Kapitel 50.

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Nicolais POV

Wie konnte dies alles nur passieren? Ich wurde entführt, verprügelt und gedemütigt, doch nichts von alledem war so schmerzhaft, wie der Anblick des toten Mannes, der nun auf dem kalten Boden lag und die Dünne Schneeschicht rot färbte. Das konnte nur ein schlechter Traum sein, aus dem ich in kürzester Zeit erwachen würde, nur um dann festzustellen, dass alles gut und heil wie immer war. Doch dem war nicht so. Vor mir stand ein Mann, ein Mörder, den ich nicht wiedererkannte. Ich war wie erstarrt und sah diesen Mann, meinen Geliebten, mit einer Maske des Schreckens an. Konnte nicht fassen, was er da getan hatte, Geschweige denn Glauben, dass er wirklich dazu fähig war. Ich hatte geglaubt, ihn zu kennen, aber jetzt grade war ich mir da nicht mehr so sicher. In mir zog sich alles zusammen und der Drang, meinen Magen zu entleeren wuchs mit jeder Sekunde. Er machte einen Schritt in meine Richtung, doch ich wich zurück. Es war Lev, derselbe, wie immer und doch erkannte ich ihn nicht. Ich bemerkte, die aufkommende Traurigkeit in seinen grünen Augen, welche meine Geste in ihm ausgelöst hatte, doch ich wollte sie nicht sehen. Wollte nicht diese vertraute Gestalt wahrnehmen, die ohne zu zögern einen Menschen getötet hatte und nun so tat, als wenn es keine große Sache gewesen wäre. Ich bekam nur noch am Rande mit, wie Dexter von mir gerissen wurde und mehrere Stimmen auf mich einredeten. Wie in Trance folgte ich den zwei Gestalten, die mir ein wenig bekannt vorkamen, doch ich war zu aufgewühlt, um sie irgendwem zuordnen zu können. Erst als Lev sich zurückgezogen und mich mit diesen Menschen zurück gelassen hatte, drangen die lauten Geräusche immer mehr an mich heran und es war, als würde ich von einer dicken Watteschicht befreit werden. „Alles wird gut. Lass uns erst mal von hier verschwinden." Hörte ich den Asiaten vorsichtig sagen und folgte ihm mühsam zu seinem Wagen.

Ich bekam nicht viel mit, was um mich herum passierte, weswegen ich auch nicht genau wusste, wie ich zu dieser kleinen Wohnung gelangt war, in der Damian und Yano lebten. Ich stand inmitten eines gemütlichen Wohnzimmers und fühlte mich einfach nur erschöpft. Ich wollte schlafen, wusste jedoch selbst, dass ich wahrscheinlich die ganze Nacht wachliegen würde. Ich wurde kurz durch die Zimmer geführt, beziehungsweise Yano versuchte mich dazu zu animieren, ihm zu folgen, doch letztendlich trottete ich nur wie ein verwirrter Zombie durch die Gegend und konnte mir kein Wort merken. „..Und da ist das Bad. Fühl dich frei und mach was du möchtest. Du kannst in Damians Zimmer schlafen, er geht dann einfach auf die Couch." Bot er an und ich nickte abwesend. „Danke.." murmelte ich und versuchte mich an einem Lächeln, welches wohl ziemlich trostlos dreinschaute. „..Wieso muss es die Couch sein? Kann ich nicht bei di-?" Yano stieß Damian in die Rippen und brachte ihn zum Schweigen. Nicht das ich sonderlich zugehört hätte. Ich war einfach nur fertig für heute. Dennoch konnte ich mich irgendwie dazu aufraffen, in die Dusche zu steigen um mir sämtlichen Dreck vom Körper zu waschen, den ich im Laufe des Tages angesammelt hatte.

***

Die nächsten Tage waren die schlimmsten meines Lebens. Ich verspürte in mir ein riesiges Loch, welches sowohl meine Motivation, auch nur irgendwas zu tun, als auch mein rationales Denken in sich einsaugte. Tausend Fragen schwirrten durch meinen Kopf, doch die Angst vor den Antworten, ließ mich mein Schweigen bewahren. Ich war noch nicht bereit dafür, genauso wenig, wie ich bereit war, Lev gegenüberzutreten. Meine schlaflosen Nächte, in denen mein Unterbewusstsein mir weis zu machen versuchte, dass Lev eine große Gefahr für mich darstellte, half dabei nicht sonderlich. Ich vermisste ihn, doch meine Angst vor einer Begegnung, war deutlich größer, als mein Verlangen, bei ihm zu sein. „Du bist schon wach?" hörte ich Yano verwundert fragen und drehte mich zu ihm. Normalerweise schien er derjenige in diesem Haushalt zu sein, der als erstes auf den Beinen war. „Ich konnte nicht mehr schlafen." Gestand ich und ließ dabei die Tatsache aus, dass meine Albträume mir jeglichen Schlaf raubten. „Ich hab Frühstück gemacht." Ich deutete auf die Pancakes, die auf dem gedeckten Tisch standen. Er wollte grade etwas sagen, als Damian aus seinem Zimmer stapfte. Nackt. Müde tapste er Richtung Badezimmer und nuschelte ein unverständliches „Morg'n.." beim Vorbeigehen. Verdutzt sah ich ihm hinterher, ehe mein Blick zu Yano schnellte. „Sieh mich nicht so an. Er ist mitten in der Nacht bei mir aufgetaucht. Da war er schon nackt. Ich kann nichts dafür." Verteidigte sich dieser und setzte sich an den Tisch. Es war vielleicht ein wenig merkwürdig, doch ich hatte irgendwie damit gerechnet. Das Zimmer, in dem ich schlief, wirkte irgendwie unbewohnt und zu sauber, um das jemand dort vor kurzem geschlafen hätte. Ich hielt diese Bemerkung jedoch für mich, da es ihnen wahrscheinlich unangenehm war. „Nochmals Danke, dass ihr mich hier schlafen lasst. Tut mir leid, wenn ich euch zur.. Last falle." Ich setzte mich zu ihm und wir fingen schon an zu essen. „Du bist keine Last, wir helfen gern. Du bist ein Freund von Levin, also auch einer von uns. Es gibt nicht viele, die er .. mag. Du scheinst etwas Besonderes zu sein." Er lächelte und ich versuchte es wirklich zu erwidern, doch der Gedanke an Lev, ließ mich schaudern. „Ich habe das Gefühl.. ihn überhaupt nicht zu kennen." Flüsterte ich und konnte nicht verhindern, wie die Tränen meine Augen füllten. Mein Herz schmerzte mit jedem Atemzug, den ich tat und ich wäre am liebsten weggelaufen. Egal wohin. Einfach drauf los und gucken, wo mich die Wege hinführten. Stattdessen saß ich hier, mit den Tränen kämpfend und spürte plötzlich zwei starke Arme, die mich umarmten. „Nein, ich glaube du bist der Einzige, der sein wahres Ich kennt." Es war eine freundschaftliche Geste, die absolut nichts Sexuelles hatte und sich wirklich gut anfühlte. Yano tätschelte meinen Kopf, wie bei einem kleinen Kind und wieder einmal wurde mir klar, dass ich wohl eins für die anderen war. „Aww Gruppenkuscheln." Hörte ich eine raue Stimme hinter mir und wurde von hinten umschlungen. „Damian, Zieh dir gefälligst was an!" fauchte Yano ihn an und rettete mich vor seiner Nacktheit. Schmollend verschwand er in, wahrscheinlich Yanos, Zimmer und kam wenige Augenblicke später mit Boxershorts und einem T-Shirt bekleidet wieder. Er wollte sich endlich zu uns an den Tisch gesellen, als sein Handy klingelte. „Was?" blaffte er gereizt, über diesen frühen Anruf und verstummte kurzerhand, als er den Anrufer erkannte. Sein Blick wanderte unsicher zu mir und ich wusste, dass es Levin war. Damian warf Yano noch einen vielsagenden Blick zu und verschwand wieder in dem Zimmer, aus dem er gekommen war. „Ich..halte das für keine gute Idee." Hörten wir ihn noch sagen, ehe er die Tür hinter sich schloss und mich in der Ungewissheit zurückließ, die ich freiwillig gewählt hatte. Mein Handy war dauerhaft ausgeschaltet und ich hatte diese Wohnung seit meiner Ankunft nicht mehr verlassen. Ich hatte mich über Yanos Handy bei der Uni krank gemeldet und vermerkt, dass ich die nächsten Tage nicht vorhatte, aufzutauchen. Der Vorfall hatte mir wieder einmal die Augen vor der Grausamkeit dieser Welt geöffnet und ich musste erst damit zurechtkommen.

See You Again (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt