3

270 27 39
                                    

Aidan

Sie hat sich die Haare geschnitten.

Das war der erste Gedanke, der in meinem Kopf auftauchte, als ich Addie sah. Erst hatte ich sie gar nicht erkannt, denn ich hatte nach braunen, langen Locken Ausschau gehalten, also hatte ich sie in der Menschenmasse erst erkannt, als sie uns freudestrahlend zugewunken hatte.

Sie hatte sich einmal mit dreizehn die Haare schulterlang schneiden lassen. Die reinste Katastrophe. Ihre Locken hatten sich durch das fehlende Gewicht nur noch mehr gekringelt, und es war ihr unmöglich gewesen, sie zu bändigen. Seitdem hatte Addie sie wachsen lassen und es nicht mehr gewagt, sie kürzer zu schneiden, als bis zu ihrer Taille.

Sie hatte ihre Jugendsünde erneut begangen, nur, dass es keine Sünde mehr war. Die kurzen Haare ließen sie viel erwachsener aussehen, und sie hatte offensichtlich den Dreh raus, auf welcher Seite und mit welchem Scheitel sie ihre Mähne platzieren musste, damit sie nicht wie ein kleiner, süßer Löwe aussah.

Ich mochte diese Veränderung nicht. Auch, wenn sie ihr wirklich stand.

Aber ich war nicht der Einzige, der überrascht war, Addies neuen Haarschnitt zu sehen. Sie hatte seit längerem mit keinem von uns geskyped, sondern nur telefoniert und offenbar niemandem etwas gesagt. Denn noch während jeder darum kämpfte Addie als erstes umarmen zu dürfen (wobei Trev natürlich gewann), drehte sich alles um ihre Haare. Allerdings bekam ich von den Gesprächen nicht viel mit. Denn als Addie sich von Trev löste, mir um den Hals fiel und an sich drückte, bemerkte ich wieder, dass es nicht nur Addie war, die ich vermisst hatte. Hinter ihr erkannte ich undeutlich einen Schatten.

Vaya.

Ihr Dämon. Noch nie hatte ich ihn so undeutlich erkennen können. Entweder hatte er sich vollständig gezeigt, oder gar nicht. Die Macht, die von ihm ausging, war überwältigend, faszinierend, beängstigend.

Ich wusste, dass ich mich darauf hätte konzentrieren sollen, dass Addie mir wieder und wieder sagte, wie sehr sie mich vermisst hatte, aber ich konnte nur den undeutlichen Schatten betrachten, der mich genauso inständig musterte, wie ich ihn.

Addie ließ mich los und redete weiter auf mich ein, als die hagere Gestalt ein Geräusch von sich gab, das meine Schwester offenbar gar nicht wahrnahm, ich jedoch schon einmal gehört hatte. In der Nacht, in der Addie versucht hatte, sich umzubringen. Beverly hatte damals gemeint, dieses Geräusch sei eine Geste der Zuneigung -der Unterwürfigkeit- gewesen. Ich hatte es damals nicht verstanden und tat es auch jetzt nicht.

Die letzten Monate hatte ich damit zugebracht, alles zu vergessen, was passiert war. Zu vergessen, dass Beverly gemeint hatte, ich könne unmöglich ein Mensch sein, wenn ich Vayas Stimme während Addies Besessenheit, von ihrer hatte unterscheiden können. Zu vergessen, dass ich mich auf eine kranke und abgedrehte Art in Vayas Gegenwart wohl fühlte. Zu vergessen, dass Vaya gemeint hatte, er hätte mich gerettet, und dass er mir nie wehtun würde. Und nun war Addie wieder da. Und alle Fragen mit ihr.

„Aidan!" Addie schnippte vor meinem Gesicht herum. Ich löste den Blick von ihrem Dämon.

„Entschuldige, was hast du gesagt?"

„Wo ist Fabiana?"

„Arbeiten." Als ich Vaya noch einen Blick zuwerfen wollte, war er verschwunden. Aber er war noch da, das wusste ich. Ich spürte es. Warum zum Teufel spürte ich das?

Mir entging nicht, dass Addie sich fast schon enttäuscht von mir abwandte und ein Gespräch mit Chase begann. Sofort überkam mich das schlechte Gewissen.

Ich hatte vergessen, wie leicht die letzten Monate eigentlich gewesen waren. Ohne Addie und Vaya hatte ich nicht über das nachdenken müssen, was Beverly gesagt hatte.

Cursed Boy (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt