C•55 die Qualifikationsphase

1.1K 44 4
                                    

Ich gab seinem Namen einen ganz bestimmten Platz in meinen Gedanken.

Marc.

Der Name war echt schön und die Person die ihn trug. Er verließ mich, doch bevor er ging, schenkte er mir noch ein Lächeln. Ich musste ebenfalls lächeln. Plötzlich bemerkte ich Tobi vor mir und erschrak. „Wer war das?", fragte er mit einer hochgezogenen Augenbraue. „Ein Typ, der mir gefällt.", ich biss mir auf die Unterlippe. „Hat der dich einfach so nach deiner Nummer gefragt?", fragte er ungläubig. Ich nickte: „Ja, das wundert mich auch sehr. Ich meine.....schau mich mal an...". Ich lachte leicht und stand auf. „Der sah aber übel nett aus.", sagte Tobi nach einer Weile, als wir auf dem Weg zur Kasse waren. „Ja, mega.", lächelte ich. War das der Beginn einer neuen Liebe?

Stegi, ernsthaft?
Was denn?
Du hast die Sache mit Tim nicht einmal verdaut und schon nimmst du den nächsten!
Nicht jeder Junge ist wie Tim! Er ist anders!
Und das weißt du, obwohl du ihn erst 15 Minuten kennst?

Ich blieb stehen. Ich hasste den Konflikt zwischen meiner inneren Stimme und mir. Ich hatte nie eine Chance gegen sie.

„Stegi, alles ok bei dir?", riss mich Tobi aus meinen Gedanken. „Jaja, klar. Warum sollte es nicht?", fragte ich verwirrt. „Keine Ahnung, du hast so gedankenverloren ausgesehen.", er zog eine Augenbraue hoch. „Lass uns lieber bezahlen.", winkte ich mit meiner Hand und ließ den Blick woanders hin gleiten. Plötzlich sah ich Raffi und seine Crew. Es war so klar, dass er hier einkaufen gehen würde! „Was ist da?", fragte Tobi und nahm die Tüte von der Kasse. „Raffi.", entgegnete ich und schaute inmernoch dort hin. „Lass uns verschwinden.", schubste mich Tobi in den Aufzug und drückte schnell den Knopf zum Erdgeschoss. „Ich wollte wissen, ob....", fing ich an, doch er fiel mir ins Wort. „Ob Tim auch dabei ist? Stegi, du musst ihn vergessen! Du hast doch jemanden neues kennengelernt.", er deutete auf mein Handy.
Ja, das stimmte, aber.....
Aber was?
Aber war ich wirklich bereit mich endgültig von Tim zu trennen?
Nein.
Was willst du schon wieder?
Tim verteidigen.
Verpiss dich. Die Sache mit Tim ist gegessen.
Nein, ist sie nicht. Es gibt immernoch Hoffnung.
Es gibt keine Hoffnung mehr für Tim und mich. Ich dachte, dass Tim ein liebenswerter Mensch ist, dem ich vertrauen kann und der keine Dunkelheit im Herzen besitzt.
Wo Licht ist, ist auch Schatten. Selbst du hast Dunkelheit in deinem Herzen.
Habe ich nicht!
Hast du doch. Du bist nur nicht soweit, um es zu merken. Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass jeder Mensch gut ist, oder?
Es gibt aber auch gute Menschen!
Stegi, du bist wohl noch nicht alt genug, um es zu verstehen.
Dann erklär es mir doch!
Wenn du es nicht verstehen willst, dann kann ich es dir auch nicht erklären.
Aber-!

Mit einem zornigen Blick schaute ich rauf und merkte, dass wir an der Bushaltestelle standen. Es regnete immernoch und unsere Klamotten wurden noch nasser. „Warum ist das Wetter in Deutschland immer so scheiße?", fluchte Tobi leise. „Keine Ahnung.", ich zuckte mit den Schultern. Ich musterte Tobi's Gesicht.

„Wo Licht ist, ist auch Schatten.".

Hatte Tobi auch eine „Schattenseite"?

Ich schüttelte den Kopf. Ich kannte Tobi schon über 10 Jahre. Da wusste ich alles über ihn, aber eine Schattenseite habe ich noch nie gesehen.

Nach gefühlt 10 Jahren kam dann auch der Bus und wir stiegen sofort ein. Wir hatten kein Glück, denn der Bus war überfüllt und wir mussten uns durch nasse Menschen quetschen. „Was hast du jetzt alles gekauft?", fragte ich, um die Stille zu unterbrechen. „Eine kurze Hose.". „Nur eine?", ich zog eine Augenbraue in die Höhe. „Ja, die, die ich haben wollte hat 60€ gekostet. Die, die ich mir jetzt gekauft habe hat nur 35€ gekostet.", er hob die Tüte hoch. Ich haute ihm gegen die Schulter und er schaute mich verwirrt an: „Du Doofkopf! Warum hast du mich nicht gefragt? Ich hätte dir was geben können.". „Du warst in deine Gedanken gesunken und ich wollte dich nicht ausnutzen.", er schaute runter. „Was für ausnutzen? Ich hätte es dir geschenkt.". „Aber dann hätte ich ein schlechtes Gewissen gehabt.", entgegnte er. „Nächstes Mal werde ich dich dazu zwingen, das anzunehmen.", sagte ich und lachte leicht. „Oh nein.", lachte er nun auch und die Leute im Bus schauten uns einerseits zornig und andererseits interessiert an.

Wir stiegen aus und rannten ins Internat, um nicht pitschnass zu werden. Am Eingang empfing uns Miss Griselda, die schlimmste Zimmerfrau des gesamten Internats. Sie trug eine Brille, braune, zu einem Dutt gemachte Haare, ein langes grünes Latzkleid aus Baumwolle und Schuhe mit leichten Absätzen. „Da seid ihr ja endlich! Im Saal des West-Flügels wird etwas wichtiges verkündet. Los, sonst kommt ihr zu spät.", sie scheuchte uns in die Schule hinein. „Aber es fehlen noch welche.", sagte Tobi. „Wer denn?", sie zog die Brille leicht runter. „Raffi und seine Freunde.", mischte ich mich nun ein. „Achso. Die wissen das schon. Ihr müsst aber jetzt rein.", sie schubste uns leicht in die Schule und wir rannten los.

„Ich bin gespannt, was uns da erwartet.", sagte Tobi während wir rannten und ich nickte. „Wenn das im West-Flügel gesagt wird...", fing ich an. „Dann kann es ja nur wichtig sein.", beendete Tobi den Satz, wobei ich nickte. Im Saal des West-Flügels wurden immer wichtige Bekanntmachungen veröffnetlicht, was das komplette Gegenteil des Saals im Ost-Flügel ist. Im Saal des Ost-Flügels wurden nämlich immer nur Sachen für Klassenfahrten, Kursfahrten oder ähnliches bekannt gegeben.

Wir rannten und rannten, bis wir endlich ankamen. Wir öffneten langsam die große und schwere Tür und sahen die gesamten Oberschüler auf den Plätzen sitzen und die Direktorin und alle Lehrer vorne stehen. Mike winkte uns zu und wir schlichen leise und unbemerkt zu seinem Platz. Leise eigentlich nicht, weil Tobi gestolpert ist und man das Rascheln seiner Tüte deutlich gehört hat. Ich schlug mir leicht gegen die Stirn und half ihm hoch. Wir setzten uns zu ihm und er erklärte uns, was hier vor sich ging.

„Nächstes Jahr wird am Anfang des Schuljahres eine Qualifikationsphase eingeführt und die, die es bestehen, dürfen frei entscheiden, ob sie noch ein Jahr Schule machen wollen oder schon studieren wollen.", fing er an. „Und die, die es nicht schaffen...?", wagte sich Tobi heran.

„Die werden dann von der Schule gehen müssen und die Phase woanders machen müssen.", beendete die Direktorin den Satz ganz laut. Und somit war die Rede beendet.

Ich schluckte einmal fest und schaute Tobi an. „10 Jahre Schule umsonst.", zischte er leise. Ich nickte. Wenn ich das vermasseln würde, dann wäre Dad sicherlich enttäuscht und ich könnte nicht mit den anderen in Petershagen studieren.

It hurts. | #stexpert ff ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt