbst wenn er erwachte und möglicherweise keine bleibenden körperlichen Schäden hatte, so lag er immer noch im Koma und hatte ein Schädel-Hirn-Trauma, welches die Wahrscheinlichkeit erhöhte, dass geistige Schäden zurückblieben. Davor hatte ich am aller meisten Angst. Der Typ, ich glaube, er hieß Collin, bemerkte meine angespannte Haltung. „Ich will ja nicht unhöflich sein, aber bist du dir sicher, dass du ihm so entgegentreten willst?" Ich wusste was er meinte. Ich sah beschissen aus, fühlte mich beschissen, roch beschissen und war kurz vorm verhungern. Ich hatte in den letzten Tagen noch nicht mal eine geraucht. Wieder dieses Lächeln, obwohl ich nicht mal was gesagt hatte. „Er ist nachher und morgen und übermorgen auch noch hier. Du solltest dich erst mal um dich kümmern und dann wiederkommen." Erwähnte er noch ein letztes Mal, bevor er ging. Es war genau dasselbe, was mir die anderen schon die ganze Zeit sagten und sie hatten Recht. Ich hatte meine Grenze längst erreicht und war kurz davor wegzuklappen. Mein Körper war schon so übermüdet und hungrig, dass ich kaum aus dem Stuhl aufstehen konnte. Wie auf Knopfdruck kam Tristan mit Alec um die Ecke und sah, wie ich mich mühsam aufrappelte. „Bringt mich nach Hause.." sagte ich schon fast tonlos, da meine Stimme irgendwo auf dem Weg zwischen Kehle und Mund versank. Die beiden eilten schnell herbei und stützten mich auf jeweils einer Seite ab.
Nur kurz wollte ich mich zuhause ausruhen, mich fertig machen und dann sofort wieder zu Nic gehen. Es war komisch, im Auto zu sitzen, aber noch komischer war es, bei Tristan anzukommen. „Wieso sind wir hier?" fragte ich verwundert, da er mich einfach zuhause hätte rauslassen können. „Lev, wir lassen dich in diesem Zustand ganz sicher nicht allein in der Wohnung. Du hast hier alles was du brauchst." Und mit alles, meinte er auch alles, denn merkwürdigerweise kam mir der schwarze Stubentiger entgegen, nur um mich anzufauchen und wieder wegzugehen. Wie wenn er mir sagen wollte, dass er mich immer hassen würde, selbst wenn Nic draufging. Dennoch ignorierte ich das kleine Mistvieh und begann meine Selbstheilungsphase mit essen. Leider bekam ich nur eine eklige Suppe herunter, die Jenna mir machte. Danach ging ins große Bad und duschte kurz, wobei ich mich an der Wand abstützen musste, um nicht umzukippen. Endstation bei meinem Versuch, nicht mehr wie ein Zombie auszusehen, oder sich wie einer zu fühlen, war dann beim Bett im Gästezimmer. Ich hatte kurz die Befürchtung gehabt, vielleicht doch die Schlaftabletten zu brauchen, aber als ich das Bett nur sah, ließ ich mich drauffallen und war nach wenigen Sekunden fest eingeschlafen. Kein Wunder, immerhin hatte ich die Woche über höchstens eine Stunde Schlaf gehabt, da ich im Minutentakt weggenickt war, nur um wieder panisch aufzuschrecken. Das Bett war so weich, dass es schon fast ein Verbrechen wäre, nicht einzuschlafen.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, blickte ich überrascht auf meine Brust, da der kleine Penner es sich dort gemütlich gemacht hatte und ich kurz davor war, das Vieh vom Bett zu werfen. Ich tat es jedoch nicht, da der Kater so friedlich wirkte. „Heuchler." Brummte ich nur und setzte ihn vorsichtig auf die andere Bettseite, um aufstehen zu können. Mein Körper hätte womöglich den restlichen Tag durchschlafen können, doch ich wollte wieder zu Nic und ging ins Bad. Ich hatte irgendwie ein gutes Gefühl und machte mich gut gelaunt fertig. Ich nahm mir sogar vor, mich zu rasieren, da der Bart inzwischen mehr, als wie ein drei Tage-Bart, aussah und mich das störte. Es fühlte sich so an, als wäre ich schon eine Weile weg gewesen. Meine Haare waren auch immer länger geworden. Nic hatte es schon öfter erwähnt, doch jetzt sah ich in den Spiegel und sah irgendwie anders aus. Ich mopste mir ein Haargummi aus Jenna's Schmuckbox und machte mir einen improvisierten Zopf, wobei die vorderen Strähnen mir wieder ins Gesicht fielen. Ich sah immer noch ziemlich beschissen aus, da die dunklen Augenringe mein Gesicht ruinierten, doch wenigstens fühlte ich mich schon etwas besser. Nachdem ich also noch etwas gegessen hatte, machte ich mich wieder auf den Weg zu Nic und tapste einfach in sein Zimmer. „Hey.." nuschelte ich und setzte mich auf die Bettkante. Natürlich war er immer noch nicht wach und hatte sich keinen Millimeter bewegt, weswegen er auch nicht mitbekommen hatte, dass ich weg war. Dennoch hatte ich den Drang, mit ihm zu reden, da ich die letzten Tage nur geweint hatte. „Du siehst besser aus. Also nicht besser, im herkömmlichen Sinne, denn eigentlich siehst du beschissen aus, aber deine Wunden sehen besser aus." Murmelte ich und stellte mir vor, wie er beleidigt eine Schnute zog. Meine Finger wanderten zu seinem Gesicht, welches ich zaghaft streichelte. Immer wieder strich ich mit dem Daumen über seine, wärmer werdende, Wange und bildete mir ein, dass er es spürte. „Nicht mehr lang, dann sind wir wieder zusammen." Flüsterte ich und küsste seine Nase. So saß ich eine ganze Weile an seinem Bett und freute mich innerlich darauf, dass er wach wurde, mir seine Gedanken und Sorgen erzählte. Mich in den Arm nahm und lobte, wie brav ich auf ihn gewartet hatte. Mich küsste und sagte, dass er mich liebte. Ich vermisste seine Berührungen und vor allem seine Stimme. „Ich liebe dich." Wisperte ich und küsste ihn erneut, diesmal auf die Stirn. Der Schlauch wurde ja entfernt, doch ich traute mich nicht, ihn auf den Mund zu küssen. Es war so schön, zu sehen, wie er wenigstens ohne Hilfe wieder atmen konnte und ich wollte nichts tun, was das gefährden konnte. Ich beobachtete gebannt, wie seine Brust sich bei jedem Atemzug bewegte. Hoch und runter. Hoch und runter. Hoch und ... Er stockte. Oh nein, bitte nicht. Nicht jetzt, bitte nicht jetzt. Ich wollte schon den Not-Knopf drücken, als er wieder gleichmäßig weiteratmete. Ich behielt Nic noch einen Moment kritisch im Auge, setzte mich aber wieder zu ihm. „Du solltest mir nicht immer so einen Schrecken einjagen." Murmelte ich und strich sein Haar hinters Ohr. Das piepen vom EKG wurde kurz schneller und ich riss meine Hand weg. War das grade nur Einbildung oder hatte er auf mich reagiert? Ich berührte ihn erneut, doch es kam nichts. Erst als ich zu reden begann, beschleunigte sich sein Herzschlag wieder. „Baby, Nic, Hörst du mich?!" überrascht beobachtete ich seine Reaktion und schnappte hektisch nach Luft, als das Piepen wieder beschleunigte. Kurz und knapp. „Oh mein Gott." Ich legte meine Stirn an seine und fing an zu quasseln. Ich redete und redete und wartete immer auf seine Reaktion, welche mich überglücklich machte. „Bald können wir wieder richtig reden. Bald können wir nach Hause, dann ist alles wieder beim alten." Sagte ich zufrieden und schmiegte mich vorsichtig an ihn. „Ich vermisse dich.. bitte komm bald zurück." Flüsterte ich ihm leise zu und freute mich immer mehr, auf sein erwachen.
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See You Again (Band 1)
RomanceWährend der neunzehnjährige Nicolai fest davon überzeugt ist, dass eine Beziehung mit dem Vier Jahre älteren Levin durchaus möglich ist, hat dieser mit ganz anderen Problemen zu tun. Wie führte man überhaupt eine Beziehung? Woher wusste man, wie Li...