Beverly
„Hexen!", rief ich in die Stille hinein, bevor ich mich aufgeregt kerzengerade aufsetzte.
Nach meiner kleinen Panikattacke auf dem Friedhof, war ich tatsächlich nach Hause gelaufen. In Anbetracht dessen, dass ich mich die letzten Monate kaum bewegt hatte, war ich einerseits sehr überrascht, dass ich das durchgehalten hatte, andererseits auch froh. Aber ich hatte nicht vor, nochmal gute acht Meilen zu laufen, die ich auch mit dem Bus hätte in Angriff nehmen können. Jetzt, nach ein bisschen Geschrei und Geheule unter einer kalten Dusche, stürzte ich mich wieder in die Arbeit, um zu vergessen. Ich wollte nicht denken, zumindest nicht an Rose. Und auch nicht an Aidan, Addie oder sonst jemanden. Und wenn das hieß, dass ich bis zum Burnout recherchieren, lesen und grübeln musste, dann war mir das recht.
Rose war tot. Und im Gegensatz zu mir, wurde sie von nichts und niemandem zurückgeholt.
Sie war mir immer so stark vorgekommen. So unbesiegbar. Selbst für ihr hohes Alter, Mitte achtzig, noch recht fit und klar im Kopf. Nie hätte ich gedacht, dass ein Schlaganfall ihr Leben beenden würde. Von heute auf morgen. Einfach so. Jetzt konnte ich ansatzweise nachempfinden, wie Aidan sich wohl gefühlt haben musste, als ich mich umgebracht hatte. Von heute auf morgen. Aber das war schon acht Monate her, es ging ihm gut. Rose war vor gerade mal vier Tagen gestorben. Und selbst jetzt, nach ihrer Beerdigung, fiel es mir schwer, das zu realisieren.
Chase zog eine Augenbraue hoch und setzte sich von der Couch auf. „Wie bitte?" Er war vor etwa einer Stunde vorbeigekommen, um... Ich wusste nicht genau, warum. Entweder, weil er mir bei meinen Recherchen helfen, oder mich aus meinem Bett zerren wollte, damit ich nicht in Trauer und Selbstmitleid ertrank. Vielleicht hatte er zu Hause auch einfach nichts zu lachen, aber dann war er hier heute definitiv an der falschen Adresse.
„Hexen!", wiederholte ich, nahm das Buch, in dem ich eben gelesen hatte, und ging um die Kücheninsel herum. „Hör dir das an: Anfang des 15. Jahrhunderts fürchtete manch einer, eine Hexe könne die Toten auferstehen lassen." Ich blätterte das Kapitel durch, während Chase mich skeptisch anblinzelte.
„Du denkst, eine Hexe ist dafür verantwortlich, dass du noch lebst?" Er sah sich um. „Wo ist der Wein, hast du wieder was getrunken?"
Ich verdrehte die Augen. „Ich meine es vollkommen ernst. Chase, das ist die erste realistische Möglichkeit."
„Realistisch, aha."
„Realistischer als das Unsterblichkeitsgen, meinst du nicht auch?" Dem konnte Chase nicht widersprechen, aber er schien nicht überzeugt.
Felicity hatte damals von Hexen gesprochen. Allerdings hatte sie mir nie viel von ihnen erzählt. Ich konnte mich noch dunkel an die Brooklynn Hexen erinnern und an Iona, eine irische Hexe aus dem 17. Jahrhundert. Angeblich die älteste, bekannte, noch lebende Hexe. Ich hatte Hexen schon immer unheimlich gefunden. Ich für meinen Teil, wollte niemandem begegnen, der viele Jahrhunderte –Jahrtausende!- überlebt hatte und vermutlich jegliche Menschlichkeit dadurch verloren hatte. Der Gedanke daran, dass mich eine Hexe zurückgeholt haben soll, war mir nun doch unheimlich.
Felicity hatte mir damals das Tagebuch von Iona gegeben, aber außer Dämonenkram, hatte ich nichts Interessantes darin finden können, also hatte ich das Buch Addie gegeben, die zu dem Zeitpunkt noch ein Dämonenbesitzerfrischling gewesen war. Für sie war es ein Handbuch gewesen.
„Hexen sind wie normale Menschen, nur, dass sie ein Talent fürs Zaubern haben", erklärte ich. Nun war es an Chase, mit den Augen zu rollen.
„Das weiß ich, verkauf mich nicht für blöd. Aber warum sollte sich eine Hexe dafür interessieren, ob du tot bist oder lebst? Denkst du, sie wollen dich bei ihrer Pyjamaparty dabei haben?"
DU LIEST GERADE
Cursed Boy (Band 2)
Paranormal„Wie soll ich sie vergessen, wenn ich ständig daran erinnert werde, dass ich sie vergessen soll?" *** Wann ist ein guter Zeitpunkt, um eine geliebte Person gehen zu lassen? Das fragt sich auch Aidan, als er, selbst nach vielen Monaten, Beverly nicht...