Levins POV
„Verarsch mich nicht!" Nicolais wütende Stimme hallte in meinem Kopf wieder. Er hatte mich grob von sich geschubst und mich mit glasigen Augen angesehen. Ich hatte es wegen dem Regen nicht richtig erkennen können, doch ich glaubte ihn weinen gesehen zu haben.
Ich schlug die Augen auf und starrte an die kahle Zimmerdecke. Ich hatte schon wieder von ihm Geträumt. Oder eher gesagt, mich an unsere letzte Begegnung erinnert. Unsere letzte Begegnung. Es waren seitdem schon Wochen vergangen, wenn nicht sogar Monate. Ich wusste es nicht genau, doch es fühlte sich unendlich lange an, seit ich das letzte Mal sein wunderschönes Gesicht gesehen hatte.
„Was zum Teufel laberst du da schon wieder? Das ist doch grad mal ne Woche her! Und wie lange willst du eigentlich noch auf meiner Couch liegen?! Wegen dir kann ich keine Chics mit nach Hause nehmen!!" Wütend zerrte Alec an meinem Bein. „Lass mich.." Ich versuchte ihn von mir abzuschütteln und trat ihm ausversehen in seine Kronjuwelen. Jaulend sackte Alec neben mir auf dem Boden zusammen und fluchte. „Du verdammter! Verpiss dich endlich aus meiner Wohnung!" knurrte er mit zusammengebissenen Zähnen. Ich hatte eigentlich gar keine Lust, aufzustehen, aber Alecs zickige Art nervte mich dann doch zu sehr. Was stellte er sich denn so an? Ich hatte höchstens zwei oder drei...oder vier? ...naja ein paar Tage bei ihm gepennt, aber er tat so, als wäre dies ein Weltuntergang. Allgemein waren momentan alle wütend auf mich. Nachdem ich Nicolai meine Liebe gestanden hatte, wurde er total sauer und schien es mir nicht abzukaufen. Als ich dann ohne ihn wieder zu den anderen ging, hatte Jenna mir fast den Kopf abgerissen. Von Tristan musste ich mir anhören, wie bescheuert ich doch war und Alec hatte sich weiterhin über mich lustig gemacht. Und ich? Ich raffte die Welt nicht mehr! Was konnte ich denn dafür, wenn Nic mir nicht glaubte?! Und wieso glaubte er mir nicht? Ich hatte die letzten Tage an nichts anderes denken können, war dementsprechend müde und somit unfähig auch nur irgendetwas Sinnvolles zu tun. Wie zum Beispiel zu Arbeiten. Die anderen wollten mich sowieso nicht sehen, also blieb mir nichts anderes übrig, als allein nach Hause zu fahren. Ich wollte grade losfahren, als ich eine Nachricht von Miranda bekam. „Lust vorbeizukommen?" Ich wollte eigentlich allein sein und Trübsal blasen, entschied mich dann aber doch anders. Vielleicht wusste sie ja, was ich tun sollte. „Bin in 10 Minuten da!"
Nach besagten Zehn Minuten, stand ich also vor ihrem Club. Als ich eintrat, kam mir eine riesige Parfümwolke entgegen und ich versuchte, nicht zu husten. „Na mein Süßer.." Eine halbnackte Blondine stand vor mir und zog mich weiter hinein. „Du bist Levin, nicht wahr?" säuselte sie mir ins Ohr und zerrte mich in Richtung Nische, in der eine moderne Ledercouch, zur Verfügung, stand. Zwei weitere Frauen kamen zu uns und drängten sich zu mir. „Wow! Du siehst noch besser aus, als auf den ganzen Plakaten." Genervt verdrehte ich die Augen. Wieso mussten Prostituierte so aufdringlich sein? Wenn ich sie vögeln wollen würde, dann würde ich mich schon an sie wenden „Komm schon, lass uns was spielen!" Ich merkte, wie die Blonde mir langsam in den Schritt packte und ekelte mich sofort. Das alles hier, war für mich nichts neues mehr. Dies hier war das Sexparadies. Die Wahrscheinlichkeit, hier auf Geschlechtsverkehr zu treffen, war genauso hoch wie die, dass im Schwimmbad Wasser vorhanden war. Doch es war dieses Mal etwas anders. Von diesen Frauen berührt zu werden, brachte mich schon regelrecht zum Kotzen. Ich schlug also ihre aufdringliche Hand weg und befreite mich endlich aus ihren Griffen. „Verpisst euch!" Sagte ich kalt und sie zuckten zusammen. Sie wollten noch etwas erwidern, wurde jedoch von einem lauten klatschen unterbrochen. „Ist schon gut Mädchen. Wie es aussieht, scheint unser Gast schlechte Laune zu haben." Miranda schlenderte gelassen zu mir und setzte sich dorthin, wo die Blondine vor ein paar Sekunden noch saß. Ihre Stimme glich dem schnurren einer räudigen Katze und ich konnte nichts dagegen tun, dass bei diesem Klang ein wohliger Schauer über meinen Rücken lief. „Ich hab dich länger nicht mehr gesehen.." Ihre Hand wanderte langsam in meinen Nacken und zog mich etwas näher an sie heran. Ihre Lippen waren mit Dunkelroter Farbe beschmiert und ich bekam Gänsehaut, als sie mit ihren langen Fingernägeln meinen Nacken kraulte. Ich räusperte mich einmal und versuchte das wohlige Gefühl abzuschütteln. „Ich war beschäftigt." Kurz darauf lachte sie leise auf und drückte die Zigarette, welche sie in der anderen Hand hielt, in einem Aschenbecher aus. „Lüg mich nicht an. Du hast mich absichtlich gemieden." Flüsterte sie mir verführerisch ins Ohr und schon wieder rieselte ein kleiner Schauer über meinen Rücken. Ich merkte, wie sie an meinem Ohr zu saugen begann, wie sie weiter meinen Nacken kraulte und mich immer mehr verwöhnen wollte. Doch ich musste an Nicolai denken. Grade in diesem Augenblick dachte ich an Ihn. Wie er begeistert an meinem Ohr knabberte und keine kleinen Schauer, sondern gigantische Wellen in meinem Körper auslöste. Wellen der Lust. Nach kurzer Zeit ließ sie von mir ab, schien wohl selbst zu merken, wie abwesend ich eigentlich war. „Na, Na. Was ist denn los heute? Soll ich Tony holen?" Ich schüttelte langsam den Kopf. Mir war grad einfach nicht nach spielen. Nachdem das mit Nic war, wirkten alle anderen so benutzt und dreckig. „Können wir heute einfach.. reden? Ich bezahl dich auch." Miranda sah mich verdutzt an und auch mir war klar, wie bescheuert sich das eigentlich anhörte. Sie schmunzelte und schien sich ein Lachen zu unterdrücken. „Was ist denn los, mein süßer?" schnurrte sie wieder und ihre langen Finger fuhren durch mein Haar. Diese Frau war merkwürdig. Ich fühlte mich bei ihr immer gelassen und konnte bei ihr meinen Panzer ablegen. Lag wahrscheinlich daran, weil sei um einiges älter war als ich. „Erzähl mir deine Sorgen.." Ich schloss die Augen und lehnte mich zurück. Genoss das Gefühl, wie sie meinen Kopf tätschelte, als wäre ich ein schutzloses Kind. Und genau das war ich. Schutzlos. Doch das war okay. Bei ihr war das Okay. Sie erinnerte teilweise an eine Mutterrolle. Ich erinnerte mich kaum an meine Mutter, aber sie tätschelte meinen Kopf auch immer mit ihrer warmen, sanften Hand. So wie Miranda es in diesem Moment tat.
„Was ist Liebe?" meine Stimme war leise und unsicher. Ihre Hand stoppte einen kurzen Moment, als sie mich wieder weiter streichelte. „Was glaubst du denn, was Liebe ist?" fragte sie zurück und ich überlegte kurz. Liebe ist.. „..anstrengend." flüsterte ich und sie kicherte. „Ja, mag sein. Aber Liebe ist so viel mehr." Ich öffnete meine Augen und sah in ihre. Sie lächelte mich sanft an und ich wusste sofort, dass auch sie schon geliebt hatte. „Liebe ist mit vielerlei Gefühlen verbunden. Sowohl positive, als auch negative." Ich verglich den Moment, als Nic und ich Sex in meiner Wohnung hatten, mit dem, als ich ihm meine Liebe gestanden hatte. Ich verstand was sie meinte. Doch ich wollte es nicht akzeptieren. Ihre Finger wickelten sich um eine einzelne Haarsträhne und spielten sachte damit. Sie schob sie hinter mein Ohr und strich mir die restlichen Haare aus dem Gesicht und sah mich neugierig an. „Gibt es denn jemanden, den du Liebst?" langsam, ganz langsam nickte ich. „Und? Weiß die Person davon?" wieder nickte ich und sah verlegen auf den Boden. Es war, als wäre mir eine große Last von den Schultern genommen worden. „Woran hast du erkannt, dass du diese Person liebst?" Woran ich es erkannt hatte? Ich wusste es nicht genau. War es das warme Gefühl, dass er in mir hervorrief? Ich dachte an das Gefühl im Wald. Nein. Das war kein warmes Gefühl, es war schmerz. Schmerz der mich fast zerriss. „Es tut so weh.." flüsterte ich und griff unbewusst an meine Brust. Sanft zog Miranda mich näher an sich und ich lag mit meinem Kopf in ihrem Schoß. Alles an dieser Geste wirkte so lieblich. Ich fühlte mich geborgen und beschützt. Ich spürte, wie die Müdigkeit mich überrollte und ich wieder die Augen schloss. „Ich weiß. Aber es ist okay. Der Schmerz ist eben ein Teil der Liebe." Ich lauschte ihren ruhigen Worten und nickte. „Ich habe noch nie so etwas gespürt." Meine Stimme war nichts weiter als ein leises wispern. „Hast du Angst?" fragte sie vorsichtig und spielte erneut mit meinem Haar. Wieder nickte ich und spürte deutlich den Kloß in meinem Hals. Ja ich hatte Angst. Nachdem Nic mich von sich gestoßen hatte, war sie wie eine dunkle Wolke über mir. Hasste er mich nun?
„Alles wird gut." Ohne, dass ich es wollte, liefen einzelne Tränen über meine Wangen. Ich ignorierte sie und hielt meine Augen weiterhin geschlossen, um Miranda nicht ins Gesicht sehen zu müssen. Sie ging nicht darauf ein, spendete mir nur Wärme und Trost. Dann fing ich an zu reden. Ich redete einfach drauf los. Ich erzählte ihr von Nicolai und wie verwirrt ich wegen ihm war. Was er in mir auslöste und wie furchtbar sich seine Abweisung anfühlte.
„Ich bin froh, dass von dir zu hören." Irritiert schlug ich die Augen auf und sah in ihre glasigen Augen. „Ich kenne dich schon so lange, Lev. Du wirktest immer so distanziert und kalt, dass ich mir schon sorgen machte, du würdest für immer allein bleiben." Eine einzelne Träne kullerte ihre Wange hinunter. Langsam hob ich meinen Arm und strich sie fort. Es war merkwürdig, sie so emotional zu sehen. Ok.. Wahrscheinlich war es noch merkwürdiger, mich so emotional zu sehen. Aber es stimmte. Miranda und ich kannten uns nun schon fast sieben Jahre und es war das erste Mal, seit dem Tod meiner Mutter, dass ich jemanden in mein Herz gelassen hatte. Und es war scheiß beängstigend. „Was ist mit dir? Gibt's jemanden den du liebst?" Ein wissendes Lächeln umspielte ihre Lippen. „Ich werde dir etwas aus meiner Vergangenheit erzählen, also hör genau zu." Man sah ihr an, dass sie das, was jetzt kam, noch niemanden anvertraut hatte. „Ich war damals genau wie du. Ich ließ mich von nichts und niemanden unterkriegen und hielt die Liebe für den größten Blödsinn. Die Vorstellung, mit einer Person auf ewig zusammen zu sein, war für mich total irrsinnig." Sie seufzte. Das folgende schien ihr unglaublich schwer zu fallen, auszusprechen. „Dann, als ich so alt war wie du, merkte ich, dass ich schwanger war. Es war für mich ein großer Schock. Ich wollte noch nicht Mutter werden, vor allem war ich auf mich allein gestellt. Doch dieses Gefühl, ein lebendes Wesen in sich zu spüren, war das aller schönste auf der Welt. Obwohl es noch ungeboren war, lernte ich es zu lieben, es zu akzeptieren und wollte nichts anderes, als diesen Menschen, mein Kind, glücklich aufwachsen zu sehen." Ihre Stimme brach ab und die Tränen sammelten sich erneut in ihren Augen. „Doch der Schlag, als ich es verloren hatte, war durch diese Liebe noch viel schlimmer. Es war eine Totgeburt." Sie schluchzte laut auf und ich versuchte zu verstehen, wie groß ihr Schmerz gewesen sein musste. Wie groß er heute noch zu sein vermochte. Ich setzte mich auf und zog sie in eine Umarmung. Ich war nicht gut im Umgang mit Gefühlen, doch dies schien mir in diesem Moment angemessen. Sie grub ihr Gesicht in meine Hals beuge und ich strich kurz über ihren Rücken. „Versuch mit ihm zu reden. Zeig ihm, wie sehr du ihn liebst." Flüsterte sie in mein Ohr und ich verstand. Ich musste zu Nic. So schnell es ging. Ich musste wissen, wie er für mich empfand. Ich wollte, dass er mir gehörte. Mir ganz allein.
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See You Again (Band 1)
RomanceWährend der neunzehnjährige Nicolai fest davon überzeugt ist, dass eine Beziehung mit dem Vier Jahre älteren Levin durchaus möglich ist, hat dieser mit ganz anderen Problemen zu tun. Wie führte man überhaupt eine Beziehung? Woher wusste man, wie Li...