C•96 Schicksal

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Es waren Sekunden vergangen.
Minuten.
Stunden.
Ich lag komplett wach im Bett und konnte nicht schlafen. Zuvor hatte ich glückliche Stunden mit Tim und war erschöpft, jedoch lag ich hellwach da und starrte verdutzt die Decke an. Noch ungefähr 3-4 Wochen, und das letzte Schuljahr würde beginnen. Es würde sich so viel ändern. Es würde so viel neues hinzukommen.

Allein schon der Gedanke daran ließ mir einen eiskalten Schauer über den Rücken laufen und ich zuckte zusammen. Ob Raffi das letzte Jahr auch dabei sein würde? Doofe Frage, natürlich! Ich hasse diesen Jungen so sehr!!!

Unwillentlich biss ich mir auf die Lippe und spürte den eisigen Geschmack im Mund und tastete meine Lippe ab. Ich blutete schon wieder. Super.
Langsam und ohne Tim zu wecken stand ich auf und ging ins Bad. Erst als ich das Licht anschaltete merkte ich, dass die Scherben des Spiegels immernoch auf dem Boden verstreut lagen.
Huchh.
Ich schnappte mir ein Tuch und tupfte das Blut ab und schmiss es dann weg. Ich wusch mir das Gesicht und war nun wacher als zuvor. Ehrlich gesagt verstand ich meine Mission nicht, denn ich schlich um Mitternacht oder so im Haus, ohne ein Ziel, herum. Letzendlich entschied ich mich dazu, in den Garten zu gehen, um ein bisschen frische Luft zu schnappen. Gott sei Dank hatte ich mein Handy mitgenommen, denn ich chillte mich auf die Hollywood-Schaukel und schaute mir alte Bilder an.

Dann fiel mir aufeinmal das Album von Tim ins Auge. Insgesamt hatte ich 236 Bilder von ihm gespeichert. Gedankenverloren öffnete ich das Album und schaute mir jedes einzelne Bild mindestens 10 Sekunden an. Bilder von meinen und Tim's heimlichen Treffen. Heimliche Bilder von Tim im Unterricht. Dann, das erste Kussbild von mir und Tim. Ich konnte mich noch genau an diesen Moment erinnern. Wir wollten unbedingt ein Foto machen, aber wussten nicht, wie. Genau deswegen haben wir mein Handy an einen Baum an unseren Geheimplatz gelegt und uns geküsst. Ich umklammerte das Handy und lehnte es an meine Brust.
Schöne Momente.
Ich wischte weiter und sah Bilder, wie wir Händchen hielten. Perplex schaute ich meine Hand an. Dieses Gefühl, wenn er seine Hand mit meine verschränken will....unbeschreiblich. 
Unwillentlich flossen mir Tränen die Wangen hinunter und es schmerzte. Mein Gesicht war eiskalt und meine Tränen waren heiß wie sonst was.

Für einige Sekunden lag ich reglos da und wischte sie dann mit dem Saum meines Tshirts weg. Die Spuren wären bestimmt bis morgen noch zu sehen sein.

Stegi.

Mit einem Schlag fühlte ich plötzlich nichts mehr. Mein Körper war steif und ich konnte mich nicht bewegen. Angst machte sich in mir breit. Die Panik stieg in mir hoch. Ein dünnes Drahtseil wickelte sich um meinen Hals und schnürte ihn zu.
Verdammt!
Ich konnte nicht mehr atmen......Mein Kopf neigte sich automatisch nach hinten und alles um mich herum wurde kalt. Das hauchdünne Seil bahnte sich den Weg in mein Fleisch ein und es schmerzte noch mehr. Alle meine Alarmglocken schlugen, jedoch konnte ich mich nicht wehren. Es fühlte sich ekelhaft an. Deutlich konnte ich das Hämmern meines Herzens gegen meine Brust hören und mein Brustkorb hebte und senkte sich verdammt schnell. Das Seil schnürte meinen Hals fester und fester.
Panik.
Verdammt, was sollte ich machen?
Ich versuchte meinen Mund leicht zu öffnen, jedoch war das leichter gesagt als getan. Es brennte. Die Einkerbungen an meinem Hals raubten mir jeglichen Sinn und Verstand. Ich schrie, aber aus mir kam kein Geräuasch oder ähnliches. Ich versuchte es noch einmal.
Nichts.
Meine Stimmbänder brannten, mein Mund war leicht geöffnet und ich hatte das Gefühl, dass aus meinem Mund all das Glück und all die schönen Momente rausgesaugt wurden. Die Kälte, die sich um meinen Körper und teilweise in meinen Körper eindrang, war einfach unangenehm und ich merkte, wie ich anfing, zu zittern. Mit dem Versuch, meinen Mund zu schließen und ihn zu drehen kam ich nicht weit...oder eher gesagt...er brachte nichts. Ich formte meine Augen zu Schlitzen und spürte was in ihnen glitzern. Der Schmerz hatte mich bis zum Weinen getrieben, aber ich schluchzte nicht.
Wieso?
Wieso funktionierte es nicht?
Oder war ich taub?
Die Fragen drängten sich in meinen Kopf und ich verstand absolut nichts mehr. Was sollte das?
Mit einem letzten Mal schrie ich mir meine Seele aus dem Leib, aber ohne Erfolg. Der Gedanke daran, dass keiner mich hier finden würde und ich hier alleine sterben würde, ließ mein Herz kurz aufhören, zu schlagen.
Plötzlich lief mir ein eiskalter Schauer den Rücken hinunter und das Seil wurde strammer gezogen.
Hilfe.
Dad.
Tobi.
Tim.
Irgendwer!

Stegi.

Ich spürte meine Extremitäten nicht mehr und ich fühlte mich ausgelaugter denn je. Mein Körper verkrampfte sich und ich bewegte mich, ohne es zu wollen. Alles schmerzte. Ich schrie und schrie. Höllenschmerzen. Tränen flossen mir die Wangen hinunter. Meine Hände zitterten. Bemerkte denn wirklich niemand, dass ich hier kurz vor dem Sterben war? Plötzlich hörte alles auf. Mein Körper lag ruhig da und das Seil um meinen Hals wurde lockerer. Sofort atmete ich schneller und flacher. Mein Herz beruhigte sich langsam und es floss wieder normal Blut in meine einzelnen Körperteile.
Was zum teufel war das?
Ich traute mich nicht, mich umzudrehen. Jedoch war die Spannung und Neugier in mir so groß, dass sie fast die Überhand ergriff und ich mich fast umdrehte. Ich versuchte normal zu denken, zu atmen und mich zu beruhigen. Alles war nur Einbildung.
Nichts war geschehen.

Von wegen.

Sofort wurde das Seil so fest wie möglich gezogen und das Atmen fiel mir schwerer denn je. Mein Körper verkrampfte sich und ich hatte keine Kontrolle mehr über ihn. Irgendwer oder irgendwas spielte mit meinen Gefühlen, mit meinem Körper, mit meinem Leben! Meine Hände zitterten und mein Herz hämmerte wie wild gegen meinen Brustkorb, sodass es sich anfühlte, als ob es einzeln meine Rippen brechen würde.
AAAHHHHHHHHH!
Etwas hat mich am linken Oberarm geschnitten, nur was? Komischerweise spürte ich das Blut, wie es meinen Arm hinunterfloss und nach unten tropfte. Schmerzerfüllt versuchte ich meinen Kopf in die Richtung zu drehen und sah eine komische Gestalt wegrennen.
Wer war das?
AAARRRRGGGGHHHHHH!
Schon wieder! Als würde jemand versuchen, mir mit einer Rasierklinge den Oberarm aufzuschlitzen. Es tat höllisch weh und ich konnte nichts dagegen unternehmen. Das Seil wurde fester gezogen, aber ich hatte noch genug Luft in meiner Lunge, jedoch würde ich das nicht länger aushalten, vorallem wenn ich noch mehr schreien würde.

Tim.

Ich dachte an ihn. Was er machen würde, wenn er mich so sehen würde...würde er weinen? Mehr und mehr Tränen flossen meine Wangen hinunter.

Er ist nicht bei dir.
Schon wieder wurde ich geschnitten und der Schmerz war unerträglich.
Er kann dir nicht helfen.
Mein Körper verkrampfte sich weiterhin.
Du bist alleine.
Ich rang nach Luft, aber ohne Erfolg.
Alleine auf dich gestellt.
Ich fühlte ein unbeschreibliches Stechen  in der Brust.
Ohne seine Hilfe.
Das Seil wurde strammer gezogen.
Ohne seine Anwesenheit.
Tränen und Blut flossen, der Schmerz breitete sich aus, der Krampf wurde schlimmer und irgendwann fing mein Herz an, langsamer  und langsamer zu schlagen.

War das mein Schicksal?

It hurts. | #stexpert ff ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt